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Futtern wie bei Muttern Futtern wie bei Muttern: Im Imbisswagen in die Selbstständigkeit

Von Klaus-Dieter Kunick 13.11.2016, 11:00
Torsten Kotulla gehört zu den Kunden, die sich regelmäßig bei Silke Birkmann eine Kleinigkeit zum Essen holen.
Torsten Kotulla gehört zu den Kunden, die sich regelmäßig bei Silke Birkmann eine Kleinigkeit zum Essen holen. Peter Lisker

Großgörschen/Dölzig - Auf die Frage, warum sie hier am Imbisswagen das Essen einnehmen, haben einige Angestellte aus dem nahen Gewerbegebiet Dölzig eine einzige Antwort parat: Weil es einwandfrei schmeckt. „Wie bei Muttern zu Hause“, ruft einer spontan dazwischen. Und so kommt es eben, dass Silke Birkmann alle Hände voll zu tun und übertrieben gesagt, kaum Zeit zum Luftholen hat. Zum Frühstück bietet sie unter anderem belegte Brötchen an, mittags zum Beispiel ein warmes Gericht. „Heute gab es ,tote Oma’“, erzählt sie schmunzelnd. Den DDR-Klassiker kennt an und für sich jeder - gebratene Blutwurst. Keine Frage: Als besonders geschmackvolle Bezeichnung kann man „tote Oma“ kaum ansehen. Nichtsdestotrotz hat sich der Begriff im Volksmund durchgesetzt. Gleich mehrere Kunden bestellen das Gericht. Alles muss klappen wie am Schnürchen. Denn, die Zeit für die Angestellten ist knapp bemessen. Und auch die Fernfahrer, die hier anhalten, um sich zu stärken, haben es meist eilig. Um Zeit zu sparen, schicke sie den ansässigen Firmen den Wochenspeiseplan zu: Mal gibt es Nudeln, mal Eintopf oder einen Schnitzeltag. Die Mitarbeiter brauchen dann nur zu bestellen, was sie speisen wollen.

Aber nicht nur zum Frühstück und zum Mittag ist das Wort Zeit für die 44-Jährige wichtig. Für sie müsste der Tag eigentlich 25 Stunden haben, um alles gut zu schaffen. Wenn sie um 6.30 Uhr ihren Imbisswagen öffnet, hat sie schon einige Zeit hinter sich. Gut und gern 40 Minuten braucht sie für die rund 25 Kilometer lange Strecke von Großgörschen, ihrem Wohnort, bis zum Stellplatz im Gewerbegebiet Dölzig. „Der Wagen ist wahnsinnig windanfällig, also, da muss ich höllisch aufpassen“, berichtet die Geschäftsfrau. Aber sie sei dabei, abzuklären, ob sie den Wagen im Winter nicht hier in einer Halle stehen lassen kann. Bei Schnee und Glätte sei ihr das zu gefahrvoll.

Eine weitere Gefahr sah sie bei den Dieben, denen wollte sie sich ebenfalls nicht aussetzen. Da sie es gar nicht erst darauf ankommen lassen wollte, dass Einbrecher sich im Wageninneren zu schaffen machen, hängt sie selbigen an ihren Pkw und schleppt den Wagen mit nach Hause. Morgens retour.

Wer ihr aufmerksam zuhört, versteht zugleich, warum sie die Selbstständigkeit wählte. Silke Birkmann, die 28 Jahre in der Gastronomie arbeitete, unter anderem als Lehrausbilderin und Küchenleiterin, wollte bewusst den Ausstieg. Die wahnsinnig vielen Arbeitsstunden und die schlechte Bezahlung machten ihr mehr und mehr zu schaffen. Das wollte sie sich nicht länger antun und scheut sich nicht von „Ausbeutung“ zu reden. Aber was tun? „Da grübelt man schon mitunter nächtelang.“ Normalerweise müsse man bei solchen Überlegungen auch die Zeit für die Kinder mit einbeziehen. Doch ihr Sohn Marcel, der Kfz-Mechatroniker erlernt, gehe mit seinen 20 Jahren seinen Weg. Mit einem eigenen Restaurant liebäugelte sie lange Zeit, ließ aber ab, denn die hohe Verschuldung, die sie in Kauf hätte nehmen müssen, und das schlecht zu bekommende Personal auf dem Arbeitsmarkt schreckten ab. Das hätte sie zudem nicht gut bezahlen können, was sie nicht wollte.

Ihre Gedanken endeten bei einem eigenen Imbisswagen. Nichts überließ sie bei ihrem Neustart dem Zufall. Eine Frage taucht von ganz allein auf: Wie um Himmels Willen kam die Großgörschenerin auf Dölzig? Sie sei anfangs durch die Gegend gefahren und habe sich alles angeschaut. Der Standort Leuna habe nicht geklappt, bis sie auf Dölzig stieß. Dort zog sie Erkundungen ein, wie viel Beschäftigte hier arbeiten. Nach einem Existenzgründerseminar bei der IHK ging es Anfang August dieses Jahres endlich los. „Es lief bisher wirklich prima, ich bin selbst überrascht.“ Ihre Entscheidung, sich selbstständig zu machen, habe sie keinen Tag lang bereut. „Klar, wenn hier Schluss ist, ist der Arbeitstag für mich noch nicht vorbei.“ Denn am späten Nachmittag zu Hause angekommen, müsse sie unter anderem Waren ran holen oder auch Vorbereitungen für den nächsten Tag treffen. „Wenn ich gegen 20 Uhr fertig bin, erst dann ist der Tag für mich zu Ende.“ Und sie räumt ein: „Es ist mein Leben, ich tue es für mich.“ Die Arbeit mache Spaß, sie sei zufrieden. Mit einer kleinen Einschränkung: Zu ihrem Hobby kommt Silke Birkmann derzeit nicht mehr: Ihrem geliebten Hundesport. „Die Zeit reicht einfach nicht aus.“ Aber ganz aus dem Kopf sei der Gedanke daran noch nicht. „Kommt Zeit, kommt Rat, irgendwann passt es schon.“ (mz)