Das Nervenzentrum Das Nervenzentrum: 4500 Soldaten bei Bundeswehrübung in Holzdorf

Holzdorf/MZ - Das reinste Chaos, was da auf den Bildschirmen vor sich geht. In einem Gewirr bunter Linien bewegen sich graue, rote und blaue Symbole. Das sind Flugzeuge, die in vorgeschriebenen Korridoren und Zonen ihre Bahnen ziehen. „So sieht es jetzt aus über Deutschland“, sagt Sascha Liebmann.
Der Major führt ein Team der Luftüberwachung auf dem Stützpunkt Holzdorf (Landkreis Wittenberg). Ihm zufolge starten und landen hierzulande täglich bis 1 500 Flugzeuge. Seit dem 12. Mai geht es, wie der 36-jährige Familienvater aus Hohenweiden (Saalekreis) anhand der sekundengenauen Luftbildkarte erklärt, noch enger zu als sonst. Der Grund: Mehr als 100 Kampfjets, Hubschrauber und anderes Fluggerät kommen hinzu. Sie alle sind bei der wichtigsten Übung der Bundeswehr seit 1990 im Einsatz.
4500 Militärangehörige beteiligt
Unter dem Namen „Jawtex 2014“ lösen Einheiten der Luftstreitkräfte taktische Gefechtsaufgaben - in dieser Form erstmals gemeinsam mit Einheiten des Heeres und der Marine. Der Fliegerhorst Holzdorf ist dabei die Operationszentrale. Brigadegeneral Burkhard Pototzky, der als Übungsdirektor fungiert, spricht vom „Nervenzentrum“ des Manövers, das heute zu Ende geht. Nach seinen Worten fließen hier gewaltige Datenströme zusammen. Ein System von leistungsstarken Diesel-Anlagen sichere die netzunabhängige Stromversorgung.
Elektronisch vernetzt mit den Soldaten in der Luft, am Boden und auf dem Wasser würden einerseits überraschende Gefechtssituationen durchgespielt, andererseits die Ergebnisse für die Auswertung nach den Einsätzen analysiert. Pototzky, selbst ein ehemaliger Jagdflieger, meint: „Hier geht es nicht um einfache Sandkastenspiele, beteiligt sind 4500 Militärangehörige.“ Das sei auch für Bundeswehr-Verhältnisse eine ungewöhnlich realistische Ausgangslage.
Über die Versorgung der Luftlandeeinheit mit Munition und Proviant lesen sie auf der nächsten Seite:
Das Übungsgebiet erstreckte sich zwar in den vergangenen Tagen über den ganzen Norden und Osten Deutschlands. Wichtiges ereignete sich aber auch ganz in der Nähe der Übungszentrale, zum Beispiel auf Truppenübungsplätzen im Elbe-Havel-Winkel. Oberstleutnant Michael Hanowski, ein gebürtiger Blankenburger (Landkreis Harz) arbeitet schon seit zwei Jahren als Koordinator in Holzdorf. Damit gehört der 42-Jährige, der nach seinem Dienst zu seiner Familie nach Wittenberg fährt, zu den Autoren des „Drehbuchs“ für die Übung. Als Reaktion auf die Krise in der Ukraine möchte er das Manöver nicht verstanden wissen. „Daran war zu der Zeit, als wir alles vorbereiteten, noch gar nicht zu denken.“
Eine der kniffligsten Aufgaben, die von den Beteiligten am Mittwoch gelöst wurde, bestand in der Versorgung einer vor Tagen abgesetzten Luftlandeeinheit mit Munition und Proviant. Die eingesetzten Hubschrauber wurden durch dorthin beorderte Jagdflieger vor simulierten gegnerischen Angreifern geschützt. Schiedsrichter auf dem Gefechtsfeld registrierten, was klappte und was nicht. Auch der Faktor Zeit spielte bei der Bewertung der Abläufe eine wichtige Rolle. Vieles könnten die Besatzungen trainieren und sich darauf einstellen, so Hanowski, aber nicht alles. So musste die Luftwaffe auf Befehl des Führungspunktes kurzfristig die in Bedrängnis geratenen Fallschirmjäger in Sicherheit bringen, ein Testfall für das Zusammenspiel von Soldaten verschiedener Nationen. Hubschrauberbesatzungen aus Österreich und Schweiz unterstützten die Bundeswehr.
Flaggen am Gefechtsstand
Für Hauptfeldwebel Nancy Matthey, die nach dem Abitur und einer Lehre zur Industriekauffrau seit 2002 bei der Bundeswehr ist, unterscheidet sich „Jawtex 2014“ von vielen anderen Übungen. Es ist nicht nur das bislang größte Training dieser Art in Holzdorf, wo die Wittenbergerin schon einige Jahre bei der Luftüberwachung arbeitet. „Dieses Mal übten wir im ganz großen Verbund, sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder der Nato waren beteiligt“, so die 34-Jährige.
Ein für jedermann gut sichtbares Zeichen: Neben der Deutschland-Fahne flattern am Gefechtsstand die Flaggen der Niederlande, Italiens, Frankreichs, Finnlands, Sloweniens, Griechenlands, Österreichs, der Schweiz, der Türkei, Ungarns und der USA. So viel Internationalität erfülle sie, sagt Matthey, mit Stolz - auch weil der Stützpunkt doch weitab und inmitten großer Kiefernwälder liegt. Unter Militärs habe der Name Holzdorf, meint sie aus jüngster Erfahrung, jedoch einen sehr guten Klang. Dazu gehöre natürlich zuerst der Flugplatz, der für alle zurzeit verfügbaren Luftfahrzeuge geeignet sei.
Auch die Ausstattung - von der Computertechnik bis hin zur Schwimmhalle - gelte innerhalb der Bundeswehr als beispielgebend. Unterm Strich befindet sich hier neben Fliegerhorst Laage in Mecklenburg-Vorpommern der zweite große Luftwaffen-Standort in den neuen Bundesländern. Und dazu zählt auch eine von zwei Einsatzführungszentralen der bundesdeutschen Luftwaffe. Ihr obliegt der verantwortliche Kräfteeinsatz, um Störungen im Luftraum zu beseitigen. Insofern ist sich Matthey fast sicher, dass auch die nächste „Jawtex“-Übung wieder von Holzdorf aus gesteuert wird. Vermutlich 2016 ist es wieder so weit.

