Großwilsdorf Großwilsdorf : Idyllisch gelegener Rundling

Großwilsdorf - Was für ein idyllisches Fleckchen Erde mit den berühmten Orchideen und den beliebten Wildpferden in fußläufiger Entfernung, mit einer sonnenbeschienenen Lage als einem der höchstgelegenen Naumburger Ortsteile und mit Bürgern, die sich in diversen Vereinen für ihr nur 135 Seelen großes Dörfchen engagieren. Ein solch positives Fazit zieht der Besucher, wenn er sich eine Weile in Großwilsdorf aufgehalten hat und mit den Menschen dort ins Gespräch gekommen ist.
Der Weg zu diesem Fazit beginnt an diesem Spätsommertag jedoch holprig - und das nicht nur sprichwörtlich. Die Kreisstraße, die als einzige (eigentlich) befestigte Befahrung in das Rundlingsdorf führt, ist bis auf einen erneuerten Abschnitt in jämmerlichem Zustand und wird gerade wieder notdürftig durch die Straßenmeisterei geflickt. Aussicht auf eine grundhafte Verbesserung? „Ist nicht in Sicht“, meint Ortsbürgermeister Jürgen Spielberg.
Noch bevor man in den Ortskern kommt, präsentiert sich linker Hand ein weiteres Ärgernis: der „Scherbitzberg“. Einst eine beliebte Ausflugsgaststätte, verfällt das Gebäude seit Anfang der 90er Jahre. In den Händen einer Leipziger Grundstücksverwaltungsgesellschaft tut sich hier nichts. „Rechtlich gesehen wäre eine Sanierung als Gaststätte zwar erlaubt. Aber daran glaubt hier schon lange keiner mehr. Die Natur hat sich das Grundstück und das Gebäude schon weitgehend zurückgeholt“, so Spielberg.
Nun aber hinein ins Dorf und gleich der erfreuliche Anblick: Die Ruine auf dem Platz zwischen der Agrargesellschaft und dem Festsaal ist als Schandfleck, der von den Dorfbewohnern „Haus der sieben Winde“ genannt wurde, endlich abgerissen.
In der Großwilsdorfer Agrargesellschaft, dem größten Unternehmen im Ort, empfängt uns Geschäftsleiter Andreas Baum. Rund 830 Hektar werden von hier aus konventionell bewirtschaftet. Die einst betriebene Bio-Strategie hat man längst aufgegeben. „Das hat sich nicht gelohnt. Die Mindererträge kann man durch den Produktpreis nicht reinholen“, erklärt Baum. Dazu bräuchte es einen Hofladen und Viehwirtschaft, doch beides ist nicht geplant. Baum: „Ich glaube, das gäbe einen ganz schönen Aufschrei der Einwohner, wenn wir hier plötzlich einen großen Schweinestall errichten würden.“
Stattdessen konzentriert man sich erfolgreich auf den Getreideanbau, auch wenn der in diesem Jahr durch die Dürre rund 20 Prozent unter der Erwartung liegt. Außerdem hat man mit weiteren Partnern die Verantwortung für das Beweidungsprojekt auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz auf dem Rödel im Naturschutzgebiet der „Toten Täler“. Dort grasen die Wildpferde, die Koniks, die dank der vielen Besucher sehr zutraulich geworden sind. Auch um die 60 Burenziegen sind zu finden. Oft kommen deshalb Familien aus der Umgebung nach Großwilsdorf. Größer ist der Ansturm nur noch im Mai und Juni, wenn es Orchideen-Liebhaber aus ganz Deutschland in die Blütenpracht der „Toten Täler“ zieht. Die Großwilsdorferin Heike Börner bietet dann auch ihre geführten Touren an. Profitieren kann der Ort ansonsten aber von den Touristen nicht, wie Astrid Thierolf, Buchhalterin der Agrargesellschaft, erzählt. Eine Ausflugsgaststätte gibt es genauso wenig wie eine anderweitige Kneipe oder einen Konsum.
Deshalb helfen sich die Großwilsdorfer selber: in den Vereinen. Etwa im Heimat- und Feuerwehrverein, der Ende April und Anfang Oktober einen stets gut besuchten Lagerfeuerabend organisiert. Auch den jährlichen Adventsmarkt vor der Feuerwehr hat der Verein ins Leben gerufen. Die Organisation der Veranstaltung hat man mittlerweile an den Freizeit- und Jugendclub um Siegfried Maibaum abgegeben. Dieser betreut auch den Festsaal, eine umgebaute LPG-Werkstatt, mit 120 Plätzen, in dem Silvester, zur Kirmes oder bei vielen Familienfeiern kräftig getanzt und gefeiert wird. Dank der Unterstützung der Agrargesellschaft konnte zuletzt das Dach erneuert werden.
