Welttag des Gästeführers Welttag des Gästeführers: Wahrheit und Legende

Naumburg - Um eine fremde Stadt kennenzulernen, durchschreite man sie zu Fuß, am besten mit einer Person, die gut informiert ist und geschichtliches Hintergrundwissen besitzt. In der Regel übernehmen Stadt- oder Gästeführer diese Aufgabe. Mit ihrem soliden Wissen sind sie geeignet, kurzweilige Einblicke in die Historie ausgewählter Orte zu geben.
So auch Karin Baier, die seit über zehn Jahren als Stadtführerin in Naumburg unterwegs ist. Die Vorstandsvorsitzende des Naumburger Gästeführervereins weiß, welche Anforderungen heutzutage an Stadtführer gestellt werden. Im Kopf vieler Menschen existiere oft noch die Vorstellung, dass Lieschen Müller von nebenan vorbeikommt und losplaudert. Aber so sei das ganz und gar nicht, sagt Baier. Sie selbst habe 2004 aus Interesse eine Grundausbildung auf dem Gebiet in Jena absolviert. Sehr unterschiedliche Module zu Themen wie Rhetorik und Rechtsfragen spielten dabei eine wichtige Rolle. Am Ende hatte sie für ihre Qualifizierung sowohl eine schriftliche sowie mündliche Prüfung zu absolvieren, als auch eine Stadtführung ausarbeiten und präsentieren müssen. Knapp zwei Jahre später bewarb sie sich bei der Stadt Naumburg als Gästeführerin. Seitdem geht sie diesem „Hobby“ sporadisch in der Freizeit nach. Bis heute besuchte sie regelmäßig Seminare, die vom Bundesverband für Gästeführer, von der Industrie- und Handelskammer oder der Volkshochschule angeboten werden. Außerdem liest sie Fachliteratur und historische Romane. „Eigentlich ist der Stadtführer schon ein eigenes Berufsbild, doch in Naumburg gibt es zu wenige Aufträge, um davon leben zu können“, erklärt Baier, die hauptberuflich in der Marketingabteilung des Unternehmens CK Domstadt-Hotels tätig ist. Das touristische Potenzial der Stadt, meinst sie, sei längst noch nicht ausgeschöpft. Naumburg werde von großen Reiseunternehmen ein wenig vergessen und oft nur als kleine Station zwischen Leipzig und Dresden angesteuert.
Um besser vernetzt und abgesichert zu sein, hat sich die Mehrheit der hiesigen Stadtführer im Jahr 2014 im Naumburger Gästeführerverein zusammengefunden. Momentan besteht dieser aus 20 Mitgliedern. Aber für eine mittelgroße Stadt wie Naumburg reiche das nicht immer aus: „Wir
brauchen weitere Gästeführer und freuen uns über jedes neue Mitglied“, sagt Baier. Besonders in den Monaten Mai und September kommen die Stadtführer in Naumburg an ihre Grenzen. Mit bis zu fünf Führungen an einem Tag können dann personell schon mal Engpässe entstehen. Hinzu kommt, dass einige der Stadtführer berufstätig sind und nur an den Wochenenden zur Verfügung stehen. Andere wiederum mussten in der Vergangenheit aus Altersgründen aufhören. Trotzdem sei der Verein dabei, sich zu verjüngen.
Wer Lust hat, als Stadtführer tätig zu werden, sollte vor allem Interesse an Geschichte und Geschichten mitbringen. „Eine gute Stadtführung ist immer eine Gratwanderung zwischen Wahrheit und Legende“, so Baier. Sich hinzustellen und Jahreszahlen herunterzubeten, wäre nicht Sinn der Sache. Denn die Gäste sollen auf ihrer Führung auch gut unterhalten werden. Gestik, Mimik, Ansprechhaltung sowie Rhetorik seien wichtige Punkte, hebt Baier hervor. Aber auch die Freude am Umgang mit Menschen gehöre dazu. Letztlich sei jede Führung anders, denn unterschiedliche Dinge werden thematisiert. „Was erzählt wird, ist oftmals auch abhängig von den Gästen und den Fragen: Wie bekomme ich deren Aufmerksamkeit? Wie bringe ich sie zum Lachen? Was muss ich beachten, wenn Kinder oder Menschen mit Behinderung dabei sind?“, macht Baier deutlich. Eines weiß die Gästeführerin ganz sicher über den Job: „Wer einmal Blut geleckt hat, der bleibt dabei.“