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Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Berlin: Ein hochexplosiver Schatz

Von Alexander Schierholz 02.12.2007, 18:12

Hoppegarten/MZ. - Es ist, so der Untertitel, "Ein Künstlerleben in sechs Kapiteln". Aber noch fehlen der englischen Originalfassung ein paar deutsche Zwischentitel. Elke Schirmer schiebt den Filmstreifen langsam über einen Leuchttisch, Bild für Bild. Stopp! Ein Blick aufs Manuskript neben ihr zeigt: Hier muss noch ein kleiner Text eingefügt werden. Damit "Die Prinzessin und der Geiger" in einem englisch-deutschen Stummfilm von 1924 bald wieder über die Leinwand tanzen können.

Alltag in der Filmrestaurierungswerkstatt des Bundesarchivs in Hoppegarten bei Berlin. Der unscheinbare eingeschossige Zweckbau mit viel Glas und Metall, wie er zu Tausenden in deutschen Gewerbegebieten steht, birgt einen Schatz: Filme aus der Frühgeschichte des deutschen Kinos, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang der 60er Jahre. Spielfilme. Dokumentarfilme. Wochenschauen. Lehrfilme. 75 000 Rollen insgesamt. Darunter Klassiker wie das - nur in Fragmenten vorhandene - Original-Negativ von Fritz Langs Epos "Metropolis" (1925 / 1926) über die "Stadt der Zukunft".

75 000 Rollen - das klingt viel. Aber es ist verschwindend wenig. Sagt Egbert Koppe, Abteilungsleiter für Filmrestaurierung. "80 Prozent der Filme aus der Stummfilm-Ära gelten als verloren." Und es droht noch mehr verloren zu gehen. Der Schatz von Hoppegarten ist hochexplosiv. Produktionen aus den Kindertagen des Kinos sind in der Regel auf Nitrozellulosebasis hergestellt - sogenannte Nitrofilme. "Stark zerfallsbedroht und extrem feuergefährlich", sagt Koppe. Das Material zersetzt sich im Laufe der Zeit und bildet Gase, die sich selbst entzünden können. Ein ausgeklügeltes Belüftungssystem in den Archivräumen soll das verhindern. Zudem ist das Gebäude zum Teil in einen Erdwall gebaut, der Druckwellen bei möglichen Explosionen abfangen soll.

Auf einem großen gelben Stahlschrank im Zimmer von Elke Schirmer warnen orangefarbene Aufkleber: "Vorsicht feuergefährlich!". Die Konstruktion zum Zwischenlagern von Filmen ist mit einem Rauchabzug ausgestattet. Der Raum, wie alle Bearbeitungsräume, mit einem zweiten Ausgang, der direkt ins Freie führt - für alle Fälle. Neben dem Schrank hängt eine Urkunde: 25 Jahre ist Schirmer nun schon mit der Archivierung und Restaurierung alter Filme beschäftigt. Ausgebildet ist sie als Filmkopierfacharbeiterin im Defa-Kopierwerk Berlin - ein Beruf, den es so heute nicht mehr gibt.

Routiniert schiebt die 48-Jährige zwei Filmschnipsel in einen schwarzen Kasten in Größe eines Schuhkartons und lässt sie durchlaufen. "Das ist ein Schweißgerät", erklärt sie. Am Ende hält sie einen Filmstreifen in der Hand - zwischen zwei Bilder von "Die Prinzessin und der Geiger" ist jetzt ein Titel montiert.

Die Bearbeitung der Filme ist aufwendig und langwierig - je nach Zustand wenige Wochen bis zu einem Jahr. Bei 75 000 Filmrollen wird die Arbeit der 30 Beschäftigten in Hoppegarten so auch zu einem Wettlauf gegen die Zeit - zumal einem Nitrofilm nicht anzusehen ist, wann er beginnt, sich selbst zu zerstören. "Dafür gibt es bisher keine praktikablen physikalischen und chemischen Nachweismethoden", bedauert Egbert Koppe. Habe der Zerfall aber erst einmal eingesetzt, sei es höchste Zeit zu handeln. "Zunächst fangen die Filme an zu kleben und zu riechen", beschreibt der Experte den Prozess, "dann muss man innerhalb eines Jahres etwas tun." Sonst sei die Gefahr groß, dass am Ende nur eine "honigartige Masse" übrig bleibe.

Als gesichert gelten die Filme, wenn es von ihnen am Ende mehrere Kopien gibt - zwei fürs Archiv, mindestens eine für die öffentliche Nutzung, etwa für Neuproduktionen oder Forschungszwecke. Theoretisch, sagt Koppe, könne jeder auf Kosten des Bundes die Restaurierung eines Films verlangen. Das Archivgesetz schreibe das so vor. "In der Praxis müssen wir aber Prioritäten setzen." Wie hoch ist das öffentliche Interesse? Hat das Archiv Kapazitäten frei?

Wegen gekürzter Mittel ist Koppe zudem froh über jeden Partner, der sich an den Kosten beteiligt. Etwa Sender oder Filmfestivals, die ohnehin die meisten Aufträge vergeben. So bestücken die Archivare aus Hoppegarten regelmäßig die "Retrospektive"-Reihe der Leipziger Dokfilmwoche. Erst vor kurzem haben sie gemeinsam mit dem deutsch-französischen Kulturkanal Arte "Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" wieder in einen nutzbaren Zustand versetzt - ein Klassiker der Stummfilmzeit von 1927. "Die Prinzessin und der Geiger" ist nicht ganz so berühmt. Aber immerhin: Das Drehbuch hat damals, 1924, ein gewisser Alfred Hitchcock geschrieben.