Weitere regelmäßige „Events“ in Großwilsdorf: das große Trecker-Treffen aller zwei Jahre, die Treibjagd im November; auch zum großen Drachensteigen sind schon oft Familien aus Naumburg und Umgebung ins hochgelegene Dorf gekommen.
Bei vielen Veranstaltungen ist Geld für die Großwilsdorfer Kirche gesammelt worden, wodurch die Orgel restauriert und Malerarbeiten durchgeführt werden konnten. Zuletzt spendierte der Heimat- und Feuerwehrverein dem Dorf zudem zwei Wander-Ausruhen.
Ganz vorn dran bei vielen Aktionen steht Sven Trispel. Dabei hat das Dorf Glück, in Trispel nicht nur einen engagierten Einwohner, sondern zugleich einen Mitarbeiter des städtischen Bauhofes zu haben. Durch Urlaub und Krankheit seiner zwei Kollegen ist er derzeit der einzige für „Wilsdorf“, Roßbach, Klein- und Großjena. „Diese Klagen über die geringe Besetzung des Bauhofes gibt es ja in allen Ortsteilen. Großwilsdorf hat Glück, dass es Einwohner gibt, die über den Tellerrand hinausschauen und mehr mähen und fegen als sie müssen“, meint Ortsbürgermeister Spielberg.
Doch kein Weltkulturerbe
Wir sind auf dem Weg zum Domizil der Freiwilligen Feuerwehr. 16 aktive Mitglieder ist sie groß. Ihr Chef ist - keine Überraschung: Sven Trispel. Das Feuerwehrhaus ist vor etlichen Jahren dank großer Eigenleistungen auf Vordermann gebracht worden. Dieses Jahr hofft man auf ein neues (gebrauchtes) Löschfahrzeug.
Auf dem Weg kommen wir an den beiden, das Dorfbild prägenden Löschteichen vorbei. Hier wird die Besonderheit Großwilsdorfs als sogenannter Rundling offensichtlich. Da solche ausgeprägten Dorfformen selten geworden sind, sollte der Ort eigentlich mitsamt des Naumburger Doms und seiner Kulturlandschaft Weltkulturerbe werden. Davon zeugt noch ein Schild am großen Teich. Doch es wurde nichts daraus.
Die kompakte Form des Dorfes hat aber auch einen Nachteil. „Großwilsdorf darf nicht wachsen“, sagt Spielberg. Denkmal- und Naturschutz haben schon einigen Bau-Willigen einen Strich durch die Pläne gemacht. Die Einwohnerzahl von 135 bleibt konstant, da die existierenden Höfe nicht leer stehen. Wirtschaft gibt es hingegen kaum. Ein Baustoffhandel ist schon lange geschlossen. Kleines Gewerbe gibt es. Sandra Kamionka etwa betreibt sehr erfolgreich eine Hunde-Pension im Ort. Maibaum-Keramik heißt wiederum das Kreativ-Unternehmen von Jana Knappe.
Der bekannteste Einwohner
Doch zurück zum Bauen: Einer der wenigen, der seit der Wende im Ort ein Eigenheim errichten durfte, ist Marko Happich samt Familie. Der Bulabana-Schwimmmeister war in den 2000er-Jahren mit seinem Seitenwagen Motocross-Vize-Weltmeister. Mit einem spektakulären „Wetten-dass“-Auftritt, als er mit seiner Maschine auf einem Skihang gegen einen Alpin-Profi antrat, wurde er einem Millionen-Publikum zum Begriff und damit zum wohl bekanntesten Einwohner Großwilsdorfs.
Von seinem Haus nahe des gepflegten Friedhofes führt uns der Rundgang zum Ausgangspunkt zurück. Ein Schild weist auf den Jakobsweg hin. Es passiert oft, dass Pilger von Roßbach hochkommen und gen Möllern und Eckartsberga weiterlaufen. In alle Richtungen gibt es Feldwege, die von Einheimischen genutzt werden. Das hässliche Wort „Sackgassendorf“ ist für einen so schönen Ort wie Großwilsdorf also nicht nur unpassend, sondern auch nicht korrekt.




