Nach Nazi-Aufmärschen und Rücktritt Nach Nazi-Aufmärschen und Rücktritt: So geht es dem Ex-Bürgermeister von Tröglitz heute

Tröglitz - Die Fassade erstrahlt in hellem Grau, frischer Putz auf acht Zentimeter Dämmung. Markus Nierth strahlt nicht weniger: „Der letzte Bauabschnitt“, er weist mit der Linken auf die Hauswand, „fast alles ist geschafft!“ Fehlen nur noch die Farbe und ein paar Profile.
Seit 20 Jahren saniert er mit seiner Familie Schritt für Schritt den Jahrhunderte alten Hof im alten Dorfkern von Tröglitz. Was er dafür an Fertigkeiten braucht, hat Nierth sich selbst beigebracht. „Ich mach’ das auch, um den Kopf freizukriegen.“
Die Arbeit auf dem Gerüst, das Hantieren mit dem Werkzeug - das ist auch eine Trotzreaktion. Und eine Antwort auf die Frage, die Markus Nierth und seine Frau Susanna tagtäglich umtreibt: Bleiben oder gehen? „Ich habe hier vieles aufgebaut“, sagt Nierth mit fester Stimme, „das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Das klingt entschlossen. Aber diese Frage, „die rattert jeden Tag in meinem Kopf“.
Markus Nierth trat nach Aufmärschen vor seinem Haus zurück
Drei Jahre ist es her, dass Nierth, 49, von seinem Amt als Ortsbürgermeister von Tröglitz zurückgetreten ist. März 2015: Seit Wochen marschieren Rechtsextremisten und Asylgegner in dem 2.700-Einwohner-Ort im Burgenlandkreis auf. Steffen Thiel, für die rechtsextreme NPD im Kreistag, hat die Demos angemeldet, die er „Spaziergänge“ nennt.
Unter den Teilnehmern: Neonazis aus der Region, aber auch Einwohner. Nachbarn von Markus und Susanna Nierth. An einem Sonntag Anfang März wollen sie vor seinem Haus demonstrieren. Da reicht es Nierth: Er tritt zurück. Er will seine Familie schützen.
Markus Nierth und Ehefrau für Engagement für Flüchtlinge ausgezeichnet
Als Ortsbürgermeister wirbt Nierth von Anfang an für eine offene Aufnahme von Flüchtlingen - seit Ende 2014 feststand, dass in Tröglitz Zuwanderer untergebracht werden sollen. Noch heute setzen er und seine Frau sich für Migranten ein. Erst vor kurzem sind sie für ihr Engagement als „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet worden.
„Für uns ist das ein Ansporn weiterzumachen“, sagt Susanna Nierth. Im September 2016 hat ihr Mann die Ereignisse von 2015 in einem Buch aufgearbeitet. Seither wird das Paar oft zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen, bundesweit. Nierth sagt, er verstehe sich als „Verteidiger der Demokratie und Botschafter der ländlichen Regionen des Ostens“. Das klingt versöhnlich. Doch die Geschichte der Nierths ist auch eine Geschichte der Entfremdung.
Zwei Flüchtlingsfamilien aus Afghanistan leben derzeit in Tröglitz. Sie werden von Paten aus dem Ort betreut. Die ersten Flüchtlinge waren vor drei Jahren, Mitte Juni 2015, nach Tröglitz gekommen. Die drei Familien aus Afghanistan und Indien, insgesamt neun Menschen, sind mittlerweile wieder weggezogen, unter anderem nach Halle. Sie hätten sich im Dorf nicht integriert gefühlt und für sich gelebt, sagt Markus Nierth.
Ursprünglich sollten 40 Flüchtlinge in Tröglitz unterkommen. Doch das für sie vorgesehene Mehrfamilienhaus wurde im April 2015 in Brand gesetzt. Noch heute steht das Gebäude leer, der durch die Flammen zerstörte Teil des Dachs ist notdürftig abgedeckt. Die Ermittlungen wurden eingestellt, Täter nie gefunden. (mz)
Markus Nierth zog 1999 nach Tröglitz
Markus Nierth wächst in Weißenfels auf, sein Vater ist dort in den 1980er Jahren Superintendent der Evangelischen Kirche - und in Opposition zum SED-Staat. Die Stasi setzt der Familie zu. Nierth senior will dem Druck nicht weichen, dennoch reisen Nierths 1986 schließlich in den Westen aus. Nur dort kann Markus Nierths schwer zuckerkranker Vater problemlos die notwendigen Medikamente erhalten.
