Lebensbilder Lebensbilder : Die doppelte Verwandlung

Naumburg - Ulrike Ludewig kannte Naumburg viele Jahre nur vom Zug aus. Nun ist die gebürtige Rostockerin nach Bielefeld, Köln, Schwerin, Oldenburg, wieder Rostock und schließlich Berlin - ihren bisherigen Lebensstationen - in Naumburg angekommen. Vis-à-vis des Doms hat sie sich vor gut einem Drei-vierteljahr mit ihren Kindern, dem zweijährigen Arthur und der sieben Jahre älteren Mathilde, niedergelassen. Ihr „Zugpferd“ war Lebensgefährte Stefan Neugebauer, den die Übernahme der Theaterintendanz von Berlin nach Naumburg geführt hatte.
Während ihr Mann mit dem Theater und die Kinder mit Kindergarten und Schule vom ersten Tag an ihre neuen Wirkungsstätten ansteuerten, hing Ulrike Ludewig beruflich in der Luft. „Daher stürzte ich mich Hals über Kopf in die berufliche Selbstständigkeit, vor der ich so einen großen Respekt hatte. Doch ich wollte nicht immer zum Amt rennen“, erzählt die 40-Jährige. So ging sie im Februar mit ihrer eigenen Schmuckdesign-Werkstatt an den Start. Bis sie einen kleinen Laden gefunden hat, der bezahlbar ist und den Passanten jederzeit betreten können, wird sie in ihrem kleinen Atelier arbeiten, das sie sich in der Mietwohnung am Domplatz 6 hergerichtet hat.
„Naumburg lässt sich tragen“
Das Erste, was sie dort entwarf, waren der Naumburger Stadtring, der Uta-Siegelring und der Uta-Kettenanhänger. Als ihre Tochter einen Blick darauf warf, hatte sie den passenden Slogan parat: „Naumburg lässt sich tragen“. Den wertvollen Schmuck - eine Gemeinschaftsarbeit mit einem befreundeten Rostocker Goldschmiede-Ehepaar - bot Ulrike Ludewig erstmals öffentlich zum Uta-Treffen feil. „Hauptsächlich möchte ich aber was machen, das erschwinglich ist“, so die Goldschmiedin.
Als Kind von der Küste sammelt sie gern Steine und Scherben. „Die lassen sich zu schönem Schmuck verarbeiten“, erklärt sie. Zwar gibt es an der Saale keinen breiten Sandstrand, der muss es aber auch nicht immer sein, um fündig zu werden. Jüngst entdeckte sie in einem Schutthaufen vor einem Garten in Bad Kösen interessante Steine und Scherben wie jene eines Meißener Porzellans. Als sie in ihrer Werkstatt die Fundsachen in tragbaren Schmuck verwandelte, hörte sie italienische Arien. Sie sang nebenbei mit. Sie sang immer lauter, bis sie nicht mehr gearbeitet hat. „Da war“, so die ausgebildete Mezzosopranistin, „alles wieder da. Wenn ich unbedingt wollte, könnte ich wieder mit dem Operngesang anfangen.“ Daraufhin habe sie überlegt, in Naumburg einen Liederabend zu machen. „Davon bin ich wieder abgekommen, denn“, fügt sie hinzu, „ich kann nur schwer Sachen halb machen.“ Das war auch der Grund, warum sie vor einigen Jahren ihre gerade in Schwung gekommene, vielversprechende Karriere als Opernsängerin aufgegeben hat.
Als nach der Kölner Gesangsausbildung ihre Auftrittstätigkeit am Schweriner Staatstheater richtig losging, meldete sich ihr erstes Kind an. „Ich dachte, ich könnte es nebenbei kriegen. Ich habe nicht registriert, dass sich dadurch mehr ändert.“ Doch Mathilde forderte ganz selbstverständlich ihren Platz im Leben der Opernsängerin ein. Die junge Mutter begann mit einem Liederabend beruflich wieder einzusteigen. „Zwischen meinen Auftritten stillte ich. Doch schließlich zeigte sich, dass es so nicht geht.“ Und zu ihrer Überraschung stellte sie als Sängerin fest: „Ich hatte auch gar keine Lust mehr.“ Dennoch blieb sie an der Oper und stand mit einem Stück von Händel wieder auf der Bühne.
