1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Burgenlandkreis
  6. >
  7. Todesfalle Mähdrescher: Drohneneinsatz zum Schutz von Rehkitzen

Rehkitzrettung Unstruttal Todesfalle Mähdrescher: Drohneneinsatz zum Schutz von Rehkitzen

Jedes Jahr sterben zehntausende Jungtiere unter landwirtschaftlichen Mähmaschinen auf Deutschlands Feldern. Im Unstruttal sind deshalb Ehrenamtliche frühmorgens unterwegs, um sie davor zu bewahren. Moderne Technik hilft ihnen dabei.

Von Antonie Städter Aktualisiert: 7.5.2021, 17:43
Mit ihrer neuen Drohne können die Kitzretter Tim Uhlig und Max Enders bis zu 60 Hektar Fläche pro Stunde absuchen.
Mit ihrer neuen Drohne können die Kitzretter Tim Uhlig und Max Enders bis zu 60 Hektar Fläche pro Stunde absuchen. (Foto: Andreas Stedtler)

Unstruttal - Jetzt, im Mai, geht es wieder los. In den frühen Morgenstunden, bevor die Sonne aufgeht und ihr eigentlicher Job beginnt, machen sich Engagierte aus der Region um das Unstruttal (Burgenlandkreis) auf den Weg, treffen sich an Feldern. Oft wissen sie erst am Abend zuvor, dass ein Einsatz ansteht - die Witterung zählt. Meist sind sie zu sechst. Mit dabei: eine Drohne mit Wärmebildkamera, mit der sie nun wieder regelmäßig Leben retten.

Die Ehrenamtlichen gehören zur „Kitzrettung Unstruttal“, und genau darum geht es: Sie bewahren Rehkitze vor dem Tod unter landwirtschaftlichen Mähmaschinen. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 100.000 Kitze hierzulande jedes Jahr auf diese grausame Weise zu Tode kommen, andere tragen Verletzungen davon. Denn zu der Zeit, in der bei vielen Landwirten der erste Grünlandschnitt ansteht, werden die Kitze geboren.

Rehkitze: Keine Chance ohne Fluchtinstinkt

Die Jungtiere besitzen noch keinen Fluchtinstinkt. „Bei Gefahr drücken sie sich flach auf den Boden, sichtgeschützt im hohen Gras, in dem die Ricke sie abgelegt hat“, erklärt Max Enders aus Freyburg (Unstrut), der seit Jahren im Tierschutz aktiv ist. Dieses Verhalten sei eine effektive Strategie gegen natürliche Feinde - zumal die Kitze noch keinen Eigengeruch haben.

Doch: „Bei Mähwerken mit sechs Metern Arbeitsbreite und einer Geschwindigkeit von 25?Kilometern pro Stunde haben sie keine Chance“, sagt der Gärtner und Baumpfleger, der die Kitzrettung Unstruttal voriges Jahr als Privatinitiative gegründet hat. Auf den Mähmaschinen sind die Tiere in dichten Grasbeständen oft nicht zu entdecken.

Ein Kitz, das die Unstruttaler Tierschützer gefunden haben.
Ein Kitz, das die Unstruttaler Tierschützer gefunden haben.
(Foto: Rehkitzrettung Unstruttal)

Zu Beginn ihrer zweiten Saison haben sich die Abläufe bei den Kitzrettern längst eingespielt. „Die Landwirte informieren uns, wenn sie eine Mahd planen“, erzählt Enders, der meist als Drohnenpilot im Einsatz ist. „Mit Hilfe des Standorts und der Information, wann und wo genau mit dem Mähen begonnen wird, erstellen wir vorab Routen, so dass die Drohne am Morgen vor der Mahd im Autopilot fliegen kann.“

Schutz vor landwirtschaftlichen Mähmaschinen - Rehkitze mit Drohnen aufgespürt

Zum Team gehört neben dem Piloten ein Beobachter, der den Bildschirm im Blick behält, sowie zwei Trupps mit je zwei Läufern, die per Funk zu den mit der Wärmebildkamera aufgespürten Kitzen gelotst werden. Bei der Suche seien stets auch die zuständigen Jagdpächter vor Ort.

