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Chemnitzer FC Beschimpft und bedroht: Köpfe des Chemnitzer FC flüchten vor Fans

Von Julius Lukas und Alexander Schierholz 06.09.2019, 08:00
Kollektive Trauer: Im März gedachte der Fanblock des Chemnitzer FC mit Pyrotechnik und Bannern des verstorbenen Neonazis Thomas Haller.  Auf der Stadionleinwand  war sein Bild zu sehen. 
Kollektive Trauer: Im März gedachte der Fanblock des Chemnitzer FC mit Pyrotechnik und Bannern des verstorbenen Neonazis Thomas Haller.  Auf der Stadionleinwand  war sein Bild zu sehen.  dpa

Chemnitz - Am Ende wollten sie nur noch weg. Weg vom Chemnitzer FC: David Bergner und Thomas Sobotzik, Trainer und Geschäftsführer des Fußball-Drittligisten, teilten am Mittwochabend mit, dass sie den Verein auf eigenen Wunsch verlassen werden. Sie zogen damit die Konsequenzen aus monatelangen Querelen, die zuletzt in offenen, zum Teil rechtsextremen Anfeindungen einzelner Fans gegen das Spitzenpersonal des Vereins gipfelten.

Die Situation eskalierte, nachdem der CFC den Mannschaftskapitän und Fan-Liebling Daniel Frahn wegen angeblicher Nähe zur rechten Szene Anfang August suspendiert hatte. Mitte des Monats wurde nach einem Heimspiel die Schmiererei „TS töten“ auf der Stadiontoilette gefunden. Die Abkürzung steht mit hoher Wahrscheinlichkeit für Thomas Sobotzik.

Beim CFC-Spiel: Geschäftführer soll als „Judensau“ beschimpft worden sein

Eine Woche später, beim Spiel gegen Bayern München II, soll der Geschäftsführer aus dem Fanblock als „Judensau“ beschimpft worden sein - der DFB hat dazu Ermittlungen eingeleitet. Sobotzik selbst spricht außerdem von Bedrohungen per Whatsapp. Schon nach dem letzten Pflichtspiel am vergangenen Freitag sagte Trainer David Bergner: „Es ist schwer, hier zu arbeiten.“ Nun zogen er und Sobotzik die Reißleine.

Die freiwillige Flucht der wichtigen Vereinsverantwortlichen kann man auch als Kapitulation vor einem kleinen, aber mächtigen Teil der Fanszene des Chemnitzer FC verstehen. Bundesweit ins Rampenlicht geriet die Anhängerschaft des Ostclubs, als bei einem Heimspiel im März fast der gesamte Fanblock mit Pyrotechnik und Bannern um den zuvor an Krebs verstorbenen Neonazi Thomas Haller trauerte.

Die Anteilnahme schwappte sogar auf den Rasen über. Der mittlerweile suspendierte Kapitän Frahn hielt beim Jubel nach einem Tor ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Support Your Local Hools“ in die Luft. Übersetzt bedeutet das: „Unterstütze deine lokalen Hooligans“.

Rechte CFC-Fans: Verbindungen bis zum NSU

„Tommy“, wie Haller im Verein genannt wurde, war jahrzehntelang mit dem CFC eng verbunden - als Fan und auch geschäftlich als Inhaber einer Securityfirma. Haller war darüber hinaus als rechtsextremer Hooligan bekannt, der in den 90er Jahren die Gruppierung „HooNaRa“ gründete. Die Abkürzung steht für „Hooligans, Nazis und Rassisten“.

Eine weitere Verbindung Hallers in die rechtsextreme Szene ist in den Akten zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zu finden. Ermittler entdeckten seinen Namen im Adressbuch eines Mannes, der den Mördern der Terrorgruppe in Chemnitz eine Wohnung zum Untertauchen vermittelt hatte. 1998 war das. Auch in Handys weiterer NSU-Unterstützer tauchte sein Name auf, so im Telefon eines ehemaligen V-Manns des Verfassungsschutzes.

Trauerbekundung für verstorbenen Hooligan erregt Aufmerksamkeit

Die Trauerbekundung für Haller erregte im Frühjahr allerdings nicht nur wegen dieser offenkundigen Verbindungen Hallers ins rechtsextreme Spektrum große Aufmerksamkeit, sondern auch, weil die Anteilnahme so öffentlich und einhellig stattfand. Der Verein wusste davon, zeigte sogar ein Bild des Verstorbenen auf der Stadionleinwand. Ein „Gebot der Mitmenschlichkeit“ sei das gewesen, hieß es nach dem Spiel in einer Stellungnahme.

Der Chemnitzer FC ist zahlungsunfähig und überschuldet - das stellte das Amtsgericht Chemnitz im Juni 2018 fest. Seitdem befindet sich der Verein in der Insolvenz. Als Verwalter wurde Klaus Siemon berufen, der sich in der Folge immer wieder mit der Vereinsspitze und den Fans überwarf. So drohte er vor der Mitgliederversammlung im August mit der Liquidation des Clubs, da er der vom Vorstand vorgelegten Kandidatenliste für den Aufsichtsrat zuvor nicht zustimmen durfte. Anschließend wollte Siemon den dreiköpfigen Vorstand für die Dauer der Mitgliederversammlung sogar inhaftieren lassen. Das Gericht lehnte das als unbegründet ab. Die Wahl des Aufsichtsrates auf der Mitgliederversammlung scheiterte dennoch.

