Familie wollte Liebhaber der Tochter töten Naumburger in Mordprozess vor Gericht: Familie wollte Liebhaber der Tochter töten

Essen/Naumburg - Sie haben 31 Mal auf ihn eingeprügelt. 31 Schläge, Tritte, Stiche, Schnitte. Auf den Kopf, in den Bauch. Mit Holzlatten, Knüppeln, einem Messer. Sie hörten nicht auf. Während die einen ihr Opfer malträtierten, es zum Teil skalpierten, hielten andere mit ihren Handys drauf. Mohammad A. sollte sterben.
Dass er mit dem Leben davon kam, hat er wohl einer Frau zu verdanken, die die Szene in einem Essener Hinterhof von ihrem Balkon aus beobachtete. Sie rief die Polizei. Mohammad A. habe „ganz viel Glück gehabt“, wird die Oberstaatsanwältin später sagen.
Sollte Mohammad A., 19 Jahre alt, sterben, weil er ein Verhältnis hatte mit einer verheirateten Frau?
Naumburger vor Gericht: Mutter und Sohn angeklagt
Davon geht jedenfalls die Staatsanwaltschaft Essen aus. Sie hat die acht mutmaßlichen Täter, die A. in der Nacht zum 31. Mai vorigen Jahres aufgelauert hatten, angeklagt - und nicht nur sie. Elf Männer und zwei Frauen, Mitglieder einer syrischen Großfamilie, müssen sich seit voriger Woche vor dem Essener Landgericht verantworten.
Der Vorwurf: versuchter Mord an ihrem Landsmann Mohammad A. oder Beihilfe dazu. Auf der Anklagebank sitzen auch Gulistan A. aus Naumburg sowie ihr Sohn Ali und ihr Neffe Mostafa M. aus Freyburg.
Die Ankläger gehen von einem versuchten „Ehrenmord“ aus. Demnach sollte Mohammad A., ein Schüler, sterben, weil er mit Sina M. liiert war. Das Mädchen, ein Jahr jünger als das Opfer, gehört der Familie der mutmaßlichen Täter an. Sie war „nach religiösem Ritus“, so das Gericht, mit einem der Angeklagten verheiratet. Ob diese Ehe nach deutschen Recht Bestand hat, ist unklar.
Der grausame Fall gewährt einen seltenen Einblick in eine Parallelgesellschaft, in der der deutsche Rechtsstaat nichts zu melden hat. Als Fotos von Mohammad und Sina bei Facebook auftauchen, beschließt Sinas Familie, so der Vorwurf der Anklage, sich zu Ankläger, Richter und Vollstrecker in einem aufzuschwingen: Sinas Mutter, die nun ebenfalls auf der Anklagebank sitzt, soll den Familienrat zusammengetrommelt haben. Auch Gulistan A. aus Naumburg, ihr Sohn und ihr Neffe aus Freyburg machen sich auf den Weg nach Nordrhein-Westfalen.
Sollte auch Sina M. sterben?
Die Familie beschließt, so sieht es die Anklage: Mohammad muss sterben. „Es ging um die Ehre“, heißt es in der Anklageschrift. Demnach war anfangs sogar beschlossen worden, auch Sina M. zu töten. Wie das Online-Portal „Der Westen“ berichtet, habe nur das Wort eines älteren Verwandten dies verhindern können.
Gulistan A., die Angeklagte aus Naumburg, ist Sinas Tante. Sie und die Mutter des Mädchens gelten der Anklage als die Drahtzieher. A. und ihr Sohn Ali werden am frühen Morgen des 25. Juli 2018 bei einer bundesweiten Razzia festgenommen, wie sieben weitere Tatverdächtige.
Insgesamt hat Gulistan A. sechs Söhne. Einer spielt Fußball beim SC Naumburg, Landesliga Süd, Mittelfeld. Ein weiterer, Ahmed A., hat zeitweise eine Shisha-Bar in Naumburg betrieben. Im Mai 2017 wird die Familie weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt: Ahmed A. soll Polizisten bei einem Einsatz so sehr bedrängt haben, dass die Beamten sich zurückzogen.
Der damalige Barbetreiber bestritt das - wie auch den Vorwurf, anschließend auf dem Revier randaliert und Beamte bedroht zu haben. Drei Wochen später endete eine Verkehrskontrolle für ihn mit gefesselten Händen, nachdem er die Polizisten gefilmt hatte.
Stahlknecht: Mehr Polizei nach Naumburg schicken
Die Vorkommnisse erreichten den Landtag. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sprach mit Blick auf die syrische Familie von einer „Parallelgesellschaft“ in Naumburg und kündigte an, mehr Polizisten in die Stadt zu schicken. Laut Innenministerium waren auch mehrere Brüder von Ahmed A. bereits polizeilich aufgefallen, wegen eines Drogendeliktes und anderer kleinerer Vergehen. Ahmed A. dagegen sah sich von der Staatsgewalt permanent schikaniert.
Für seine Mutter und seinen Bruder geht es in Essen um weit mehr als um Drogendelikte. Es geht um versuchten Mord. Doch die Verteidigung meldet sich schon zu Prozessbeginn mit Kritik an der Anklage zu Wort: „Man versucht, das Bild einer kriminellen Großfamilie zu zeichnen, das es so nicht gegeben hat“, so der Rechtsanwalt Johannes Daners.
Der Fall in Essen erinnert an den Tod von Hatun Sürücü vor 14 Jahren in Berlin. Die junge Frau mit türkisch-kurdischen Wurzeln musste sterben, weil sie sich von ihrer strenggläubigen Familie losgesagt hatte. Sie war in Istanbul mit ihrem Cousin zwangsverheiratet worden und floh zurück nach Deutschland, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Einer ihrer Brüder erschoss sie am 7. Februar 2005 auf offener Straße in Berlin-Tempelhof, um nach Lesart der Familie deren Ehre wieder herzustellen. Über Monate diskutierte das ganze Land daraufhin über Zwangsehen und Ehrenmorde.
Max-Planck-Institut: Zwölf Ehrenmorde pro Jahr in Deutschland
Eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht geht von etwa zwölf Ehrenmorden pro Jahr in Deutschland aus. Sie werden demnach verübt in Migrantenfamilien, die ihre patriarchalischen Wertvorstellungen von Ehe und Familie mit ins Land bringen.
Bei fast allen diesen Delikten spielt der Studie zufolge eine aus Sicht der Familie unerwünschte Liebesbeziehung eines weiblichen Familienmitglieds eine zentrale Rolle. Die Täter, so die Wissenschaftler, seien fast immer bildungsfern und gering qualifiziert.
Inwieweit das auch auf die Angeklagten in Essen zutrifft, wird sich wohl erst in den kommenden Wochen herausstellen. Falls der Prozess sich nicht noch verzögert: Einer der Verteidiger hat beantragt das Verfahren auszusetzen, weil die Anklageschrift nicht korrekt übersetzt worden sei. Eine Entscheidung will die Kammer bei der Fortsetzung am kommenden Montag bekannt geben.
Vorerst sind 26 weitere Verhandlungstage angesetzt, bis zum 12. Juli. Ein Mammutverfahren, das Signalwirkung haben soll. Essens Polizeipräsident Frank Richter hatte schon im Sommer nach der Razzia klargemacht: „Wir gehen sehr hart gegen Parallelgesellschaften vor.“ Man werde es nicht dulden, dass „Friedensrichter“ über Leben und Tod entschieden. (mz)