Cannabis in Sachsen-Anhalt Cannabis in Sachsen-Anhalt: Elf Gründe, warum das Land sich vor der Legalisierung hüten sollte

Halle (Saale) - Es waren nur elf kurze Stichpunkte in einem Beitrag der MZ, aber sie entzündeten eine heiße Diskussion. Wenn eine kontrollierte Abgabe von Cannabis die Steuereinnahmen wie im US-Bundesstaat Colorado sprudeln lässt, was spricht dann dagegen? Wenn zugleich sichergestellt ist, dass nicht mehr Menschen als heute zur Droge greifen, die zumindest in den Städten des Landes ohne Probleme zu erhalten ist, obwohl sie derzeit offiziell als illegal gilt.
Erfahrungen in den ersten Bundesstaaten der USA, die im vergangenen Jahr begonnen hatten, das Cannabis-Verbot zu lockern, überzeugten viele Leserinnen und Leser. Andere aber stimmten denen zu, die gegen eine Freigabe sind. „Ich kann doch nicht noch eine Droge legalisieren wollen, nur weil es schon welche gibt, die gefährlich sind“, argumentiert Landesgesundheitsminister Norbert Bischoff. Jenseits dieser Argumentation gibt es aber auch Fakten dazu, dass Sachsen-Anhalt unter einer Freigabe leiden würde. Hier sind elf Gründe, warum das Land sich vor Cannabis hüten muss.
1. Steuereinnahmen durch Verkauf von Marihuana
Das Land würde keineswegs von zusätzlichen Steuereinnahmen profitieren, denn wie bei anderen Verbrauchsteuern stünde das Aufkommen einer potenziellen „Cannabissteuer“ dem Bund zu. Abgesehen davon, dass es bei der Landesregierung keinerlei Erkenntnisse über die Zahl potenzieller Cannabis-Konsumenten in Sachsen-Anhalt gibt und damit auch über die mögliche Verbrauchsmenge nichts bekannt ist, würde den Steuersatz die Bundesregierung festlegen, die auch darüber bestimmen müsste, ob der Cannabiskonsum - wie etwa bei Tabakprodukten - durch die Steuer aus gesundheitspolitischen Gründen heraus vermindert oder die Einnahmen aus finanziellen Aspekten erhöht werden sollen.
2. Kiffer-Touristen bringen zusätzliche Einnahmen nach Sachsen-Anhalt.
Selbst wenn wirklich rund fünf Prozent der deutschen Bevölkerung gelegentlich kiffen, werden diese etwa drei Millionen Menschen natürlich nicht nach Sachsen-Anhalt kommen, nur um hier legal Marihuana zu konsumieren. Eine Situation wie in den USA, wo die Bundesstaaten, die die Droge legalisiert haben, einen Ansturm von Kiff-Touristen erleben, ist in Deutschland schon allein dadurch ausgeschlossen, dass kein Bundesland das Recht hat, Cannabis im Alleingang freizugeben.
Es handelt sich immer um denselben Wirkstoff aus derselben Pflanze, aber einmal wird sie Haschisch genannt, dann wieder Cannabis, „Ganja“, Marihuana oder sogar nur „Gras“. Gemeint sind stets Teile der THC-haltigen weiblichen Cannabis-Pflanze: Haschisch heißt das Cannabisharz, das aus den Blütenständen der ursprünglich in Zentralasien beheimateten Hanf-Pflanze gewonnen wird. Marihuana dagegen hat sich als Begriff für das Cannabiskraut eingebürgert. In allen Pflanzenteilen finden sich Harze, die sogenannten Terpenphenole, deren Transformationsprodukte die Cannabinoide sind. Mindestens 85 Cannabinoide sind bekannt, 60 davon haben Wissenschaftler bislang nur in Cannabispflanzen entdecken können. Besonders reich an THC sind die unbefruchteten weiblichen Blütenstände mit bis zu 20 Prozent, andere Pflanzenteile bringen es nur auf ein Prozent.
Bis vor 90 Jahren waren diese psychoaktiven Bestandteile in Deutschland frei erhältlich, erst mit Unterzeichnung des Opiatabkommens von Genf im Februar 1925 fielen sie - auf Drängen Ägyptens - unter die Definition verbotene Opiate. Der weltweite Trend zum Verbot hat sich in den vergangenen Jahren umgekehrt. Während Länder wie Indien oder Nepal aus religiösen Gründen nie ein Verbot erließen und die Niederlande immer eine akzeptierende Drogenpolitik verfolgten, wurde Cannabis zuletzt in immer mehr Staaten legalisiert oder entkriminalisiert. Uruguay erlaubt seit zwei Jahren den privaten Anbau und den Besitz geringer Mengen, die US-Bundesstaaten Washington, Colorado, Oregon und Alaska folgten. Auch in Tschechien wird der Besitz von bis zu zehn Gramm nicht mehr verfolgt, ebenso ist die Rechtslage in Jamaika, wo als Grenze 50 Gramm gelten.
