Beruf im Wandel Beruf im Wandel: Wie sich das Tätigkeitsbild von Krankenschwestern ändert

Halle (Saale) - Der Arbeitstag von Schwester Jeannette Holzwarth beginnt um 6 Uhr mit einer Morgenrunde. Die Leiterin der Station C 1 und der Schlaganfall-Station an der Klinik für Neurologie des Krankenhauses Martha Maria in Halle-Dölau geht dann durch alle Zimmer. Misst bei den Kranken Blutdruck, Puls sowie Temperatur. Und kommt dabei mit ihnen ins Gespräch. „Manchmal habe ich danach einen dicken Kopf, weil jeder der 40 Patienten etwas erklärt haben will“, erzählt sie. Missen möchte sie es nicht. Denn auf diese Weise verschafft sich die Stationsleiterin, die tagsüber viele Verwaltungsaufgaben zu erledigen hat, ein Bild davon, wie es den Menschen geht, die auf ihrer Station versorgt werden. „Es ist nur ein kurzer Kontakt“, sagt die 44-Jährige. Der sei jedoch sehr wichtig. „Ich sehe, wenn sich der Zustand eines Patienten verschlechtert, kann meinen Kollegen sagen, worauf sie achten sollen.“
Weg von der Krankenschwester, hin zur eigenverantwortlichen Partnerin des Arztes
Schwester Jeannette, so sagt Oberin Barbara Ide, die Pflegedienstleiterin des Krankenhauses, bringe den Patienten viel Empathie entgegen. „Sie hat eine Art, Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Das fühlen die Patienten.“ Die seien manchmal so schwach. „Aber sie spüren, da ist jemand, zu dem sie Vertrauen haben können.“ Das habe sich in den vergangenen 25 Jahren nicht geändert.
Gewandelt hat sich hingegen das Berufsbild. Weg von der Schwester, die lediglich Anweisungen ausführt, hin zur eigenverantwortlich arbeitenden Partnerin des Arztes. Jeannette Holzwarths Weg ist dafür ein gutes Beispiel.
1994 startet sie, gerade mal 19 Jahre alt, ins Berufsleben. Die Neurologie ist nicht ihre erste Wahl. Nach der Schule hat sie an der Universitätsklinik in Halle eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester absolviert. Das war 1991. Eine Zeit, in der sich jeder, der einen Ausbildungsplatz findet, glücklich schätzen kann. Auch die junge Frau aus Schochwitz (Saalekreis) ist froh. Etwa 800 Bewerbungen soll es an der Uniklinik gegeben haben. Doch als sie 1994 ihr Abschlusszeugnis in der Hand hält, da gibt es in der Kinderkrankenpflege keine Stellen. Es werden ja kaum noch Kinder geboren. Sie muss sich, wie viele andere, neu orientieren.
Kein einfacher Start: Diakoniewerk Martha Maria sucht zusätzliche Schwestern
Weil keine Kinder mehr geboren werden, ist auch das Kinderkrankenhaus in der halleschen Fährstraße nicht mehr gefragt. Der Träger, das Diakoniewerk Martha Maria Nürnberg, beschließt, dort neben einer orthopädischen eine neurologische Klinik zu eröffnen. Dafür werden zusätzliche Schwestern benötigt. Jeannette Holzwarth, die zunächst erwägt, ihr Glück in München zu versuchen, bewirbt sich, denn sie hängt an ihrer Heimat. So landet sie in der Neurologie. Und kann in diesem Jahr gemeinsam mit der Klinik auf 25 Dienstjahre zurückblicken.
Der Anfang ist nicht ganz einfach. Es ist ein kleines Team um den jungen Chefarzt Dr. Frank Hoffmann, der aus Nürnberg kommt, das an den Aufbau der neurologischen Station geht. Jeannette Holzwarth erzählt, dass es vor allem Barbara Ide gewesen sei, die die jungen Schwestern, die sich eigentlich der Arbeit mit Kindern verschrieben hatten, angespornt habe. Die damalige Stationsleiterin hatte selbst viele Jahre in der nun ehemaligen Kinderklinik gearbeitet. Der Wechsel des Fachs fiel ihr nicht leicht. Aber es habe keine Alternative gegeben, sagt die Oberin. „Wir haben uns da reingekniet, weil wir einfach gewollt haben, dass es weitergeht“, sagt sie. „Viele von uns hatten Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.“ Damals sei noch nicht die Rede vom Zusammengehen mit der Klinik in Halle-Dölau gewesen - die Fusion erfolgte erst 1997.
