1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Burgenlandkreis
  6. >
  7. Stadtrundgang in Naumburg: Stadtrundgang in Naumburg: Immer am Wald lang

Stadtrundgang in Naumburg Stadtrundgang in Naumburg: Immer am Wald lang

Von Klaus-Dieter Kramer 07.11.2018, 11:43
Das Café und Restaurant „Waldschloß“ - ein beliebtes Ausflugsziel - auf einer Postkarte von 1915.
Das Café und Restaurant „Waldschloß“ - ein beliebtes Ausflugsziel - auf einer Postkarte von 1915. Kramer

Naumburg - An die regelmäßigen, meist ausgedehnten Spaziergänge und Wanderungen, die üblicherweise noch vor 50 oder 60 Jahren sonntags im Familienkreise auf der Tagesordnung standen, erinnern sich bestimmt oft nur noch ältere Menschen. Die Naumburger konnten unter den vielfältigsten Zielen wählen und ihre Schritte in alle Himmelsrichtungen lenken. Einer der Favoriten aber war der Weg nach Süden, „in die Berge“ und durch die grüne Lunge der Domstadt mit Bürgergarten, Rosengarten, Waldschlosswiese, Steingarten und Buchholz. Da kam, von der Stadtmitte gerechnet, mit Hin- und Rückweg entlang der Neidschützer Straße schon mal eine ordentliche Strecke von zwölf bis 15 Kilometer zusammen.

Heute erscheint gerade eine Stippvisite an diesem Straßenzug außerhalb der Stadtmauern besonders interessant, da sich manches in Vergleich zu den Erinnerungen gewaltig verändert hat. Eines der beliebtesten Ziele war die Neidschützer Straße Nummer 71, das „Waldschloss“, früher eine Gaststätte und Hotel mit einem großen Tanz- und Ballsaal. August Petraschk hieß noch vor 80 Jahren der Gastwirt. Danach hatte das Grundstück mehrere Besitzer. Doch es wurde kaum instand gehalten oder darin etwas neu investiert. Tanz ist längst passé, Speisen und Getränke werden hier schon lange nicht mehr angeboten.

Über die jüngere Vergangenheit des Areals sollte besser der Mantel des Schweigens gedeckt bleiben. Seit fünf Jahren ist nun hier der Töpfer, Keramiker und Designer Thomas Schulz mit seiner Familie eingezogen und mit seinem Kunsthandwerk zugange. Über 22 Jahre hinweg hatte der Mittfünfziger seine Werkstatt und den Lebensmittelpunkt an den Almricher Weinbergen. „Tonhaus Thomas“ heißt seine Töpferei heute. Seine Brunnen, Trinkschnecken und großen Kugeln sind inzwischen legendär.

In und an vielen Gebäuden Naumburgs hat Thomas Schulz mit seinen kleinen Kunstwerken, Hauszeichen oder Kacheln seine Spuren hinterlassen. Gegenwärtig wirkt er an einem Brunnen aus Beton, der seinen Platz in der wald- und seenreichen Landschaft Mittelschwedens finden wird. „Eine große Schale aus Beton als Becken ist schon fertig und hat die Reise nach Skandinavien überstanden. Da wird im nächsten Jahr noch eine entsprechende Säule hinzukommen, die ich noch herstellen muss“, erklärt der Kunsthandwerker. Nur mit dem Grundstück, nämlich das Waldschloss wieder einigermaßen in den Griff und auf Vordermann zu bekommen, werde er wohl in seinem Leben nicht mehr fertig werden, sagt er.

Doch sollten wir unseren Streifzug vom Ursprung her beginnen. Die Neidschützer Straße hat ihren Namen 1910 gegen Ende der architektonischen Gründerzeit erhalten. Sie ist stadtauswärts überwiegend nur auf der rechten Seite bebaut worden. Gegenüber befindet sich der Wald. Laut alter Adressbücher begann der Straßenzug „Über dem Bürgergarten“. Die Hausnummer 1 wird heute noch bei den meisten Naumburgern mit der „Agraringenieurschule“ verknüpft. Doch hatte 1931 hier eine Haushaltsschule, die von Nebra nach Naumburg verlegt worden war, ihr Domizil gefunden. Mit 42 Haushaltungsschülerinnen, die mindestens 16 Jahre alt sein mussten, wurde die Landwirtschaftliche Haushaltungsschule in Naumburg eröffnet. Der Zweck der Ausbildung bestand darin, den künftigen Landfrauen theoretische und praktische Kenntnisse für die Führung eines ländlichen Haushalts zu vermitteln. Auch in den Kriegsjahren von 1939 bis 1945 fand diese Ausbildung statt.