Sportlich lief es für den Chemnitzer FC nach der Insolvenz im vergangenen Jahr sehr gut. Der Verein schaffte den direkten Wiederaufstieg in die dritte Liga. Der Start der Saison 2019/20 verlief jedoch schwach. Aus sieben Spielen holte die Mannschaft nur drei Punkte.

Und selbst die damalige SPD-Stadträtin Peggy Schellenberg, die auch Fanbeauftragte beim CFC war, kondolierte. Als Privatmensch habe sie ihn respektiert, seine politische Haltung jedoch verachtet, sagte Schellenberg später. Die Wirkung von Haller ging weit über den Verein hinaus. Sie reichte bis in die Stadt hinein. Das wird am Beispiel der SPD-Politikerin deutlich und auch daran, dass Haller mit seiner Securityfirma unter anderem bei Stadtfesten für Ordnung sorgte.

Rechsextreme Gruppierungen in Chemnitz: Vom Stadion in die Stadt

„Thomas Haller hatte seine Gefolgsleute im Verein“, sagt Lars Fassmann, der bis zum Mai für eine Wählervereinigung im Chemnitzer Stadtrat saß. Zum Beispiel in den rechtsextremen Fan-Gruppierungen „NS Boys“ und „Kaotic Chemnitz“, denen er mit ins Leben verholfen hatte. Die von ihm gegründet Gruppe „HooNaRa“ hatte sich 2007 aufgelöst.

Von den „NS Boys“ und „Kaotic“ lässt sich eine Linie ziehen, vom Stadion in die Stadt: „Kaotic“ mobilisierte im Internet zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen nach dem Tod eines 35-Jährigen im August vorigen Jahres in Chemnitz. Mittlerweile hat der CFC ein Hausverbot gegen Führungspersonen der Gruppe verhängt, er macht sie auch verantwortlich für die Trauerbekundung für Haller vom März.

Die „NS Boys“ waren schon vor Jahren mit Hausverbot im Stadion belegt worden, im April haben sie ihre Auflösung bekanntgegeben. Bringt es was? „Die Leute sind natürlich noch da“, sagt Fassmann, der die Entwicklungen rund um den CFC seit langem beobachtet. Der IT-Unternehmer spricht von 30 bis 50 Aktivisten. Sie bildeten zugleich den harten Kern der Chemnitzer Neonazi-Szene. „Das ist 80 bis 100 Prozent deckungsgleich.“

Koordinationsstelle für Fan-Projekte sieht Versäumnisse in der Vergangenheit des CFC

Von weiter weg, aber intensiv, beobachtet auch Michael Gabriel die Entwicklungen in Chemnitz. Er ist der Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) in Frankfurt am Main und sieht beim CFC Versäumnisse in der Vergangenheit. „Es gab deutlich zu wenig Bemühungen, den positiven Teil der Fanszene mitzunehmen und einzubinden“, sagt Gabriel. „Hinzu kommt, dass der Verein sich jahrelang mit den rechtsextremen Tendenzen eines Teils der Fans arrangierte, sie totschwieg oder tolerierte.“

Die aktuelle Eskalation hat für Gabriel aber auch mit der prekären Lage im Verein zu tun. Damit bezieht er sich auf die Insolvenz, in der der sächsische Club seit Juni 2018 steckt (siehe „Seit Juni 2018...“). „Für die Fans ist das eine existenzielle und damit hochemotionale Situation“, sagt der KOS-Leiter. Es gehe um das Überleben ihres Vereins, der für viele so etwas wie eine soziale Heimat darstelle. „Das soll Anfeindungen und Morddrohungen in keiner Weise rechtfertigen, aber es erklärt die extreme Härte, die jetzt entstanden ist.“

Ums Überleben des Vereins geht es in der Tat, so sieht es auch Klaus Siemon, der Insolvenzverwalter. Das könnte man als Appell zur Geschlossenheit deuten. Doch Siemon macht am Donnerstag ganz klar die Fans für die Rücktritte von Cheftrainer Bergner und Geschäftsführer Sobotzik verantwortlich. Die Fanszene habe es unterlassen, den beiden den Rücken zu stärken, schimpft Siemon. Den Verein sieht er aktuell in seiner Existenz bedroht, eine Liquidation will er nicht ausschließen. (mz)

Rechte Kundgebungen vor dem „Nischel“: Im November 2018 demonstrierte eine Gruppierung anlässlich des Besuchs von Angela Merkel in Chemnitz.
Rechte Kundgebungen vor dem „Nischel“: Im November 2018 demonstrierte eine Gruppierung anlässlich des Besuchs von Angela Merkel in Chemnitz.
dpa