Buch über Drogenmissbrauch Buch über Drogenmissbrauch: Die Kinder vom Bahnhof C

Halle (Saale)/MZ - Der Stoff, aus dem die Träume sind, hat nichts Romantisches. Ephedrin, Abflussreiniger und Batteriesäure, zählt Sebastian Caspar auf. Daraus besteht es, dieses „Crystal Meth“, das auf dem besten Wege ist, all die anderen Drogen, all das Heroin, Kokain und Amphetamin aus dem Markt zu blasen. Crystal Meth, zumeist in tschechischen Hinterzimmerlaboren zusammengekocht, ist billig. Und es wirkt absolut verheerend. Nichts führt schneller in die Sucht, nichts zerstört den Körper so umfassend und gründlich und macht den Geist in so kurzer Zeit kaputt.
Crystal Meth ist eine Zeitbombe
Crystal Meth, auf den Straßen von Halle, Leipzig und Merseburg nur „Crystal“ oder „C“ genannt, ist eine Zeitbombe, ein gesellschaftsveränderndes Experiment. Und Sebastian Caspar, ein kräftiger junger Mann mit Kinnbart, der seine Zigaretten selber dreht und seine Sätze sorgsam formuliert, hat ein geradezu alptraumhaftes Buch darüber geschrieben. „Zone C“ ist das Porträt einer Jugend, die nicht einmal mehr für den Augenblick lebt, ein düsterer Blick in einen Abgrund.
Ein Psychogramm, so schwarz, dass jeder behandelnde Psychologe anschließend zur Therapie müsste. Caspar lächelt und nimmt einen Schluck Milchkaffee. „Ehrlich“, sagt er und blinzelt, „die Wirklichkeit ist schlimmer.“ Sebastian Caspar, in Weißenfels (Burgenlandkreis) geboren und heute Sozialarbeiter in einer Schule im Süden von Leipzig, weiß aus seiner täglichen Arbeit, worüber er spricht. Diese Droge zerfrisst das Gehirn, diese Droge zerfrisst die Gesellschaft. „Und niemand nimmt das überhaupt zur Kenntnis.“
Immer noch, hat der 36-Jährige bemerkt, warnen die einschlägigen Institutionen vor Kokain und Heroin, als habe sich die Welt nicht längst weitergedreht. Kopfschütteln über der Kaffeetasse. „Das Zeug ist seit zehn Jahren unterwegs“, sagt Sebastian Caspar, „und irgendwann wird man das bemerken und erschrecken.“
Im Jahr 1893 gelang es dem japanischen Chemiker Nagayoshi Nagai, die Droge Methamphetamin zu synthetisieren, die heute unter der Bezeichnung „Crystal“ als gefährlichste Modedroge gilt. Die Berliner Temmler-Werke entwickelten daraus 1934 eine Droge, die das Schlafbedürfnis senkte und die Leistungsfähigkeit steigerte. Als „Pervitin“ kam das Rauschgift 1938 auf den Markt - gerade rechtzeitig, um Hitlers Blitzkriege zu befeuern.
Während der Feldzüge gegen Frankreich rückten ganze Wehrmachtseinheiten zugedröhnt mit Crystal aus, das unter Spitznamen wie „Panzerschokolade“ verabreicht wurde. Crystal ist eine Kriegsdroge: Das Mittel unterdrückt Müdigkeit, Hungergefühl und Schmerz, es verleiht Selbstvertrauen, der Nutzer fühlt sich stark und tatkräftig.
Selbst in der Nazi-Diktatur aber beunruhigten die Nebenwirkungen wenig später erste Mediziner. Berichte über Persönlichkeitsveränderungen, Psychosen und Paranoia, Halluzinationen und Depressionen mehrten sich. Ab 1. Juli 1941 fiel Pervitin unter das Opiumgesetz, so dass der freie Verkauf verboten war. Dennoch orderte die Wehrmacht zehn Millionen Tabletten gemäß ihrer „Richtlinien zur Bekämpfung von Ermüdung“: „Einmal zwei Tabletten beseitigen das Schlafbedürfnis für drei bis acht Stunden, zweimal zwei Tabletten gewöhnlich für 24 Stunden“, heißt es da. Auch Hitler ließ sich mit seiner „Vitaminspritze“ täglich Crystal Meth verabreichen, wahrscheinlich ohne es zu wissen.
Methamphetamin kann auf jede nur erdenkliche Art eingenommen werden. Egal, ob durch die Nase inhaliert, geraucht, gegessen oder gespritzt - die Droge weckt stets das starke Verlangen, mehr davon zu nehmen. Zudem erzeugt die Droge ein Gefühl von Glücklichsein und Wohlergehen, kombiniert mit Zuversicht, Hyperaktivität und Energie. Dabei zerstört die chemische Substanz den Körper systematisch. Die Wirkungen reichen vom Gedächtnisverlust über Aggressivität bis hin zu Herz- und Hirnschäden. Die schnell eintretende körperliche Abhängigkeit wird nur durch weiteren Konsum der Droge gelindert.
