Totensonntag Totensonntag : Wo Leben auf Tod trifft

Naumburg - Unweigerlich fällt der Blick auf die Namen - und die Lebensdaten. Zahlen, in Sedimentgestein graviert, die die Zeit zwischen Geburt und Tod einrahmen, nur wenige Monate beziehungsweise Jahre oder zahlreiche Jahrzehnte erfassen. Zeit, in denen große wie kleine Ereignisse geschehen sind, die gefüllt war mit den Stationen eines Lebenswegs und wohl auch mit so manchem Schicksalsschlag.
Ein Gefühl der Demut stellt sich ein, während hier auch Leben herrscht. Ein Mann mit einem Gesteck in der Hand läuft schnellen Schrittes über den Eingangsbereich des Neuen Friedhofs. Einige Besucher decken Gräber ein. Mitarbeiter kehren auf den Wegen das bunte Herbstlaub. Heide, Astern und Chrysanthemen sorgen ebenfalls für Farbe. In einem Strauch hocken Amseln. „Wenn einem nach Ruhe und Entspannung ist, warum sollte man nicht bei schönem Wetter den Neuen Friedhof besuchen?“ Die Worte von Friedhofsverwalter Andreas Legall sind als Einladung zu verstehen - nicht nur an jene, die Gräber von Angehörigen pflegen. Denn der nahezu 13 Hektar große Friedhof an der Weißenfelser Straße ist ein Park, eine grüne Oase, die sich noch immer verändert. Kürzlich wurden Dachulmen als Ersatz für vertrocknete Fichten sowie ein Küstenmammutbaum gepflanzt.
Bald 120-jähriges Bestehen
Bereits seit einiger Zeit unterliegt die Bestattungskultur - in diesem Jahr wurde die deutsche Friedhofskultur zum immateriellen Kulturerbe erklärt - einem Wandel. Die großen mächtigen Grabdenkmäler wie die des Unternehmers Adolph Dattan oder des Oberstleutnants Heinrich von Blücher gehören längst der Vergangenheit an.
Der Trend gehe zu Urnenbeisetzungen und Rasengräbern mit stehendem oder liegendem Stein, erläutert Legall bei einem Rundgang. Neben dem Neuen Friedhof, der 2021 sein 120-jähriges Bestehen begeht und auf dem sich rund 6.500 Gräber befinden, betreut der Verwalter zudem die 16 Friedhöfe in den Ortsteilen der Domstadt. Ein Blick auf die nunmehr kleineren Grabsteine lohnt sich dennoch. Wegen ihrer verschiedenen Formen, den eingravierten Symbolen, die über die Person des Verstorbenen berichten können.
Die Zahl der verwaisten und ungepflegten Gräber sei sehr gering, sagt Andreas Legall. Jedes Jahr findet eine Kontrolle statt, bei der die Standfestigkeit des Grabsteins, die Nutzungszeit und der Pflegezustand begutachtet werden. Grüne oder gelbe Aufkleber künden vom Ablauf der Nutzungsfrist oder von der Gefahr, dass der Stein unsicher steht. „Manchmal müssen wir allerdings auch die Adressen der Hinterbliebenen recherchieren, um sie anzuschreiben und sie darauf hinzuweisen“, berichtet Legall.
Anlage für Sternenkinder
Ortswechsel: Auf dem Naumburger Othmarsfriedhof decken ebenfalls Besucher Gräber ein. Auf dem rund anderthalb Hektar großen Gelände der evangelischen Kirchengemeinde gibt es rund 6.000 Gräber beziehungsweise Grablager. „Vor allem die Zahl der Bestattungen in einer Gemeinschaftsanlage nimmt zu“, berichtet Friedhofsverwalter Egbert Rockstroh. „Meist sollen die Angehörigen nicht in die Pflicht genommen werden, das Grab später zu pflegen.“ Auch er beobachtet die Entwicklung hin zu Urnenbestattungen, die schätzungsweise bereits 90 Prozent der Beisetzungen ausmachen.
Der im Jahr 1543 gegründete Othmarsfriedhof unweit der Innenstadt ist im Gegensatz zum Neuen Friedhof mehr als 350 Jahre älter. Ein besonderes Zeitzeugnis ist die Mauer, deren Abschnitte aus verschiedenen Epochen stammen und deren Erhaltung eine Herausforderung darstellt. Noch recht neu hingegen: die Anlage für Sternenkinder, die, in der Nähe anderer Kindergräber, im vergangenen Jahr entstanden ist. Hier liegen neben Kerzen und Engelsfiguren kleine Plüschtiere. „Die Anlage wird sehr gut angenommen“, sagt Rockstroh, der dem Friedhof noch eine weitere wichtige Funktion zuweist: „Er ist auch ein Ort für Begegnungen“. Im kommenden Jahr soll ein neuer Bereich mit einer Gemeinschaftsanlage sowie einer Fläche für Erdbestattungen angelegt werden.
Egbert Rockstroh hält es für wichtig, über Sterben und Tod zu sprechen - nicht nur im Fall einer kommenden Bestattung oder mit Blick auf den letzten Wunsch. Rockstroh: „Im Besinnen auf die Vergänglichkeit, auf das Miteinander und das, was war, kann auch Dankbarkeit liegen.“
Auf dem Othmarsfriedhof findet am Sonntag ab 15 Uhr eine Andacht statt. Der traditionelle Auftritt des Männerchors Grochlitz in der Kapelle auf dem Neuen Friedhof muss indes coronabedingt ausfallen.

