Nietzsche-Dokumentationszentrum Nietzsche-Dokumentationszentrum: Lieferung über großen Teich

Naumburg - Um etwa zwei Kubikmeter Bücher wird das Nietzsche-Dokumentationszentrum Naumburg in wenigen Tagen enger. Bereichert wird das Archiv um die private Bibliothek des US-Amerikaners Earl R. Nitschke. Der Kunstprofessor aus Michigan, der seine private Nietzsche-Sammlung „The Enigma Library“ nannte, entschloss sich Anfang des Jahres, diese dem Nietzsche-Dokumentationszentrum zu überlassen.
Bestand in englischer Sprache
Wie viele Bücher das genau sind, weiß Ralf Eichberg, Leiter des Nietzsche-Dokumentationszentrums, derzeit nicht. Mit Gewissheit kann er aber sagen, dass es vor allem englischsprachige Literatur und damit „komplementär zum jetzigen Bestand“ ist, der in der Krumme-Sammlung seinen Ursprung hat. Es gebe vermutlich, so Eichberg, nur wenige Doubletten. Interessant auch: Allein der Zarathustra findet sich in 14 Sprachen in Nitschkes Sammlung. Noch in dieser Woche soll die Bibliothek des wohl weit über 80-jährigen Amerikaners in Naumburg eintreffen.
Bislang waren es vor allem selbst gestaltete Postkarten, die Nitschke als Mail-Art-Künstler ab 1996 in die Welt hinausschickte - mit verschiedenen Nietzsche-Motiven. Von jedem Motiv - 40 fertigte er fortan vermutlich pro Jahr an und nummerierte diese durch - verschickte er jeweils 50 Karten. Die allererste ging an seinen Landsmann Richard Frank Krummel. Das erste Motiv zeigt jenen Nietzsche-Kopf, wie er im Weimarer Archiv zu finden ist. Nitschke fertigte davon eine imaginäre Briefmarke an.
Mit den Jahren griff der Künstler immer mehr Nietzsche-Themen auf. Neben realen Porträts brachte Nitschke verfremdete Porträts auf die Karten, zeigte den Philosophen als Papst, als Baseballspieler oder als Sherlock Holmes. Später versetzte er Nietzsche auf den Postkarten an andere Orte wie an die Chinesische Mauer, vor die Pyramiden Ägyptens oder zeigte Nietzsche-Orte wie Sils Maria. Außerdem fertigte er zu über Nietzsche erschienene Aufsätze und andere Literatur fiktive Buch-Cover an. Selbst Briefmarken mit Nietzsche-Porträts gestaltete er. Dabei arbeitete der Künstler viel mit Holz- und Linolschnitt.
Gedanken über Nachlass
„Für mich“, so Eichberg, „ist interessant, dass er auch erotische Geschichten gestaltete.“ So zeigt eines seiner Motive, wie eine nackte Schönheit seine private Nietzsche-Bibliothek begutachtet. In den 200er Postkarten-Nummern beginnt Nitschke sich Gedanken um die Zukunft seiner Bibliothek zu machen. Mit neuen Motiven stellt er die Frage, ob sie auf dem Mond, in der Wüste oder gar in der Hölle landen wird. Die letzte Karte, Nummer 834, erreichte Eichberg. Zwischendurch erhielt er Post von Nitschke mit der Anfrage, ob die Friedrich-Nietzsche-Stiftung die Sammlung haben wolle. Das war 2011. Seither stehen die beiden in Kontakt.
Fortan erkundigte sich Nitschke, wie die Bücher unversehens über den großen Teich kommen könnten, konsultierte Speditionen und fertigte anhand der Informationen Zeichnungen von den auf einer Palette gestapelten Bücherboxen an. In dieser Zeit haderte er noch damit, sich von der Sammlung zu trennen. Indes schickte ihm Eichberg Fotografien davon, was er mit den ihm bereits überlassenen Nietzsche-Postkarten angefangen hat.
Bei sich daheim fand Nitschke, der fernab von Handy und Internet lebt, eine Spedition, die die private Bibliothek für rund 2000 Dollar verschicken wollte. Dann sprang diese ab. Für die beiden Männer begann die Suche im Speditions-Dschungel. Fündig wurde Eichberg in Frankfurt am Main. Eine Firma nahm sich des Auftrags an - Kostenpunkt: 3500 Euro plus Mehrwertsteuer. Nun drohten die Finanzen der Übereignung einen Strich durch die Rechnung zu machen. Doch Eichberg hatte nicht mit einer spontanen Spende gerechnet.
Spende aus Hongkong
Diese kam von Ben Fan. Der Familienvater aus Hongkong, las bereits als 15-Jähriger Nietzsche. Er buchte eine zweitägige Individualreise auf den Spuren Nietzsches in und um Naumburg. Dabei hatte er Ralf Eichberg dicht an seiner Seite, der ihm die Nietzsche-Stätten in Schulpforte, Naumburg und Röcken zeigte. Begeistert überließ Fan der Stiftung sogleich 1000 Euro. Wenig später ereilte Eichberg eine noch größere Überraschung: Fan stiftete 10000 Euro und stellte damit Nitschkes Überlassung seiner Bibliothek finanziell auf ein sicheres Fundament.
Inzwischen sind die Bücher auf dem Weg. Mit dem Verpacken der „The Enigma Library“ sind, bemerkte Eichberg, Nitschkes nummerierten Postkartensendungen versiegt.
