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Festnahme von Adrian Ursache Adrian Ursache: Polizei geht gegen geleakte Youtube-Videos vor

Von Steffen Könau 30.01.2018, 15:39
Ausschnitt aus den Aufnahmen der Body Cam.
Ausschnitt aus den Aufnahmen der Body Cam. Screenshot

Halle (Saale) - Der Trupp der Polizeibeamten geht einen Gartenweg entlang, dann übersteigen einige einen Zaun, andere ziehen ihre Waffen und legen  auf ein Ziel an, das sich hinter einer Hecke verbirgt.

Der Kameramann läuft zurück, in einem schnellen Schwenk sieht man Beamte mit Zivilisten ringen, Männer knien auf dem Rücken von Menschen, später zeigt eine Nahaufnahme, wie eine Frau von zwei Beamten niedergerungen und mit Kabelbindern gefesselt wird.

Prozess um Adrian Ursache in Halle (Saale)

Bilder, die bereits die  Verfahrensbeteiligten und die Prozessbeobachter im Landgericht Halle irritiert hatten. Seit Oktober muss sich der frühere Mister Germany und Solar-Unternehmer Adrian Ursache hier vor der Großen Strafkammer wegen versuchten Mordes verantworten.

Die Anklageschrift wirft ihm vor, bei einem Polizeieinsatz, der der Absicherung einer geplanten Zwangsräumung seines Hauses durch einen Gerichtsvollzieher diente, auf einen Polizisten geschossen und den Beamten am Hals verletzt zu haben.

Videoaufnahmen von Body Cams der Polizisten

Das Tatgeschehen ist auf den Videofilmen, die zwei Beamte vom Sondereinsatzkommando (SEK) und Bereitschaftspolizei während des laufenden Einsatzes mit sogenannten Body Cams angefertigt haben, nicht zu sehen.

Für Sekunden nur ist Ursache zu sehen, der mit einer Waffe am ausgestreckten Arm zwei vor ihm stehende Polizisten anzuvisieren scheint, die wiederum mit erhobenen Pistolen auf ihn zielen. Dann verdeckt der filmende Beamte die Szenerie, weil er selbst seine Waffe hebt und sich anschließend zurückzieht.

Streit um geleakte Youtube-Videos

Streit gibt es nun dennoch um die beiden Filme, die Ende Dezember auf bis heute unbekanntem Weg aus den Verfahrensakten in die Öffentlichkeit gelangt sind.

Unbekannte veröffentlichten mindestens zwei Polizeivideos beim Internetportal Youtube, in beiden Fällen waren die ursprünglich nur mit  dem Originalton unterlegten dokumentarischen Aufnahmen mit Reichsbürger-Propaganda versehen worden.

Da die Mitteldeutsche Zeitung die geleakten Videos ebenfalls zugespielt bekommen hatte, entschloss sich die Redaktion, den Film unkommentiert öffentlich zu machen, der das im Gerichtsverfahren zusehends in den Mittelpunkt rückende Vorgehen der Einsatzkräfte an jenem 25. August 2016 in Reuden zeigt.

Wer hat die Videos der Festnahme veröffentlicht?

Eine Veröffentlichung, die vor Gericht und in der Landespolitik Wellen schlug. Der dem Verfahren gegen Adrian Ursache vorsitzende Richter Jan Stengel ließ alle offiziell Prozessbeteiligten für sich eine Art Ehrenerklärung abgeben, dass sie nicht hinter dem Leak stehen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Magdeburger Landtag, Rüdiger Erben, stellte eine kleine Anfrage an die Landesregierung, um zu erfahren, wie es zur Veröffentlichung der Videos auf dem Video-Kanal kommen konnte und ob die Veröffentlichung unter Umständen rechtswidrig sein könnte.

Youtube hat geleakte Videos gesperrt

Kurze Zeit später sperrte die Google-Tochter Youtube den Zugang zu dem Film für Besucher aus Deutschland. Man habe eine Verleumdungsbeschwerde erhalten und nach einer rechtlichen Prüfung habe Youtube beschlossen, das Video in Deutschland nicht mehr zu zeigen, um „den lokalen Gesetzen zu entsprechen“.

Nach deutschem Recht ist die Veröffentlichung allerdings eigentlich sehr wohl zulässig. Das Videomaterial ist bereits in den Prozess eingeführt, verliert also durch die Veröffentlichung nicht an Beweiswert.

Festnahme von Adrian Ursache in Reuden

Zudem geben die Aufnahmen zumindest einen Eindruck von den Umständen des Polizeieinsatzes in Reuden, so dass sich die Öffentlichkeit selbst ein Bild vom Vorgehen der Polizei machen kann, das  schließlich ein blutiges Finale fand.

Die Pressefreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes gewährleistet, dass Institutionen die Veröffentlichung von Originalmaterial, das sie in schlechtem Licht erscheinen lässt, nicht verhindern können.

Die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd, auf die das Innenministerium in Magdeburg wegen der Klärung der Verantwortung für die Sperrung verweist, verweist denn auch nachdrücklich darauf, dass man die Sperrung des „betreffenden  Videos und weiterer Videos im Zusammenhang mit Reuden“ bei Youtube nur „angeregt“ habe. 

Grundlage sei das - erst im vergangenen Jahr um zusätzliche Eingriffsmöglicheiten erweiterte - Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG LSA), in dem sich allerdings kein Passus findet, der es erlaubt, die Meinungsfreiheit zur Gefahrenabwehr einzuschränken.

Das sagt die Polizei zu den gesperrten Videos

Dementsprechend betont die PD Süd auch, dass das „YouTube-Supportteam für Rechtsfragen in eigener Zuständigkeit über die Sperrung“ entschieden habe. Die Verleumdungsbeschwerde, die bei Youtube als Sperrungsgrund genannt werde, sei „nicht von der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd initiiert, der Beschwerdeführer ist uns nicht bekannt“, sagt eine Polizeisprecherin.

Das klingt nach einer Auslagerung der Verantwortung an eine private Firma aus den USA, die letzten Endes entscheiden muss, ob und wann ein Video gegen deutsches Recht verstößt. Youtube selbst äußert sich zu Einzelfällen von gesperrten Videos generell nicht, so dass im Fall des SEK-Videos ungeklärt bleibt, wer die Sperrung beantragt hat.

Wurden Persönlichkeitsrechte verletzt?

Womöglich habe eine im Video auftauchende Person ihre Persönlichkeitsrechte verletzt gesehen, mutmaßt ein mit der Praxis des Internetriesen bei solchen Beschwerden vertrauter Experte.

Zugleich habe die verantwortliche Stelle aber deutlich gemacht, dass die Veröffentlichung des Videos aus ihrer Sicht nicht gegen die Youtube-Nutzungsbedingungen verstoße, die sich an den Grundsätzen der Meinungsfreiheit orientieren.

„Der Film ist ausschließlich für Zuschauer aus Deutschland gesperrt“,  erklärt der Mann, „das heißt, dass aus Youtube-Sicht nur lokales Recht verletzt wird.“ (mz)