Reger Austausch zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Therapeuten
Von der Fachrichtung Neurologie haben die Schwestern zu diesem Zeitpunkt kaum eine Ahnung. Und so versammelt Chefarzt Hoffmann sie einmal in der Woche bei sich zu Hause um den großen Küchentisch. Er stellt die neurologischen Krankheitsbilder vor, mit denen die Schwestern am nächsten Tag konfrontiert werden. Auch in der Klinik gibt es einen regen Austausch zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Therapeuten. „So sind wir da reingewachsen“, sagt Schwester Jeannette, die später noch viele Weiterbildungen absolviert. Sie merkt auch bald, dass die Ausbildung in der Kinderkrankenpflege hilfreich für die Arbeit in der Neurologie ist. In beiden Fächern sei die Krankenbeobachtung das A und O. So wie Kinder könnten nämlich auch viele neurologische Patienten ihre Beschwerden nicht artikulieren. Dafür müsse das Pflegepersonal einen Blick entwickeln.
„Die Arbeit hat mir von Anfang an Spaß gemacht“, sagt Jeannette Holzwarth. Auch wenn sie in der ehemaligen Kinderklinik oft beschwerlich ist. So müssen etwa Patienten, die ein CT oder ein MRT brauchen, in die Klinik nach Dölau gefahren werden. „Die Bedingungen in der Fährstraße waren unzureichend und nicht ausgelegt für die Krankenhausarbeit mit erwachsenen Patienten“, sagt Barbara Ide. Sie habe gedacht, jemand wie Jeannette, die von der Uni kommt, werde sich damit nicht zufriedengeben. „Das Gegenteil war der Fall“, unterstreicht die Oberin. Sie habe stets angepackt, sich vor keiner Arbeit gescheut. Alles getan, damit es den Patienten gut geht.
Schlaganfall-Station ist in dieser Art die einzige Sachsen-Anhalts
Schwester Jeannette erzählt, dass die Patienten oft in den wunderschönen Garten gefahren wurden. Zur Not auch mit dem Bett. Für einen Epilepsie-Patienten, der dazu neigte, sich das Gesicht zu zerkratzen, nähten die Schwestern dicke Handschuhe. „Wir haben anfangs, heute unvorstellbar, auch die Flure gewischt und gebohnert oder Toiletten geputzt“, sagt sie. „Es gehörte einfach dazu.“
Als Barbara Ide 1996 zur Oberschwester der Neurologie berufen wird, tritt Schwester Jeannette ihre Nachfolge als Stationsleiterin an. Den dafür notwendigen Kurs besucht sie neben ihrer Arbeit.
2002 zieht die Klinik für Neurologie dann - so wie alle Martha-Maria-Häuser - nach Halle-Dölau. Hier leitet Jeannette Holzwarth heute eine von zwei modern aufgestellten neurologischen Stationen. Zu ihrem Verantwortungsbereich, in dem 25 Schwestern arbeiten, gehört auch die zertifizierte Comprehensive Stroke Unit - eine überregionale Schlaganfall-Station, die besondere medizinische Anforderungen erfüllt und in dieser Art die einzige Sachsen-Anhalts ist. Das fordert sie. Und erfordert ein gutes Zusammenspiel mit den Ärzten. „Junge Mediziner nehmen schon mal den Rat einer erfahrenen Schwester an“, sagt Jeannette Holzwarth. Es gebe da ein gutes Miteinander.
Schwester Jeannette strahlt „gesunde natürliche Autorität aus“
Barbara Ide ist jedenfalls voll des Lobes. „Was ich an Schwester Jeannette sehr schätze, ist, dass sie eine ganz gesunde natürliche Autorität ausstrahlt“, sagt sie. Die so Gelobte betont: „Wir haben einen Job, der so abwechslungsreich ist, wie ich mir keinen anderen vorstelle. Wir haben jeden Tag andere Patienten, andere Krankheitsbilder, müssen uns auf neue Situationen einstellen.“ Manchmal seien Menschen verwirrt oder desorientiert. Damit müsse man umgehen können. Mitunter helfe da ein bisschen Humor. „Aber“, so unterstreicht sie, „vor allem müssen wir auf die Patienten so eingehen, dass sie sich trotzdem ernstgenommen fühlen.“
Kraft tankt die Schwester in der Zeit, die sie mit ihrem Partner und den Kindern Lilli und Edwin verbringt. Beruf und Familie könne sie gut trennen.
1994 sagte sich Jeannette Holzwarth, die eine Stelle suchte: Ich schaue mir die Neurologie mal fünf Jahre an, dann sehe ich weiter. Nun sind 25 Jahre vergangen. Und sie blickt stolz zurück. „Wir haben viel aufgebaut. Ich muss sagen, ich bin mit dem, was ich bisher erreicht habe, sehr zufrieden“, betont sie. Das heißt nicht, dass sie am Ziel wäre. Gerade strebt die Klinik den Titel „Demenzsensibles Krankenhaus“ an. Da ist sie, schon heute Demenzbeauftragte der Klinik, ganz vorn mit dabei. (mz)