Das Verbot von Besitz, Konsum und Handel mit dem Cannabis-Wirkstoff THC beruht auf dem Betäubungsmittelstrafrecht des Bundes. Die Wirksubstanz Tetrahydrocannabinol (THC) ist dort als „nicht verkehrsfähige Substanz“ vermerkt. Sachsen-Anhalt ist an diesen Eintrag gebunden, kann ihn selbst aber nicht abändern. Das Landeskriminalamt warnt auch davor. „Durch eine Legalisierung wird möglicherweise ein Drogenboom ausgelöst.“ Eine Freigabe werde ein falsches Zeichen setzen. „Es könnte die Meinung entstehen, es ist frei verkäuflich und somit ist es nicht schädlich“. Die Polizei fürchtet eine Freigabe gerade wegen möglicher „Kiffer-Tourismus“. „Bei einer steigenden Anzahl an Betäubungsmittelkonsumenten ist auch mit steigenden Fallzahlen bei Verkehrsdelikten zu rechnen.“ Auch die Beschaffungskriminalität könne steigen. „Damit wächst die Belastung bei Polizei und Justiz weiter.“
3. Die Polizei kann sich endlich mit richtigen Straftaten beschäftigen.
Das tut die Polizei überwiegend sowieso. Von knapp 200?000 Straftaten, die im vergangenen Jahr im Land erfasst wurden, standen nur rund 7?000 im Zusammenhang mit Drogen. Auch diese Fälle aber drehten sich nicht ausschließlich um Cannabis, sondern häufig um Crystal oder harte Drogen wie Heroin. Die Kosten, die durch diese Strafverfolgung entstehen, lassen sich nach Angaben der Landesregierung nicht auf den einzelnen Cannabisfall umrechnen. Sie ließen sich aber auch im Fall einer regulierten Freigabe nicht vermeiden: Statt wie derzeit festzustellen, ob ein Verdächtiger eine zum Eigenverbrauch bestimmte „Bruttomenge von nicht mehr als sechs Gramm“ bei sich führt, müsste die Polizei künftig kontrollieren, ob die dann erlaubte Menge - in Colorado beispielsweise 28 Gramm Cannabis - nicht überschritten ist.. Auch wäre mit einem erhöhten Ermittlungsaufwand zu rechnen, da im Rahmen der Ermittlungen immer der Nachweis des legalen oder illegalen Erwerbs geführt werden müsste.
4. Die Justiz braucht keine Marihuana-Dealer mehr zu verurteilen.
Eine Einsparung, die fast völlig zu vernachlässigen ist. Der Handel mit Marihuana-Produkten führt im Land ohnehin nur etwa zu 400 Strafprozessen pro Jahr. Angesichts von mehr als 120?000 Gerichtsverfahren, die insgesamt stattfinden, nicht mal ein halbes Prozent. Weil der private Besitz von sechs Gramm seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes straffrei bleiben muss, wurden in den letzten zehn Jahren von 47?000 Beschuldigten in Rauschgiftfällen nur 5?400 verurteilt.
5. Durch legalen Verkauf von Marihuana können Jobs geschaffen werden.
Tausende neue Jobs hat das „grüne Gold“ Colorado beschert. Dazu kam ein Gründerboom bei Cannabis-Firmen. Doch vergleichbare Effekte dürfte eine staatliche Regulierung in Sachsen-Anhalt nicht haben. Zwar hat Colorado nur etwas mehr als doppelt so viele Einwohner wie Sachsen-Anhalt, aber beim Tourismus spielt der US-Bundesstaat in einer ganz anderen Liga. Mehr als 50 Millionen Besucher kommen jedes Jahr in den Staat im mittleren Westen - Sachsen-Anhalt zählt hingegen nur knapp drei Millionen. Damit fehlt ein großer Teil der Konsumenten, die das „grüne Wunder“ in den Rockys bewirkt haben.
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6. Schulen würden wieder zu drogenfreien Zonen.
Ein Problem, das nach Aussagen von Schulleitern gar nicht existiert. Als die MZ im vergangenen Jahr über Drogen-Probleme an Schulen des Landes berichtete, wiesen alle genannten Lehreinrichtungen die Behauptung zurück, es gebe in der Schülerschaft ein Drogenproblem. Zudem finden an allen Schulen Aufklärungsveranstaltungen statt. Das Thema Drogen ist auch Bestandteil des Lehrplanes gleich in mehreren Fächern.
