Deutsch-deutsche Grenze Deutsch-deutsche Grenze: Angst im Schatten der Mauer
Hötensleben/MZ. - Fensterputz, erinnert sich Achim Walther, konnte in Hötensleben (Bördekreis) schnell den Staat auf den Plan rufen. Sie solle sofort aufhören "Zeichen nach dem Westen zu geben", herrschten Volkspolizisten eine Frau im 2 500-Seelen-Ort an. Damals in der DDR, als direkt an den letzten Häusern die Mauer stand.
Grüße aus dem Westen
Der Blick auf eine Erhöhung auf der anderen Seite blieb dennoch lange frei. "Da waren massenhaft Besucher", erinnert sich Walther, der seit 1973 im Ort lebt. Chöre stellten sich dort auf, sangen für die Hötenslebener. Jedes Jahr zu Weihnachten stand auf der westdeutschen Seite ein geschmückter Tannenbaum. Familienbande, durch die Grenze zerschnitten, blieben nur optisch erhalten. "Man hat sich aber nicht getraut hinzugucken oder zurückzuwinken", sagt Walther. Mit der willkürlichen Aussiedlung von 200 Hötenslebenern 1952 und 1961 hatten die DDR-Oberen die Menschen eingeschüchtert. Nur wenige wagten es, mit Fensterputzen oder dem Ausschütteln des Staublappens ein Winken anzudeuten. So wurde jeder Hausputz verdächtig.
Walther, 70 Jahre alt und Leiter des Grenzdenkmalvereins, kann viele solcher Geschichten erzählen. Von den "Vopos", die mit Lautsprecherwagen den westdeutschen Gesang sabotierten. Von nur einem Kilometer am Ort, in dem es keine Minen und Selbstschussanlagen gab. Von 119 Menschen, denen dort die Flucht in der Zeit nach der Abriegelung der Grenze 1952 glückte - zuletzt am 17. Januar 1988 einem Magdeburger Lehrling. Von 332 gescheiterten Fluchtversuchen, die mit Festnahme oder Tod endeten. Niemand weiß Näheres über das Schicksal der Menschen, außer dass 80 Prozent schon weit vor der Mauer gefasst wurden.
Heute ist im einstigen Beobachtungsturm an der Mauer noch der Spruch eines Grenzers von 1989 zu lesen: "Die Grenze ist jetzt offen, das Wunder ist gescheh'n, sie gehen alle rüber und lassen uns hier steh'n." Sichtblende, elektrischer Signalzaun, Sicherheitsstreifen, Panzersperren, zwei Wachtürme sowie die eigentliche Mauer sind als Gedenkstätte erhalten.
Eine Mauer, die auch Joachim Marckstadt gern überwunden hätte. "Ich habe geträumt von der Flucht, immer wieder", sagt der 70-Jährige. Mit 17 war er Mitglied des "Eisenberger Kreises", einer Thüringer Untergrundorganisation von rund 50 Studenten und Oberschülern. Sie verteilten antikommunistische Plakate und Flugblätter, führten ein Kabarett gegen die Volkskammerwahl auf, zündeten 1956 als Zeichen gegen die Militarisierung einen Schießstand der Gesellschaft für Sport und Technik an. 1958 wurden 24 von ihnen wegen staatsgefährdender Hetze zu insgesamt 114 Jahren Zuchthaus verurteilt. Marckstadt saß dreieinhalb Jahre in Haft, zog später nach Magdeburg, um den Anfeindungen im Ort zu entgehen. Erst nach der Wende erfuhr er, dass man den Menschen erzählt hatte, die Gruppe wolle Milch und Trinkwasser verseuchen, Gebäude sprengen. "Die haben alles geglaubt." Bis zum Ende der DDR wurde Marckstadt bespitzelt und schikaniert. Er blieb nur, weil er fliehen für zu riskant hielt.
Knast und Staatsfeind
Marckstadt findet es noch heute beklemmend, an der "Mauer" zu stehen. Ein Gefühl, das Johannes Rink teilt. Am 14. August 1961 - einen Tag nach Mauerbau und seinem 20. Geburtstag - hatte der Hochseefischer den Instrukteuren der SED im Speisesaal des Fischkombinates Rostock unbedacht erklärt, dass er ihre Begründung für einen "antifaschistischen Schutzwall" für eine Lüge hält. Wochen später steckte ihn die Stasi für sieben Monate in Einzelhaft, es folgten wegen staatsgefährdender Hetze vier Jahre Haft im berüchtigten Brandenburger Zuchthaus. "Wir waren für die schlimmer als die Kriminellen. Da hieß es nur, ,die haben einen oder zwei umgebracht, ihr wolltet die DDR umbringen'", erzählt er.
Unmenschliche Haftbedingungen, das angekündigte Berufsverbot: "Im Knast bin ich zum Staatsfeind geworden", so Rink. Einer, der in Magdeburg bis 1989 weiter unter Beobachtung der Stasi stand, weder ausreisen noch sich fortbilden durfte. "Vergeben", sagt er heute, "kann ich nur denen, die ehrlich sagen, was sie gemacht haben. Vergessen nie!"