Voriges Jahr haben sie in der Saison, die etwa bis Anfang Juli dauert, 21 Kitze entdeckt. „Befindet sich ein Jungtier am Feldrand, wird es in einer Kiste vorsichtig zur Seite getragen“, erklärt Marie-Luise Luther, die meist als Läuferin dabei ist, „liegt es aber mitten auf dem Feld, wird das mit Flatterband oder Bambusstäben kenntlich gemacht. Die Landwirte mähen dann an diesen Stellen nicht.“

Wichtig sei, das Tier nur mit Handschuhen zu berühren: „Wird es direkt angefasst, besteht die Gefahr, dass die Ricke es nicht mehr annimmt“, so Luther, die freie Fernseh- und Radioredakteurin und bei den Kitzrettern auch für die Website und Social Media zuständig ist. Zudem dürften zwischen dem Sichern und Freilassen des Tieres nicht mehr als sechs Stunden vergehen.

Kitzretter aus dem Unstruttal erhalten Förderung

Wer übrigens beim Spazierengehen ein Rehkitz entdecke, sollte es keinesfalls anfassen - auch wenn es hilflos wirkt. „Die Ricke findet ihr Kind. Es ist normal, dass sie nur drei bis viermal am Tag bei ihm ist“, sagt Enders. Wer einen Hund dabei hat, sollte ihn in dieser Zeit an der Leine führen.

Bis vor kurzem sind die Kitzretter noch mit ihren Privatdrohnen geflogen, doch mit einer Förderung vom Land Sachsen-Anhalt in Höhe von 5.500 Euro konnten sie nun ein neues Gerät samt Monitor und Ersatzakkus anschaffen, das die Kitzsuche deutlich erleichtere und ihnen nebenbei etwas mehr Schlaf verschaffe, wie Max Enders erzählt. „Damit können wir höher und schneller fliegen, und dank der Kamera mit ihrer viel höheren Auflösung vor allem ein viel breiteres Suchfeld abdecken. Schafften wir zuvor rund zehn Hektar pro Stunde, so sind es jetzt 40 bis 60 Hektar.“

Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums stehen rund 300.000 Euro Fördermittel aus der Jagdabgabe pro Jahr zur Anschaffung von Drohnen für diesen Zweck zur Verfügung. Ihr Einsatz habe sich bei der Kitzsuche bewährt - zumal das klassische Absuchen der Grasflächen mit Hunden oder Helfern einen hohen personellen und zeitlichen Aufwand erfordere.

Drohnensuche nicht nur für Rehkitze geeignet

„Hinzu kommt, dass nicht alle Rehkitze aus Bodensicht entdeckt und vor dem Mähwerk gerettet werden“, heißt es im Ministerium. Das Verfahren mit Drohne biete Landwirten und Jagdausübungsberechtigten die Möglichkeit, „effektiv ihrer tierschutzrechtlichen Verantwortung gegenüber den Wildtieren nachzukommen“.

Bei der Suche  hilft der Monitor mit  dem Wärmebild.
Bei der Suche hilft der Monitor mit dem Wärmebild.
(Foto: Rehkitzrettung Unstruttal)

Nicht nur für den Schutz von Rehkitzen ebenso wie übrigens jungen Feldhasen oder gefährdeten Wiesenbrütern eignet sich die fliegende Technik. „Drohnen können im Naturschutz in ganz verschiedenen Bereichen angewendet werden. Sie haben dabei in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen“, sagt Matthias Pietsch von der Hochschule Anhalt.

„Am gängigsten ist ihr Einsatz beim Monitoring und der Dokumentation: Die Luftbildaufnahmen werden also zum Beispiel für die Wildtierzählung genutzt oder um Veränderungen in der Landschaft, etwa infolge von Windbruch, zu dokumentieren“, so der Professor für Angewandte Geoinformatik und Fernerkundung.

