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Biotechnologie Biotechnologie: Künstliche Zellen

Von Julia Klabuhn 17.06.2013, 15:48
Der Wissenschaftler Erdmann Rapp im Foyer des Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.
Der Wissenschaftler Erdmann Rapp im Foyer des Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg. Andreas Stedtler Lizenz

Magdeburg/Halle/MZ - Jede Zelle in unserem Körper ähnelt einer kleinen Fabrik. Es gibt verschiedene Abteilungen, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen: Zum Beispiel die Energieversorgung oder die Logistik. Es sind hochkomplexe biochemische Prozesse, die in den verschiedenen Zellabteilungen ablaufen. Dennoch, Wissenschaftler in ganz Deutschland sind nun damit befasst, diese Zellvorgänge in vitro - also in Bioreaktoren - nachzustellen. Das Ziel: zellfreie Biotechnologie. Gefördert werden die Vorhaben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Dieses hat einen Strategieprozess in Gang gesetzt, um eine neue Generation biotechnologischer Produktionsverfahren zu entwickeln.

Bisher werden biotechnische Produkte für Forschung oder medizinische Anwendung, zum Beispiel Enzyme oder Impfstoffe, in Zellkulturen hergestellt. Diese Produkte sollen in Zukunft auch zellfrei in Bioreaktoren erzeugt werden. Die erhofften Vorteile: die Produkte können in größerer Reinheit hergestellt werden als in Zellkulturen. Und man kann Produkte erzeugen, die von Zellen so nicht produziert werden. Zudem soll langfristig mit zellfreier Biotechnologie die Herstellung größerer Mengen eines Produkts möglich sein - mehr als in Zellkulturen erzeugt werden kann.

Proteine werden mit einer Zuckerantenne ausgestattet

Eines der Projekte befasst sich mit der Nachahmung von Vorgängen in der zellulären Logistikabteilung. Die Wissenschaftler Udo Reichl und Erdmann Rapp vom Magdeburger Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme arbeiten hier mit Markus Pietzsch von der Universität Halle zusammen. Konkret geht es um Abläufe im endoplasmatischen Retikulum und im Golgi-Apparat. „Diese Zellkompartimente muss fast jedes Protein durchlaufen, das aus der Zelle hinaus will“, sagt Markus Pietzsch, Professor am Institut für Pharmazie der Uni Halle. Proteine, die in einer Zelle produziert werden, können entweder in der Zelle wirken oder außerhalb. Außerhalb der Zelle sind sie zum Beispiel an der Blutbildung beteiligt oder am Aufbau von Haut und Knochen, erklärt Pietzsch.

Aber wie „wissen“ die Proteine, an welcher Stelle im Körper sie ankommen müssen, um zu wirken? „Die Proteine werden mit einer Zuckerantenne ausgestattet“, erläutert Pietzsch. Diese Glykane genannten Strukturen werden an die Proteine angehängt und bestimmen, wo die Proteine im Körper andocken und wirken. „Im endoplasmatischen Retikulum erhält jedes Protein den gleichen Anhang, Glykan genannt. Im Golgi-Apparat wird dieser umgebaut. Den Proteinen werden so verschiedene Glykane oder auch ,Zuckerantennen’ mit auf den Weg gegeben“, erklärt Pietzsch.

In der Fachsprache heißt dieser Vorgang Glykosylierung. „Mehr als die Hälfte aller Proteine ist glykosyliert. Diese glykosylierten Proteine spielen zum Beispiel im Immunsystem des Körpers eine wichtige Rolle“, sagt Erdmann Rapp, Leiter der Arbeitsgruppe Bio/Prozessanalytik am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme. „Die Glykane der glykosylierten Proteine sorgen dafür, dass das Schlüssel-Schloss-Prinzip funktioniert. Dass also die Proteine dort hingelangen und ’andocken’, wo sie wirken sollen. Dazu müssen sie an ganz bestimmten Stellen des Proteins angehängt sein. Zudem verlängern die Glykane die Halbwertszeit der Proteine im Körper - diese werden weniger schnell abgebaut und können deshalb länger wirken.“

Glykanstrukturen sind für Hersteller von Ersatzmilch interessant

Rapp arbeitet gemeinsam mit Pietzsch in dem vom BMBF geförderten Projekt daran, die Glykolysierung von Proteinen, also ihre Ausstattung mit „Zuckerantennen“ zellfrei nachzuahmen. Rapps Part ist es, alle Zwischen- und Endprodukte zu analysieren, die in Pietzschs Labor entstehen. „Am MPI untersuchen wir, ob die Synthese funktioniert hat, ob die gewünschten Strukturen entstanden sind und ob das Produkt eine ausreichend hohe Reinheit aufweist“, sagt Rapp. Dazu braucht es hochsensible Analyseverfahren. „Wir können bei unseren Analysen nicht nur feststellen, welche Glykanstrukturen in einer Probe vorhanden sind, sondern auch, an welcher Stelle eines Proteins sie gebunden sind“, erklärt Rapp. Außerdem seien kleinste Mengen der Glykane in einer Probe messbar. Nicht nur die Sensibilität der Messung, sondern auch ein hoher Probendurchsatz ist wichtig. Realisieren kann Rapps Arbeitsgruppe dies mit der sogenannten Kapillar-Gelelektrophorese. „Wir haben am MPI Geräte für die Glykan-Analysen modifiziert, die ursprünglich in der DNA-Sequenzierung eingesetzt wurden“, sagt der Wissenschaftler. Auch die entsprechende Software und die Datenbanken für die Analysen sind am MPI in Magdeburg entwickelt worden.

Genau definierte „Zuckerantennen“ zu bauen, könnte der Forschung helfen, die genaue Wirkung dieser Zuckerantennen an Proteinen zu erforschen. „Es gibt zum Beispiel in der Muttermilch von Menschen viele verschiedene Glykanstrukturen, deren Bedeutung noch nicht vollständig aufgeklärt ist“, sagt Rapp. Einen Nährwert haben sie nicht, sie dienen der Stimulation des Immunsystems und helfen bestimmten Bakterien bei der Besiedlung des Darms. „Die Aufklärung von Struktur und Wirkung dieser Glykanstrukturen ist für Hersteller von Ersatzmilch sehr interessant.“

Neben diesem Einsatz im Bereich Functional Food gibt es die Hoffnung, eine neue Generation von Krebsmedikamenten zu entwickeln, die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip ganz gezielt Krebszellen angreifen. Bisher orientieren die Toxine sich zum Beispiel an der Geschwindigkeit, mit der sich Zellen teilen - greifen dabei aber nicht nur schnellteilende Tumorzellen, sondern auch andere Körperzellen an. Könnte es aber gelingen, nur Krebszellen zu treffen, könnten die Toxine schonender, weil niedriger dosiert werden.

„Die Proteine werden mit einer Zuckerantenne ausgestattet“, sagt Professor Markus Pietzsch, Professor an der Uni Halle.
„Die Proteine werden mit einer Zuckerantenne ausgestattet“, sagt Professor Markus Pietzsch, Professor an der Uni Halle.
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