„Stimme, als ob ich heiser wäre“
Es war ein Versuch, der misslang. „Ich ließ Federn, funktionierte nur noch, habe nicht mehr geschlafen und vom Kind trotzdem nicht viel gehabt“, blickt sie zurück. Ihre Agentin überredete sie, nicht aufzugeben. Auch wenn „vom Gefühl her alles dagegen sprach“, nahm sie ein neues Engagement am Oldenburgischen Staatstheater an. Nach anderthalb Jahren kam das Alarmsignal: „Meine Stimme klang plötzlich, als ob ich heiser wäre.“ Schlagartig beendete sie ihre bis dahin sechs Jahre währende Opernkarriere. Das habe alle schockiert. Nach diesem Befreiungsschlag fiel sie nicht in ein Loch. Sie hatte ihre berufliche Zukunft vor Augen - als Goldschmiedin.
Bereits während ihrer Zeit am Bielefelder Oberstufen-Kolleg, auf das sie mit der elften Klasse von Rostock aus gewechselt war, arbeitete sie während eines Schulpraktikums in einer Goldschmiede. Fasziniert war sie von dem Beruf seit sie ihrer zehn Jahre älteren Cousine, eine Goldschmiedin, über die Schultern schauen konnte. Dass es dann doch der Gesang wurde und nicht das Goldschmiedehandwerk lag an einer Bielefelder Lehrerin, die das Talent der Schülerin, die gern Opernsänger imitierte, erkannte und sie in die entsprechenden Bahnen lenkte. So nahm Ulrike Ludewig Gesangsstunden und Klavierunterricht - beides notwendige Voraussetzungen für ein Gesangsstudium.
Da hatte sie die Überlegung verworfen, Blockflöte, die sie seit ihrer Schulzeit spielte, zu studieren. „Dafür war ich nicht virtuos genug“, stellt sie ohne Bedauern fest. Ganz schnell ab kam sie von ihren Ideen, als Flöten- oder Geigenbauerin - das Streichinstrument begann sie als 14-Jährige zu erlernen - durchs Leben zu gehen. Für sie standen alle Zeichen auf Operngesang.
Einen steinigen Weg gegangen
Von dieser Profession auf jene der Goldschmiedin zu wechseln, erwies sich als steiniger Weg. Eine Umschulung war nicht möglich. „Es gab für mich aber nichts anderes“, sagt sie. Ihre Rettung war eine Arbeitsamtsvermittlerin, die auf die Idee eines Praktikums verfiel. Und über einige Umwege landete Ulrike Ludewig dann doch noch in der Goldschmiedeausbildung im thüringischen Arnstadt.
In Rostock, in der Nähe ihrer Eltern, die sich so mit um die Enkeltochter kümmern konnten, absolvierte sie dann den praktischen Teil. Als sie nach dem Abschluss der Ausbildung beruflich Fuß fasste, lernte Frau Ludewig den in Berlin tätigen Stefan Neugebauer kennen. Ihrer Liebe zog sie schnurstraks in die Hauptstadt hinterher. Kurz darauf hielt sie Sohn Arthur im Arm - wieder in jenem Moment, als sie beruflich durchstarten wollte: als Goldschmiedin.
Dass sich die Opernsängerin in eine Goldschmiedin „verwandelte“, verwundere nur auf den ersten Blick. „Bei aller Unterschiedlichkeit gibt es auch eine wesentliche Gemeinsamkeit. Als Sängerin verwandelt man sich auf der Bühne in eine andere Figur und als Goldschmiedin verwandelt man im Atelier verschiedene Materialien in tragbaren Schmuck“, schreibt sie auf ihrer Internetseite. Diese ist ihr „Schaufenster“, bis sie in Naumburg einen passenden Laden gefunden hat. Bis es soweit ist, würde sie sich auch über neugierige Besucher in ihrem Atelier am Domplatz6 freuen.
Im Internet unter der Adresse www.schmuck-ludewig.de

