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Lützener erzählt von Früher Lützener Josef Drabek erzählt von Früher: Und mittwochs für 75 Pfennige ins Kino

Von Josef Drabek 01.05.2016, 06:00
Die einstigen Luna-Lichtspiele In Lützen boten den Schülern Abwechslung.
Die einstigen Luna-Lichtspiele In Lützen boten den Schülern Abwechslung. Josef Drabek

Lützen - Außerhalb der Hausaufgabenstunden und an Wochenenden war Freizeit im „Pfaffenhof“, die wir gemäß seinem Namen auch für geistige Beschäftigung wie Lesen, Malen oder Musizieren nutzten. Da hörte man neben Blockflötenspiel sogar ein Akkordeon, eine Gitarre oder Geige. Und der an ein Radiogerät gekoppelte Plattenspieler ermöglichte Platzkonzerte, darunter der Marsch „Hoch Heidecksburg“, zu dem Volksmund den Text unterlegt hatte „Mein Mann hat Nachtschicht, da kannste kumm …“.

Derlei Geistiges hinderte allerdings nicht, manch’ geistlosen Unsinn zu verzapfen. So krachte man mit dem manipulierten Metallbett zusammen, sah eigene Kleidungsstücke vor dem Fenster baumeln oder Deckbett und Laken vernäht. In der Blockflöte des „Magister musici“ wurde Unkraut-Ex gezündet und seine Geige so lange „gestimmt“, bis drei Saiten rissen und er nur noch auf der vierten spielen konnte.

Internatsküche

Derartiger Unsinn war aber im Vergleich zu heute eher harmlos und nicht im Widerspruch zu geforderten Pflichten. Dazu zählten das Tischdecken im Speiseraum, Geschirrabtrocknen in der Internatsküche, Nachlegen von Brennmaterial und die Gewährleistung der Zimmerordnung, die beim Stubendurchgang kontrolliert wurde. Um dabei gut abzuschneiden, beschlossen wir vier Zwölfer, unseren im zweiten Stock gelegenen Schlafraum mit Blumen zu schmücken.

Deshalb ging es im Dunkeln zum benachbarten Kleingarten, wo Erich über den Zaun kletterte und tastend Pflanzliches zusammenraffte. Nach Entfernen von Unkraut und Gemüse stellten wir die Blumen in eine Vase und bekamen eine gute Bewertung.

Farbige Rauchzeichen

Die Schulleitung hatte aber auch Rechte gewährt, darunter die Raucherlaubnis im „Pfaffenhof“ für Internatler der 12. Klasse. Wäre dies nicht geschehen, hätte wahrscheinlich kaum einer Gebrauch gemacht, nun frönten viele diesem Laster. Mitunter erinnerte der Aufenthaltsraum an eine mittelalterliche Alchimistenküche, in der aus diversen Pfeifen vielgestaltige Rauchschwaden in unterschiedlichen Farben zur Decke stiegen. Die Buntheit resultierte aus verschiedenen „Brennmaterialien“, hauptsächlich Tabak, aber auch Husten- und Blutreinigungstee sowie „Tee 4“, weil der schlank mache.

Als geselliger Typ kaufte ich neben dem „Stalin-Knösel“ ein Päckchen Pfeifentabak und beteiligte mich am Paffen.

Im Unterschied dazu haben die Zwölfer-Mädchen im ehemaligen „Bayrischen Hof“ ihr Raucherrecht kaum genutzt, dafür umso mehr den monatlichen Tanzabend mit „Pfaffenhofern“.

Plattenspieler

Die Musik lieferte der für das Platzkonzert eingesetzte Plattenspieler, der den Aufenthaltsraum mit gängigen Schlagern füllte, darunter den von Caterina Valente geschluchzten langsamen Walzer „Steig in das Traumboot der Liebe“. Da ich in Stößen keine Tanzschule besucht hatte, zeigte man mir die erforderlichen Schritte der wichtigsten Tänze, die ich bald brauchbar aufs Parkett brachte.

Zu den Internatlerrechten gehörte auch der am Mittwoch- und Samstagabend erlaubte Kinobesuch, der wegen fehlenden Fernsehers und nicht bekannten Computers beliebt war. Zum Schülerpreis von 75 Pfennigen besuchten wir die „Luna Lichtspiele“, wo es im Anschluss an die DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“ einen Spielfilm gab wie z. B. die Komödie „Wenn wir alle Engel wären“.

Gute Taten gefragt

Unsere Freude an dem Filmspaß wurde jedoch getrübt, weil wir für diesen Mittwoch, den Reformationstag 1956, aus mir unbekanntem Grund keine Erlaubnis hatten. Im Ergebnis erhielten alle zwölf Zwölfer einen Verweis, der durch gute Taten gelöscht werden konnte. Daher arbeiteten wir im Schulgarten, beteiligten uns am Umzug des Museums und besuchten Versammlungen im „Haus der Freundschaft“, wo auch solcher Satz zu hören war: „Der Krieg ist nicht wie ’ne matschige Birne vom Himmel gefallen, den Krieg haben Menschen gemacht, die von der Adenauer-Klinke, die Imperalisten“.

Bei schönem Wetter fuhren wir per Rad dahin, wo 1632 die Schweden siegten und ihr König fiel und ein Gedenkensemble nebst Blockhaus entstanden war, vor dem der Schwede Hans Svensson seit 1932 die schwedische Fahne hisste. Dort kletterten wir über den Zaun und begrüßten uns in „Klein-Schweden“. Wenn heute meine Enkel zeitgemäß ausrufen „alter Schwede“, denke ich an den ebenfalls Pfeife paffenden, 1961 verstorbenen Skandinavier und die absolvierten visalosen Besuche in seinem kleinen Königreich. (mz)

Im Mädcheninternat gab’s Tanz.
Im Mädcheninternat gab’s Tanz.
Josef Drabek
Josef Drabek (l.) und zwei seiner Mitschüler blicken vom „Pfaffenhof“ auf das sonntägliche „Platzklonzert“.
Josef Drabek (l.) und zwei seiner Mitschüler blicken vom „Pfaffenhof“ auf das sonntägliche „Platzklonzert“.
Josef Drabek