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Feinstaubjäger von nebenan Feinstaubjäger von nebenan: Deshalb bauen Hobby-Tüftler eigene Sensoren

Von Julius Lukas 18.04.2018, 10:00
Für zu hohe Feinstaubbelastungen wird oft der Verkehr verantwortlich gemacht. Städte, wie hier Stuttgart,  probieren mit Umweltzonen die Pkw-Nutzung zu verringern. 
Für zu hohe Feinstaubbelastungen wird oft der Verkehr verantwortlich gemacht. Städte, wie hier Stuttgart,  probieren mit Umweltzonen die Pkw-Nutzung zu verringern.  Picture Alliance

Halle (Saale) - Im Land herrscht gerade dicke Luft: Am Dienstagmorgen leuchten auf der interaktive Feinstaub-Karte von Sachsen-Anhalt fast überall orangene und rote Flecken auf - und diese Farbgebung ist kein gutes Zeichen. Denn je röter die Sechsecke auf der Karte sind, desto schlechter ist die Luft. In Halle (hellorange) liegt die aktuelle Messung schon bedrohlich nah am Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Quadratmeter. Nur 35 Mal darf diese Hürde pro Jahr genommen werden.

Bereits drübergehüpft ist am Dienstagmorgen der kleine Ort Steuden (Saalekreis), der nah an der A 38 liegt. Dunkelorangefarbene 69 Mikrogramm stehen dort auf der Anzeige. Das ist allerdings nichts gegen den Messpunkt bei Helmstedt an der Grenze zu Niedersachsen. Ampelrot erstrahlt das Sechseck auf der Feinstaubkarte. Die Belastung liegt beim Vierfachen des Grenzwertes. Nirgendwo im Land zirkulieren gerade mehr Partikel in der Luft.

Die Daten vom Dienstagmorgen sind bedenklich - immerhin gilt Feinstaub als gesundheitsschädlich und wird für Atemwegserkrankungen verantwortlich gemacht. Doch es handelt sich dabei nicht um offizielle Angaben. Die Messungen stammen von Sensoren, die Menschen in ihrer Freizeit gebaut und aufgehängt haben. Sie befinden sich auf Fensterbänken, an Häuserwänden und in Vorgärten. Von dort werden die Werte alle zweieinhalb Minuten in eine Online-Datenbank übertragen und auf der Karte im Internet angezeigt.

Diese Feinstaubmessung ist eines der größten digitalen Bürgerprojekte, die es derzeit in Deutschland gibt. Bundesweit sind schon mehr als 1 000 Sensoren in Betrieb - und die Zahl der Hobby-Feinstaubjäger nimmt stetig zu. Auch in Sachsen-Anhalt bekommt der bunte Teppich auf der Onlinekarte immer mehr Flicken.

In Halle sind derzeit schon 15 Sensoren aktiv - das ist landesweit Spitze. „Aber es sind längst nicht genug“, sagt Sabine Griebsch. Die 36-Jährige hat die zivile Feinstaub-Fahndung nach Sachsen-Anhalt geholt. Sie ist die hiesige Oberjägerin der kleinen Partikel. Die Vorsitzende des Vereins „Initiative Digitale Themen“ will Menschen mit der Digitalisierung vertraut machen. „Und das Feinstaub-Projekt ist dafür perfekt geeignet“, sagt Griebsch.

Eigenbaukombinat fertigt Feinstaub-Messgeräte statt Vogelhäuschen

Am Dienstagabend vergangener Woche sitzt die IT-Expertin im Eigenbaukombinat in Halle - einer Selbermachwerkstatt für digitale Projekte. Wie jeden zweiten Dienstag im Monat ist Bastelzeit. Anstatt Vogelhäuschen werden hier Feinstaub-Messgeräte zusammengesetzt. Auch Mike Elstermann sitzt mit am Basteltisch.

Er ist ein Sensorenbauer der ersten Stunde und ist beruflich im IT-Bereich tätig. Von der Feinstaubjagd war er gleich begeistert: „Ich finde Vorhaben, bei denen gemeinsam etwas geschafft wird, immer spannend“, sagt Elstermann. Gerade in Zeiten, in denen Daten zur Ware werden und damit an Bedeutung gewinnen, seien solche offenen und transparenten Projekte wichtig.

