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Geschichte in Naumburg  Geschichte in Naumburg : Stasi-Telegramm nach Berlin

Von Albrecht Günther 02.02.2017, 08:47

Naumburg - „Zuverlässige Informelle Mitarbeiter“ hatten - wie es sich für ordentliche Stasi-Leute gehört - zwar spät, aber dennoch rechtzeitig den Vorgang aufgeklärt. So war ihnen dank einer Denunziation nicht entgangen, was da am 2. Februar 1988 auf dem Naumburger Marktplatz passieren sollte: eine von Studenten des Katechetischen Oberseminars organisierte Demonstration.

„Gegen 16.30 Uhr versammelten sich 15 Seminaristen in der Mitte des Wilhelm-Pieck-Platzes (Marktplatzes) und vermummten ihre Gesichter mit Tüchern“, erstattete einen Tag später die Bezirksverwaltung des Staatssicherheitsdienstes in Halle in einem Telegramm Bericht an das Ministerium in Berlin. Ein Teilnehmer „begann ein Pamphlet zu verlesen, in dem eine Solidarisierung mit Inhaftierten ausgesprochen und der Staat wegen Unterdrückung des verfassungsmäßigen Rechtes auf Gewissens- und Meinungsfreiheit angeklagt wird“, heißt es darin weiter.

An diesen 2. Februar vor 29 Jahren erinnert sich Michael Kleim, der heute als Pfarrer in Gera tätig ist, noch sehr gut. Der damalige Student des Naumburger Oberseminars, das nach der Wende in eine Kirchliche Hochschule umgewandelt wurde, besitzt außerdem Kopien des Stasi-Telegramms und des damals von ihm unterzeichneten Pamphlets. „Tatsächlich fand an diesem Tag in Naumburg eine der wenigen Demonstrationen statt, die von der politischen Opposition zwischen 1953 und 1989 ausgegangen waren“, schätzt Kleim heute ein. Allerdings dauerte es nur zwei Minuten, dann „erfolgte die Auflösung des Personenkreises und sofortige Zuführung zum Volkspolizeikreisamt, was ohne Zwischenfälle realisiert wurde“, wie die Naumburger Stasi in ihrem Telegramm schreibt. „Auslöser für die Widerstandsaktion war“, so erinnert sich Kleim, „zu Beginn die Absicht, sich im öffentlichen Raum mit inhaftierten Dissidenten zu solidarisieren. Im Vorfeld der offiziösen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin im Januar 1988 war es zu verstärkten Repressionsmaßnahmen des Staates gegen unliebsame Bürger gekommen.“ Die in Naumburg agierenden Oppositionsgruppen, so Friedenskreis, Menschenrechtsgruppe und Studentengemeinde, waren eng mit der Berliner Initiative „Frieden und Menschenrechte“ verknüpft. In der Planung ihres Solidaritätsprotestes entschieden sie sich deshalb, daraus eine grundlegende Aktion gegen staatliche Willkür und für Meinungsfreiheit zu machen.

Allerdings blieb sie zunächst auf Naumburg begrenzt, konnten doch Informationen nicht an andere Oppositionsgruppen weitergeleitet werden, da Berliner Kontaktpersonen aufgrund von Verhaftungen nicht erreichbar waren. Dennoch lagen die Nerven der SED-Funktionäre blank. Sie befürchteten weitere Aktionen. Michael Kleim: „Die Naumburger Aktivisten waren zum Teil Studierende der hiesigen kirchlichen Hochschule. Zudem hatten sie Kontakte in die Bundesrepublik, Niederlande, England und Kanada. Da wollten die Behörden den Ball flach halten. Deshalb verliefen die staatlichen Reaktionen auf die Demonstration nach außen scheinbar glimpflich.“ Nur einen der Beteiligten hatte sich die Stasi als Rädelsführer ausersehen. Er erhielt eine Ordnungsstrafe.

Wie die Demonstranten später aus Stasi-Akten erfuhren, zog die Stasi jedoch hinter den Kulissen durchaus die Daumenschrauben an. „Alle Beteiligten der Aktion wurden registriert. Bei vielen wurden ’Operative Vorgänge’ eingeleitet“, weiß Keim. „Dies war mit sogenannten Zersetzungsmaßnahmen verbunden. Zudem sammelte die Stasi über die Personen Material, um politische Strafprozesse vorzubereiten.“