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Weinbau in Ostdeutschland Weinbau in Ostdeutschland: Großes aus dem Nichts

Von Michael Heise 07.12.2020, 10:09
Online-Termin mit der Bundesstiftung „Aufarbeitung“: Die Winzer Bernard Pawis aus Freyburg (r.) und Georg Prinz zur Lippe aus Proschwitz sprechen mit Moderator Jörg von Bilawsky (l.) über die Entwicklung des ostdeutschen Weinbaus.
Online-Termin mit der Bundesstiftung „Aufarbeitung“: Die Winzer Bernard Pawis aus Freyburg (r.) und Georg Prinz zur Lippe aus Proschwitz sprechen mit Moderator Jörg von Bilawsky (l.) über die Entwicklung des ostdeutschen Weinbaus. MHE

Freyburg - Weinbau in Ostdeutschland - wie er sich seit der Wende aus der Bedeutungslosigkeit zum anerkannten Player entwickelt hat und wie ihn Winzer aus Ost und West mitgeformt haben, darüber sprachen jetzt Bernard Pawis aus Freyburg und Georg Prinz zur Lippe aus Proschwitz online mit Jörg von Bilawsky von der Bundesstiftung „Aufarbeitung“, die damit auch die Frage beantwortet haben wollte, ob zusammengewachsen ist, was zusammengehört.

Beide Winzer stehen exemplarisch für Ost und West: Der eine in Freyburg auf einem kleinen Familienweingut aufgewachsen und heute zu den erfolgreichsten Winzern an Saale-Unstrut zählend, der andere aus München nach Sachsen gekommen, wo er seine familiären Wurzeln hat und aus einem alten LPG-Betrieb ein Vorzeige-Weingut aus dem Boden stampfte. Was beide eint, ist, dass sie quasi aus dem Nichts Großes geschaffen haben und erfolgreich einem Vorurteil westdeutscher Kollegen begegnen können, dass ostdeutscher Wein, also der von Saale-Unstrut und aus Sachsen, nichts tauge. Zusammen sind sie Mitglied im Verband deutscher Prädikatsweingüter (VdP), ihre Weine gibt es heute in Hotels und auf Schiffen genauso wie in der gehobenen Gastronomie.

Pawis erzählt, dass er schon als Kind im 0,15-Hektar-Weinberg der Eltern mitarbeiten musste. „Unkraut hacken, wenn andere schwimmen gehen, das war normal. Unseren Wein hatten wir an die Winzergenossenschaft zu liefern, ein Teil war für den Eigenbedarf, und noch einen Teil brauchten wir, um zu tauschen. Beispielsweise gegen Trabi-Reifen. Erlaubt war das nicht“, lässt der Winzer durchblicken.

Die Entscheidung, nach der Wende das elterliche Weingut weiterzuführen, zu vergrößern und sich schließlich in Zscheip-litz niederzulassen, sei eine weitreichende, aber goldrichtige gewesen. „Es war viel Ungewissheit und Arbeit, Freizeit gab es kaum. Doch man darf nicht labern, sondern muss machen. Es ist toll, als Unternehmer kreativ sein und etwas schaffen zu können“, meint Bernard Pawis.

Georg Prinz zur Lippe ist nach der Wende in die Heimat seiner Vorfahren zurückgekehrt. Seine Eltern waren nach dem Krieg in Sachsen komplett enteignet worden, dazu gehörte auch Schloss Proschwitz, heute wieder in Familienbesitz und längst klangvoller Name für sächsische Weinkultur. In den letzten drei Jahrzehnten wurden die Weinbergsflächen des Betriebs kontinuierlich erweitert. „Ich hatte eigentlich keinerlei Ambitionen, weder Wein zu machen, noch nach Sachsen zu gehen. Doch mein Vater legte es mir ans Herz, und es war genau der richtige Weg“, verdeutlicht Prinz zur Lippe, der zunächst von München aus versucht hatte, in der ehemaligen LPG in Proschwitz die Fäden zu ziehen, was aber scheiterte. „Ich musste also dorthin; wohnte in einer Weinbergshütte ohne Strom und nur mit kaltem Wasser. Viele Menschen hatten zunächst Vorbehalte. Man brauche hier keine Adligen, hieß es oft. Sogar Reifen wurden zerstochen. Doch die haben gesehen, wie ich lebe, dass ich etwas schaffen möchte und irgendwie auch nicht anders bin.“

Pawis und Prinz zur Lippe sehen den Weinbau an Saale und Unstrut beziehungsweise in Sachsen heute mindestens ebenbürtig zu dem in den anderen deutschen Anbaugebieten, wobei die geringeren Erträge, nicht wenige Steillagen bei zugleich besonderen Böden zu einer gewissen Exklusivität beitrügen. Das alles stehe im Zeichen des Klimawandels, der nicht nur eine andere Bewirtschaftung verlange, sondern auch traditionelle Rebsorten wie Müller-Thurgau zugunsten hochwertigerer wie Riesling und Burgunder verdränge. Doch die starke Regionalität werde bleiben, sind sich beide Winzer sicher. Sie mache den ostdeutschen Weinbau besonders.

Das Online-Gespräch ist aufgezeichnet unter www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/livestream