Forschungsprojekt: Wiesenbrüter mit Drohnetechnik schützen?

In einem Forschungsprojekt werden derzeit die Möglichkeiten ermittelt, Wiesenbrüter wie die Feldlerche, Schafstelze, den Kiebitz oder Brachvogel mittels Drohne aufzuspüren und die Gelege - ähnlich wie bei den Rehkitzen - zu schützen. „Die Koordinaten, wo sich diese befinden, werden an die Landwirte übermittelt, die diesen Bereich bei der Mahd dann aussparen“, sagt Pietsch.

Gleichzeitig werde auch untersucht, inwiefern sich solche Drohnenflüge störend auf die Vögel auswirken: „Im vorigen Jahr haben wir einen Test mit einer Drohne in unterschiedlichen Flughöhen über bekannten Neststandorten gemacht - mit einer Sondergenehmigung und betreut vom jeweils zuständigen Ornithologen vor Ort.“ In dem Projekt solle nun ermittelt werden, „welche Störwirkung durch die Technik im Vergleich zu anderen Ereignissen wie das Auftauchen von Menschen, Greifvögeln oder landwirtschaftlichen Maschinen auftreten“.

Unterdessen sind die Ehrenamtlichen im Unstruttal dieser Tage nicht nur frühmorgens im Dienste der Rehkitzrettung unterwegs, sie trainieren auch zu anderen Zeiten die Bedienung der neuen Drohne. Mit einem festen Kern von zwölf Mitstreitern sei das Projekt, das sich dem Tierschutzverein Freyburg angeschlossen hat, gut aufgestellt, so Max Enders.

Mehr Initiativen zur Rehkitzrettung- aber immer noch zu wenige

Menschen aus ganz verschiedenen Berufen und Bereichen machen mit - von Jägerinnen und Feuerwehrleuten über eine Tierärztin bis zum Rettungssanitäter. „Wir sind ein eingespieltes Team und treffen uns auch mal privat“, sagt Marie-Luise Luther.

Gute Kontakte halten die Unstruttaler auch zu einer weiteren Gruppe, die sich im Süden Sachsen-Anhalts beim Schutz der Jungtiere einbringt: die Rehkitzretter vom Tierschutzverein Gera, die auch im Burgenlandkreis, insbesondere im Zeitzer Raum, aktiv sind. „Wir stehen in einem engen Erfahrungsaustausch“, sagt Drohnenpilot Burghard Hebold, der sich seit zwei Jahren im Geraer Verein engagiert - ebenso wie seine Frau und sein Sohn.

„Von Jahr zu Jahr gibt es mehr Initiativen zur Kitzrettung, manche Landwirte legen sich auch selbst solch eine Ausrüstung zu“, weiß der Rentner, „und toll finde ich, dass sich auch viele junge Leute in dem Bereich einbringen.“ Denn es gebe bei der Rehkitzrettung noch „sehr, sehr viel zu tun“.

Rehkitzrettung: Mehr Initiativen und flexible Truppen benötigt

Ganz genauso sieht das Max Enders: „Wir benötigen noch viel mehr Initiativen.“ Sicher, solche meist sehr kurzfristig anberaumten Einsätze zu organisieren, sei nicht immer leicht - „da braucht man eine sehr flexible Truppe“. Doch an Einsatzfreude mangelt es den Kitzrettern nicht - auch, weil sie ein gemeinsames Ziel haben. Oder, wie es Marie-Luise Luther ausdrückt: „Es gibt nichts Schöneres, als so ein Kitz zu finden - und beim Anblick dieses Bündels zu wissen, es ist gerettet.“

Auf der Seite www.kitzrettung-hilfe.de kann man sich als Helfer oder als hilfesuchender Landwirtschaftsbetrieb registrieren lassen. (mz)