Allerdings hat Caspar nicht über Sten, Asic, Monti und die anderen Kinder vom Bahnhof C geschrieben, um auf die Gefahren durch Drogenmissbrauch hinzuweisen. Ihn hätten schon immer die Verlierer interessiert, die Leute ohne Stimme, ohne Lobby. „Als ich vor zehn Jahren angefangen habe, immer mal wieder eine Geschichte aufzuschreiben, gab es überhaupt keinen Plan, daraus mal ein Buch zu machen.“
Caspar selbst ist damals noch eher unstet unterwegs. Das Schreiben, in der Jugend mit herzschmerzigen Gedichten begonnen, gibt ihm Halt und Rhythmus, das Lesen von Brett Easton Ellis und Michel Houllebecq Orientierung. Ein Psychologie-Studium hat er abgebrochen, es zieht ihn nach Indonesien und Australien, er spielt mit seiner Band Boing Agrupapulci in Asien und arbeitet zwischendurch als Schuhverkäufer und in einem Callcenter. Eine Jugend, die in alle Ewigkeit so hätte weitergehen können. „Aber eines Tages“, erinnert er sich, „habe ich mich gefragt: Sebastian, willst du das echt dein Leben lang machen?“
Nein. Es hat Klick gemacht in diesem Augenblick. Sebastian Caspar ist zurück an die Uni gegangen, um fertigzumachen, was er nach der Schule begonnen hatte. Das Sozialarbeiterstudium hat er auf eigene Kosten durchgezogen, im Unterschied zum ersten Anlauf jetzt hochmotiviert. „Ich wollte das, und ich war ein Einser-Student.“
So ähnlich ist es dann auch mit dem Berg an Texten gewesen, aus denen jetzt „Zone C“ geworden ist. „Ich habe gewusst, da steckt mehr drin, ich musste das nur ordnen und in einem Zusammenhang bringen.“ Das dauert noch mal ein paar Jahre und darauf folgt die entnervende, aufreibende und frustrierende Suche nach einem Verlag. „Da heißt es dann bei dem einen, nein danke, das ist uns zu hart“, beschreibt Caspar, „und beim nächsten, sorry, aber das ist nicht heftig genug.“
Nicht nur eine Nacht hat Sebastian Caspar in dieser Zeit wach gelegen, geplagt von Selbstzweifeln und Unruhe. „Ich wusste, dass das Buch gut ist, aber das allein nützt ja nichts.“
Caspar wollte kein Drogenbuch schreiben
Seltsamerweise ist das kantige und zugleich poetische Porträt einer Jugend in Auflösung durch die Reifezeit nur noch aktueller und drängender geworden. Caspar, der die Szene kennt und Freunde erlebt hat, die vom wütenden Wunsch nach der endlos anhaltenden Dröhnung aus dem normalen Leben gerissen worden sind, wollte ja, sagt er, kein Drogenbuch schreiben. „Das hätte doch ausgesehen, als seien die Drogen das Problem.“
Im Fall seiner stoischen Helden aber sind die allenfalls ein Symptom, eine trügerische Hoffnung, ein Tagesbegleiter wie Socken, Unterhose und Schuhe. „Brandbeschleuniger“ nennt Sebastian Caspar das C. Die Jugendlichen, die er aus dem Dunkel reißt, in dem sie sich für gewöhnlich bewegen, benutzen die Droge nicht mehr auf der Suche nach Rausch, Betäubung oder gar glückseligmachender Euphorie. Sie konsumieren es vielmehr beiläufig und unaufgeregt wie andere Kaffee, Käsebrot und Zigarette: Aufstehen, schnupfen. Ausgehen, schnupfen.
„Ich werte das nicht, ich moralisiere nicht, ich sage nur, so ist es“, beschreibt er. Ziel sei es, „den Vorhang wegzuziehen, der vor diesem Teil unserer Realität hängt“.
Hinter ihm spielen sich Dramen und Tragödien ab, die in Wirklichkeit krasser sind als alles, „was ich beschreiben wollte“. Süchtige, die stundenlang so gebannt Schrauben zählen oder tagelang vor einem blinkenden und flackernden Videospiel sitzen, dass sie Essen und Waschen vergessen. Kinder, die mit zwölf schon so drauf sind, „dass man sieht, wo es hinführen kann, wenn es kein Lob, keine Ermutigung und keine Nestwärme gibt.“ Sebastian Caspar hat sie gesehen, draußen auf den Straßen, die Leute, die nicht so perfekt funktionieren, wie das die Gegenwart wünscht. „Manchmal gibt es ja für Sucht gar keine Gründe“, sagt er. Aber manchmal eben schon.