Zudem verknüpfe die private Partikelsuche ein hochrelevantes Thema mit technischen Aspekten, sagt Sabine Griebsch. „Jeder kann dabei lernen, wie man mit einfachen Mitteln Daten erheben kann und so zum Teil einer Debatte wird.“ Zusätzlich helfen die Sensoren dabei, die Diskussionen um die Feinstaubbelastung auf eine breitere Basis zu stellen. „In Halle gibt es zum Beispiel nur drei offizielle Messstationen.“ Das sei natürlich etwas wenig, zumal die Stationen alle an viel befahrenen Straße stehen. „Wir wollen aber wissen, wie es in den Wohngebieten aussieht - dort, wo die Menschen auch leben.“

Idee kam bei Konferenz in der „Feinstaub-Hauptstadt“ Stuttgart

Die Idee zu den Sensoren stammt allerdings nicht von Griebsch. „Ich habe das Projekt von einer Konferenz in Stuttgart mitgebracht.“ Die Metropole am Neckar gilt als Feinstaub-Hauptstadt Deutschlands. Um mehr und auch eigene Daten zu den Partikeln in der Luft zu haben, entwickelte eine lokale Initiative die Messgeräte. Sie bestehen aus wenigen Komponenten, kosten keine 30 Euro und sind in einer halben Stunden zusammengebaut.

Die Geräte ziehen Luft wie ein kleiner Staubsauger in eine Kammer, wo sie dann mittels eines Lasers auf Feinstaub untersucht wird. Die gewonnenen Daten werden ins Internet übertragen und dann auf der Online-Karte visualisiert. Der Sensor muss an das Stromnetz angeschlossen sein. Um ihn vor der Witterung zu schützen, wird er in ein Plastikrohr gesteckt.

Messgeräte: Hohe Luftfeuchtigkeit kann zu starken Abweichungen führen

Unter Normalbedingungen liefert das selbst gebaute Gerät Werte, die mit denen der offiziellen Messstationen vergleichbar sind - das haben Untersuchungen ergeben. Bei den Tests wurde aber deutlich, dass insbesondere hohe Luftfeuchtigkeit zu starken Abweichungen führen kann. Ein Fehler, auf den die Entwickler bereits reagiert haben. So kündigten sie eine eine „Feuchtekorrektur für die Sensoren“ an.

Sabine Griebsch und Mike Elstermann finden solche Probleme aber eher spannend als hinderlich: „Gerade die Weiterentwicklung der Technik ist ja ein wichtiger Teil des Projektes.“ Sie selbst hatten auch schon mit kleineren Unwägbarkeiten zu kämpfen. Das Messgerät, das an der Hauswand im Eigenbaukombinat hängt, hatte mal wochenlang sehr niedrige Werte gesendet. „Als wir dann nachgesehen haben, fanden wir im Ansaugschlauch eine kleine Spinne, die sich dort eingenistet hatte“, erzählt Griebsch.

Gerade um solche Fehlmeldungen auszugleichen, sei es wichtig, möglichst viele Messgeräte aufzuhängen. „Für Halle wollen wir 300 Sensoren - gerade sind es 15“, sagt Elstermann. Bis das Ziel erreicht ist, wird es also noch einige Bastelabende geben müssen.  (mz)

Weitere Informationen zum Projekt unter: www.digitale-themen.de

Im Eigenbaukombinat montieren Carsten Burghardt (links), Sabine Griebsch und Mike Elstermann  einen Sensor.   
Im Eigenbaukombinat montieren Carsten Burghardt (links), Sabine Griebsch und Mike Elstermann  einen Sensor.   
J. Lukas
Feinstaub-Karte - Die Karte ist eine Bildschirmaufnahme der Webseite www.luftdaten.info. Sie zeigt die aktuellen Messungen der Feinstaubsensoren.
Feinstaub-Karte - Die Karte ist eine Bildschirmaufnahme der Webseite www.luftdaten.info. Sie zeigt die aktuellen Messungen der Feinstaubsensoren.
screenshot/luftdaten.info
Feinstaub-Sensor
Feinstaub-Sensor
Lukas