Mit Gründung der DDR entstand hier eine Lehrgangsschule. Sie bildete Spezialisten für Pflanzenschutz und technische Arbeitsnormung vorrangig für die neu geschaffenen Volkseigenen Güter aus. 1954 erhielt sie den Status „Fachschule für Landwirtschaft“. Ausgebildet wurden nun „Staatlich geprüfte Landwirte“. Als „Agraringenieurschule“ galt sie ab 1968. Ein Schulneubau für 300 Studenten, eine Mensa mit Küchentrakt, das Studentenwohnheim mit 350 Plätzen und die Turnhalle wurden bis 1978 Stück für Stück errichtet. Bis 1998 dauerte dieser Schulbetrieb. Später fanden hier die Berufsbildenden Schulen solange eine ihrer Heimstätten, bis auch sie durch Fusionen aus Naumburg „verschwanden“.  Heute unterhält hier die Kreisverwaltung des Burgenlandkreises mit dem Amt für Kultur und Sport und dem Bauamt eine Außenstelle. 

Nur wenige Schritte braucht es zu einer Reihe heute durchaus noch ansehnlicher Villen aus der Anfangszeit der Straße. Mit dem Haus Nummer 19 ist der Name von Fritz Ernst Rentsch verbunden. Er wurde 1867 in Dresden geboren, war Lehrer und Professor an der Kunstakademie in Leipzig und siedelte nach seiner Pensionierung 1933 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Anny Schäfer (1891-1977), der Konzertpianistin und Lehrerin, nach Naumburg über. Rentsch starb 1946. Im Haus in der Neidschützer Straße wurde eine Gedenkstätte mit seinen Werken und Stücken aus dem Nachlass eingerichtet, die allerdings nach Anny Schäfers Ableben im Jahr 1977 aufgelöst wurde. n der Reihe mit den Villen vorbei, dringt aus einem durch Grün etwas versteckten Grundstück Kinderlachen, Streiten, Geplapper und Singen. Hier hat sich seit elf Jahren die Kindertagesstätte „Waldkonzert“ etabliert. Der Trägerverein „Dechantengrund“ hatte bereits 2005 durch seine Gründung und die Übernahme die drohende Schließung der gleichnamigen Kita verhindert. Chefin Cornelia Pförtsch war es gelungen, für diesen Verein Gleichgesinnte zu finden.

Ein Jahr später konnte mit dem Konzept „Waldkindergarten“ der beengten Raumsituation am Dechantengrund zum Trotz eine Kapazitätserweiterung erreicht werden. Seitdem fühlen sich die Waldkinder im Buchholz und an ihrem Bauwagen pudelwohl. Da war die Eröffnung der Kindertagesstätte „Waldkonzert“ nur noch eine Ergänzung des vom Trägerverein eingeschlagenen Wegs, denn auch hier steht das Spielen im Grünen, den Wald gleich gegenüber und nebenan, im Vordergrund.

Die Nachbarn der Waldkonzert-Kinder sind die Bewohner des Awo-Seniorenzentrums „Am Rosengarten“. Seit 2004 betreibt die Arbeiterwohlfahrt hier ein Pflegeheim mit 63 Plätzen. Die Geschichte des Hauses begann 1929 mit der Einweihung eines „Posttöchterhorts“. Dahinter stand die Idee, allein stehenden Frauen und Töchtern von Postbeamten eine Alterswohnstätte zu verschaffen. 1951 wurde der Posttöchterhort geschlossen. Von 1952 bis 1993 diente das Haus als Postfach- und als Ingenieurschule für Post- und Zeitungswesen.

Nur knappe 100 Meter weiter ist ein lang gestrecktes Gebäude zu entdecken, das eine erstaunliche Metamorphose erlebte. Was einst als Lehrlingswohnheim des Landbaukombinats errichtet und auch von Lehrlingen anderer Gewerke genutzt wurde und wo später parallel die Krankenpflegeschule des Naumburger Krankenhauses angesiedelt war, ist heute nach umfassendem Umbau und Modernisierung ein Wohngebäude mit etwa 40 Etagenwohnungen entstanden. Durch Aufstockung des Flachbaus wurden Reihenhäuser geschaffen. Für den Rückweg wären die Waldwege auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu empfehlen. Dort können der Zustand und die Verhältnisse am Steingarten, auf der Waldschlosswiese und Klettergarten in Augenschein genommen worden. Auch ein Abstecher zum Rosengarten und dem dort zu findenden Wassertürmchen gehört dazu. Ja, und um doch noch die Gastlichkeit dieses Fleckchens Erde genießen zu können, würde eine Einkehr in die Gaststätte „Bürgergarten“ sicher gut tun.