7. Drogenanbau im eigenen Land
Obwohl die Polizei im vergangenen Jahr 800 illegale Cannabis-Plantagen auffliegen ließ, winkt Sachsen-Anhalt als Land mit dem größten Anteil an landwirtschaftlicher Nutzfläche aller Bundesländer bei einer Legalisierung kein blühender neuer Landwirtschaftszweig. Hanf ist äußerst empfindlich, der Anbau der Pflanze ist deshalb sehr schwierig. Hanf mag ausgesuchte Böden. Solche Flächen müssten erst aufwendig präpariert werden. Keinesfalls darf der Boden sauer sein, damit fällt schon ein großer Teil der verfügbaren Fläche im Land weg. Auch die Indoor-Aufzucht bringt Schwierigkeiten mit sich: Hanf braucht Licht, viel Licht.
Ein Gewächshaus mit 3?000 Pflanzen benötigt 400 Strahler mit 600 bis 1.000 Watt Leistung. Jede einzige dieser Höhensonnen muss 12 bis 18 Stunden täglich leuchten. Abgesehen von der ökologischen Fragwürdigkeit des Verfahrens schlagen auch die Stromkosten ins Kontor: Mit 280?000 Euro muss der Gewächshausbetreiber rechnen, das sind wegen der hohen Stromkosten in Sachsen-Anhalt etwa 28?000 Euro mehr, als ein Konkurrent in Nordrhein-Westfalen zahlen müsste. Als Hauptanbaugebiet für Hanf käme Sachsen-Anhalt deshalb wohl nicht infrage.
8. Mehr Geld für Schulen und Bildung
Der US-Bundesstaat Colorado investiert einen Teil der Steuereinnahmen aus dem Verkauf von Marihuana direkt in den Bau von Schulgebäuden. Doch eine solche Möglichkeit würde sich Sachsen-Anhalt nicht eröffnen. Bauträger von Schulen sind hierzulande meist die Städte und Landkreise, die vom Land gefördert werden. Das aber hätte nach einer Cannabis-Legalisierung keine zusätzlichen Einnahmen, weil die Einnahmen aus dem Cannabisverkauf durchweg beim Bund landen.
9. Sachsen-Anhalt wird attraktiver - besonders für Künstler.
Früh aufstehen ist eine Tugend, mit der Sachsen-Anhalt seit Jahren für sich wirbt. Ziel ist es, ein junges und leistungsbereites Image aufzubauen, das Investoren anzieht. Diesem Image widerspräche eine Drogenfreigabe: Regelmäßiger Cannabiskonsum, so zitiert die Landesregierung wissenschaftliche Studien, gehe einher mit einem erhöhten Psychoserisiko und der Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. In den letzten zehn Jahren starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums zehn zumeist junge Menschen im Land an den Folgen von Cannabiskonsum. „Die Landesregierung sieht keine Veranlassung“, heißt es deshalb in Magdeburg, „eine Substanz, von der eine Gesundheitsgefahr ausgeht, zu legalisieren.“
10. Die Geburtenrate steigt endlich.
Studien haben zwar gezeigt, dass Marihuana-Konsumenten mehr Lust auf Sex haben, doch einen Anstieg der Geburtenzahlen würde ein Legalisierung des Besitzes geringer Mengen wohl nicht zur Folge haben. Eine Studie von Lani Burkman von der Uni in Buffalo lässt sogar befürchten, dass es weniger Geburten geben könnte. Nach ihren Forschungen sind Konsumenten, die fünf Jahre kiffen, nachweislich weniger fruchtbar als Männer, die sich von der Droge fernhalten. Burkman fand die Anzahl der Spermien reduziert. Die Spermien waren abnormal hyperaktiv und machten schlapp, bevor sie das Ei erreichten.
11. Gestärkte regionale Wirtschaftskreisläufe
In Colorado profitiert die Wirtschaft von einer US-Eigenheit: Cannabis ist im Bundesstaat legal, außerhalb seiner Grenzen aber verboten. Geld, das durch Drogenverkauf eingenommen wird, muss deshalb notgedrungen in Colorado investiert werden. Sachsen-Anhalt leidet derzeit aber nicht unter fehlendem Kapital für Investitionen, sondern unter fehlenden Investitionsmöglichkeiten für vorhandenes Kapital. Die Sparkassen im Land klagten zuletzt über einen Einlagenbestand, der fast doppelt so hoch ist wie die Summe ausgereichter Kredite. Ein Problem, das zusätzliche Drogenmillionen nur noch verschärfen würden. (mz)
