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"Es war eine ernste Situation" "Es war eine ernste Situation": So erlebte ein NVA-Soldat aus Kleinhelmsdorf die Wende

Von Iris Richter 11.11.2019, 16:18
Wolfgang Börner ist froh, dass während des Wendeherbstes vor 30 Jahren alles friedlich blieb.
Wolfgang Börner ist froh, dass während des Wendeherbstes vor 30 Jahren alles friedlich blieb. hartmut Krimmer

Kleinhelmsdorf - Seine alte Armeetasche hat Wolfgang Börner noch. Sogar das Behältnis für die sogenannte Petschaft - die Siegelmarke der Nationalen Volksarmee (NVA) - ist noch intakt. Auch heute vor dreißig Jahren hatte der damalige Oberstleutnant der NVA die schwarze Lederaktentasche dabei, als er im Führungszentrum des Militärbezirkes 3 in Leipzig seinen Dienst antrat.

NVA-Soldat besitzt zahlreiche Aufzeichnungen über Wendezeit

Seit ab Anfang Oktober 1989 in Leipzig immer wieder Zehntausende auf die Straße gingen, um gegen das Unrecht in der DDR zu demonstrieren, war auch das Militär der DDR in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt worden, wie Börner notierte. Er zieht ein rotes Notizbuch im Din-A-5-Format aus der Tasche. Denn mittlerweile ist das Lederbehältnis zu seinem mobilen Archiv geworden, das zahlreiche Aufzeichnungen enthält, die die Zeit des Wendeherbstes vor dreißig Jahren dokumentieren.

„Dieses Arbeitsbuch war GVS - Geheime Verschlusssache. Wenn man mitbekommen hätte, dass ich es einfach mitgenommen habe, das wäre nicht so gut gewesen“, sagt der Kleinhelmsdorfer. Eine Notiz in dem Büchlein galt etwa einer Lagebesprechung am 4. Oktober, in der die Offiziere darüber informiert wurden, dass in der Prager Botschaft der BRD DDR-Bürger Unterschlupf gesucht hatten und dass dies aus staatlicher Sicht nicht rechtens sei.

Kleinhelmsdorfer als Stabsoffizier für Gefechtsausbildung der Soldaten zuständig

29 Jahre hatte der gebürtige Leipziger in der Volksarmee der DDR gedient. Nach einer Fleischerlehre bot das Militär für ihn die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, sagt der heute 78-Jährige. „Ich war ein Spätzünder, bin 1961 zur Armee gegangen, konnte hier die zehnte Klasse und das Abitur machen, studieren und ich war damals überzeugt, dass die DDR ein Staat der Arbeiter und Bauern ist“, macht der diplomierte Historiker deutlich. Er habe einen Fahneneid geschworen, wollte auch in der SED, deren Mitglied er war, seine Parteipflicht erfüllen. Fortan befehligte Börner bei der NVA zwar keine Truppe, doch als Stabsoffizier war er für die Gefechtsausbildung der Soldaten zuständig.

Als Börner 1982 von Halle nach Leipzig versetzt wurde, begann er manches kritischer zu sehen. Immer mehr sei ihm aufgefallen, dass die Armee ein Staat im Staate war. In einem Rechenschaftsbericht, den er für ein Parteilehrjahr vorbereiten sollte, sprach er dann manches kritisch an. Zum Beispiel, warum bei den Soldaten gespart werden musste, während das auf höhere Offiziere nicht zutraf. Mitte der 1980er Jahre blieb ihm dann eine Versetzung in die Verwaltung des Verteidigungsministeriums verwehrt, vermutlich weil ihm einmal ein sogenanntes Gefechtsdokument abhanden gekommen war und er so in den Blickpunkt der Stasi geriet.

Die hatte ihn einbestellt und befragt. Und dass seine Frau Westverwandtschaft hatte und seine Schwiegermutter die DDR verlassen wollte, verbesserte die Situation nicht gerade. Trotzdem blieb Börner Armee und Staat treu. Er gehörte im Wendeherbst 1989 zu jenen, die bei den Montagsdemonstrationen und am Tag des Mauerfalls im Leipziger Führungszentrum des Militärbezirkes - dem operativ-taktischen Zentrum wie er korrekt notierte - in Bereitschaft saßen. Dort wartete er auf die Dinge, die da kamen. „Wir haben eigentlich nur dagesessen, auf Befehle gewartet und über Gott und die Welt geplaudert. Und es gab eine Direktschalte zur Stasizentrale“, erinnert sich Börner.

Demonstrationen im November: Soldaten trugen Schlagstöcke

Derweil hätten zum Beispiel bei der wohl größten Demonstration in Leipzig am 6. November 1989, an der selbst Offiziersfrauen teilnahmen, in den Seitenstraßen von Leipzig jede Menge Soldaten gestanden. Denn es seien Hundertschaften aus dem gesamten Militärbezirk gebildet worden, aber auch Fallschirmjäger aus Prora waren nach Leipzig abkommandiert.

Waffen trugen die Soldaten nicht, wohl aber Schlagstöcke, mit denen man im Fall der Fälle gegen die Demonstranten hätte vorgehen können. „Ich bin froh, dass alles friedlich abgelaufen ist und es keinen Befehl gab, bei dem ich irgendein Regiment hätte anrufen müssen, um die Truppe in Marschbereitschaft zu versetzen. Es war schon alles eine ernste Situation“, sagt Börner heute.

Nach der Wende: NVA-Soldat wechselt in die Baubranche

Als am 9. November schließlich die Mauer gefallen war, begannen Börner und andere Offiziere darüber nachzudenken, wie es nun mit dem Staat aber auch für sie weitergehen wird. Dabei erging sogar noch am 11. November eine so genannte Geheimhaltungsvorschrift, wie Börner notierte, die es verbot mit Zivilisten aus der BRD in Kontakt zu treten.

Eine Zukunft beim Militär konnte er sich bei aller Abwägung nicht mehr vorstellen, so dass er Ende 1990 als Oberstleutnant aus der Bundeswehr entlassen wurde. Er zog zurück nach Kleinhelmsdorf, wo er aufgewachsen war, wechselte in die Baubranche und engagierte sich später als ehrenamtlicher Bürgermeister für sein Dorf. (mz)