Dresden Dresden: Hoffnungsfunken aus Moskau
Dresden/MZ. - Nur ein Geburtstagsgeschenk für die Oma ihres kleinen Sohnes Felix sollte es sein, das Lenore und Eberhard Tschök kaufen wollten. Da kein Platz mehr frei war in der Kinderwagen-Aufbewahrung des Centrum-Warenhaus in Dresden, stellten sie den Kinderwagen mit ihrem fünf Monate alten Sohn an einem Seiteneingang des Kaufhauses ab, wie zahlreiche andere Eltern an diesem 28. Dezember 1984 auch. Es sollte bis heute das letzte Mal sein, dass die beiden ihren Sohn gesehen haben. Als sie vom Einkauf kommen, ist Felix verschwunden.
Kind im Karton
Wenige Tage später, am 6. Januar 1985, wird stattdessen in Dresden in einem Wohnhaus ein etwa einjähriger Junge gefunden. Das Kind liegt in einem Karton, der an den sowjetischen Armeehandel geliefert wurde, hat Impfwunden, die auf eine Behandlung in einem sowjetischen Militärhospital hindeuten und reagiert zudem auch auf russische Wörter. Lenore und Eberhard Tschök sind bis heute überzeugt, dass ihr Sohn von sowjetischen Armee-Angehörigen im Dezember 1984 in Dresden entführt worden ist, gegen ein mutmaßlich krankes Kind ausgetauscht wurde und seitdem in Russland lebt - mit der Identität des Findelkindes.
Genau das glaubt auch die Dresdner Staatsanwaltschaft und macht den Eltern jetzt neue Hoffnung. So bestätigte Behördensprecher Christian Avenarius einen Bericht der "Dresdner Morgenpost", nachdem Russland zum ersten Mal eine Liste mit Namen von Personen geschickt hat, die mit dem Fall Felix zu tun haben könnten: Fünf Personen, die damals in der sowjetischen Militärjustiz in Deutschland gearbeitet haben und vier Männer, die so alt wie Felix sind. "Diese Personen wollen wir befragen, dabei sind wir jedoch auf die Unterstützung der Behörden vor Ort angewiesen", erklärte Avenarius.
Für Lenore und Eberhard Tschök ist die Nachricht wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer, nach 23 Jahren ohne ein Lebenszeichen ihres Sohnes. "Oft sind unsere Hoffnungen enttäuscht worden", betont die Mutter, "deshalb sind wir im Laufe der Zeit etwas zurückhaltender geworden, allein schon, um uns vor weiteren Rückschlägen zu schützen". Und von denen gab es viele. Wie im Februar 1986, als die Behörden den Eltern mitteilten, dass die Ermittlungen im Fall Felix eingestellt worden seien. Oder 2001, als die Staatsanwaltschaft die erneute Aufnahme des Falles abgelehnt hatte. Oder später, als nach zwei Jahren ein erstes deutsches Rechtshilfeersuche von der russischen Seite nichtssagend beantwortet wurde. So gesehen sei die jetzige Antwort eine "sehr positive Reaktion", erklärt Lenore Tschök. Wie diese Kehrtwende zu Stande kam, darüber kann Lenore Tschök nur spekulieren. "Vielleicht hat ja unser Auftritt beim Besuch von Staatspräsident Wladimir Putin doch etwas gebracht". Damals, im Oktober 2006, hatten die Eltern in Dresden auf das Schicksal ihres Sohnes aufmerksam gemacht.
Lob an Moskau
Unterdessen lobt auch die Staatsanwaltschaft Dresden die Kooperationsbereitschaft der Russen und spricht von "einer ersten substanziellen Antwort auf unsere Fragen". Die Reaktion sei keinesfalls selbstverständlich, schließlich hätten sich damals auch die DDR-Behörden an dem Fall die Zähne ausgebissen. "Die Ermittlungen waren ausgesprochen penibel, endeten aber an den Toren der Armee", so Avenarius. Nun hofft er auf weitere Fortschritte, wohlwissend, dass die Ermittlungen viel Zeit in Anspruch nehmen werden. So müssen neue Rechtshilfeersuchen in der Ukraine, Kasachstan sowie Weißrussland gestellt werden, also dort, wo die genannten Personen leben. Er sei aber "vorsichtig optimistisch".
Felix' Eltern malen sich derweil aus, wie ein Wiedersehen nach 23 Jahren aussehen könnte. "Einfach wird es nicht", sagt der Vater. "Wir wären zunächst Fremde füreinander." Das gilt auch für das Findelkind, das heute in Sachsen bei Adoptiv-Eltern lebt. Zu denen bestehe Kontakt, zu dem Jungen leider nicht, sagt Lenore Tschök. Den eigenen Sohn in die Arme zu schließen, bleibt aber ohnehin ihr größter Wunsch. "Und dafür werden wir weiter kämpfen", bekräftigt die Mutter.