Markus Nierth studiert nach dem Abi Theologie. 1999 kehrt er zurück in seine Heimat. In Tröglitz hat er den Hof gekauft, in dem er mit seiner Familie heute noch lebt. Er arbeitet als ehrenamtlicher Pfarrer, baut Jugendarbeit auf, organisiert Freizeiten. Er hängt sich so sehr rein, dass darüber seine erste Ehe kaputt geht. Er will hinschmeißen. Doch viele im Dorf sagen: Du musst bleiben! Du gehörst doch zu uns!
Markus Nierth: „Eigentlich sind die meisten herzensgute Menschen“
Es sind dieselben Leute, die Ende 2014 und Anfang 2015 gemeinsam mit Neonazis marschieren. Die ihm nach seinem Rücktritt Briefe voller Kot schicken, ihn als Lügner beschimpfen, der abhauen soll. Als mediengeilen Nestbeschmutzer, weil er seinen Rücktritt und die vorangegangene Bedrohung durch Neonazis öffentlich gemacht hat.
Es sind die Leute, die ihm doch eigentlich nahe sind. Denen er als Trauerredner und Seelsorger zugehört hat, mit denen er Feste gefeiert hat. „Ich habe meine Tröglitzer nicht mehr wiedererkannt“, sagt Nierth heute, „mancher hat sich sehr verändert.“
Wer Nierth eine Weile zuhört, der spürt den Theologen in ihm. Seine innere Zerrissenheit. Sein Bemühen, um seine Schäfchen zu kämpfen, trotz allem. „Eigentlich sind die meisten herzensgute Menschen“, sagt er. Markus Nierth ist ein offener Typ, einer, der auf die Leute zugeht, der laut und herzlich lachen kann, der mit anpackt. Wie sehr muss es ihn schmerzen, wenn sich Menschen, die ihm nahestehen, plötzlich abwenden? Erst sei er traurig gewesen, wie alles gekommen sei, sagt er. Mittlerweile sei die Trauer der Wut gewichen.
Nierths auch nach drei Jahren immer noch angefeindet
Es ist noch nicht vorbei, auch nach drei Jahren nicht. Mal pinnt jemand die Kopie eines Zeitungsartikels, in dem von Tröglitz als „braunem Nest“ die Rede ist, ans schwarze Brett im Ortszentrum - um Nierths einmal mehr als Nestbeschmutzer hinzustellen. Mal meldet eine Mutter nach zwei Durchgängen ihre Tochter aus der Tanzschule ab, die Susanna Nierth betreibt. Sie wolle ganz offen sein, sagt die Frau: Freunde hätten damit gedroht, die Freundschaft zu kündigen, wenn das Mädchen weiter bei Nierths tanze.
Freunde? Wenn Freunde sich so verhalten, was tun dann Feinde? „Das Gift wirkt weiter“, kommentiert Markus Nierth gallig. Seine Frau sagt, es sei am schwersten, „dagegen anzukämpfen, nicht selbst zu verbittern“.
Auch André Poggenburg greift Nierths an
Rundgang im Dorf. Der zentrale Platz, der ausgerechnet Friedensplatz heißt, schläft in der Mittagssonne. Apotheke, Klamottengeschäft, Lottoladen, Sparkasse. Eine Handvoll Autos auf dem Parkplatz. Betrieb herrscht nur am rollenden Hähnchen-Imbiss. Wer die Tröglitzer nach ihrem ehemaligen Ortsbürgermeister und den Ereignissen von 2015 fragt, erntet Zurückhaltung.
„Das hat sich doch alles längst beruhigt“, sagt ein Mann, der gerade seinen Wagen geparkt hat. Was er von dem Preis für Nierths hält? „Sie haben sich schon engagiert“, sagt er bedächtig, „aber da wird auch viel aufgebauscht.“ Wie er das meint? Antwort: „Die waren doch oft im Fernsehen.“ Ein anderer Mann meint, andere hätten sich schließlich auch engagiert.
André Poggenburg hat flugs eine Pressemitteilung verschickt, als die Auszeichnung bekannt wurde. Der ehemalige AfD-Landes- und Fraktionschef wirft Nierths vor, sich „in der Opferrolle“ zu „suhlen“. So wütend Markus Nierth auch sein mag, das lässt er kühl abtropfen: „Wer ist schon Herr Poggenburg? Wir springen nicht über jedes Stöckchen.“ (mz)