1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Bergbau: Bergbau: Ilberstedt hat tiefe Risse

Bergbau Bergbau: Ilberstedt hat tiefe Risse

Von LARS GEIPEL 26.08.2009, 17:32

ILBERSTEDT/MZ. - Es gibt eine Heimatstube, und es ist noch nicht einmal drei Jahre her, da wurde die Gemeinde zur Schönsten im damaligen Kreis Bernburg gewählt. Die Idylle ist jedoch trügerisch. Bürgermeister Lothar Jänsch (parteilos) muss sich um die Sorgen seiner Bürger kümmern - und die gibt es reichlich. Vor allem eins macht den Einwohnern Angst: Dass es zu einer Katastrophe wie in Nachterstedt kommen könnte. Dort war am 18. Juli ein Hang mit zwei Millionen Kubikmetern Erde abgerutscht und hatte drei Menschen in den Tod gerissen. Als Ursachen werden Folgen des Braunkohlebergbaus vermutet.

Das Problem in Ilberstedt liegt 500 Meter tief. Seit Jahrzehnten wird in der Region Steinsalz abgebaut. Dreimal pro Tag sprengen Mitarbeiter von Esco, einer Tochter des Branchenprimus' Kali und Salz, direkt unter dem Ort das Salz aus dem Gestein. Anwohner können danach ihre Uhr stellen: 6.30 Uhr, 13.30 Uhr und 21.30 Uhr. Dann klirren fast überall die Gläser in den Schränken. Furcht haben die Bewohner aber vor allem, weil der Ort sinkt. Und das viel schneller als lange angenommen.

Als Folge des Bergbaus füllen sich die 30 Meter hohen und bis zu 300 Meter langen Salzschächte im Laufe der Zeit zum Teil mit darüberliegenden Erdschichten. Doch erst das Leipziger Institut für Gebirgsmechanik stellte in den vergangenen neun Jahren fest, dass rund um Ilberstedt die Senkungsgeschwindigkeit deutlich höher ist als bisher prognostiziert. Allein von Mai 2007 bis Mai 2008 senkte sich der Boden um 16 anstatt der vorausgesagten sieben Zentimeter. Das heißt, dass seit 2005 bis Ende dieses Jahres eine Senkung von gut einem Meter eintreten wird. Das Institut erwartet in dem Gebiet bis 2025 eine "kaum wahrnehmbare sanfte Delle". Bis 2050, so die Experten, vergrößert sich diese auf eine maximale Tiefe von fünf Metern. Und bis zum Ende des Jahrhunderts sollen es sogar sieben Meter werden.

Ein zehn Meter langes Gebäude könnte dann in eine Schieflage geraten, die von einem Ende bis zum anderen sieben Zentimeter ausmacht - mit fatalen Folgen für die Bausubstanz. Dutzende Risse durchziehen bereits heute Fassaden und Decken vieler Gebäude wie auch im Haus von Werner Peller. In der Kindertagesstätte Pusteblume ist schon einmal ein Heizkörper von der Wand gefallen.

Zwar sollen die Bewohner, die einen Bergbau-Schaden gemeldet haben, von Esco entschädigt werden. Doch das ist nur die eine Seite, sagt Bürgermeister Jänsch. "Wer gibt uns denn die Garantie, dass nicht so etwas Ähnliches wie in Nachterstedt passiert und plötzlich ein Loch aufreißt", fasst er die Bedenken vieler Bewohner zusammen. "Ja, wir haben Angst", so Jänsch.

Geologen versichern dagegen, dass beim Salzbergbau solche Katastrophen eigentlich nicht passieren können. "Tagesbrüche wie in der Braunkohle oder zuletzt in Nachterstedt sind oberhalb von Salzbergbaustätten nicht zu erwarten", sagt ein Experte des Institutes für Geotechnik in Halle. Das Vertrauen der Ilberstedter hält sich dennoch in Grenzen. "Wenn das morgen bei uns passiert, will es vorher wieder keiner geahnt haben. Ein Restrisiko bleibt immer bestehen", sagt Bürgermeister Lothar Jänsch.

Etwas pragmatischer sehen das die Mitarbeiter des Bauüberwachungszentrums. Sie koordinieren und kontrollieren den Bau der "Nordharzautobahn". Die B 6n ist auf einer Länge von 77,6 Kilometern von Vienenburg (Niedersachsen) bis Güsten bereits freigegeben, weitere 5,7 Kilometer bis Ilberstedt sollen im Dezember dazukommen. Allerdings liegt eine der größten Herausforderungen noch vor den Experten. Das letzte, 3,5 Kilometer lange Stück zwischen Ilberstedt und der A 14 führt direkt über das Bergbausenkungsgebiet.

"Der gesamte Bereich liegt oberhalb einer knapp 40 Quadratkilometer großen unterirdischen Salzlagerstätte", sagt Michael Schanz vom Landesbetrieb Bau. Doch davon lassen sich die Experten nicht schrecken. Im Gegenteil: "Das ist eine echte Herausforderung", sagt Schanz. Vor allem die Brücke über die Bahnstrecke Aschersleben-Köthen muss eine ingenieurtechnische Meisterleistung werden.

Zu beachten gebe es viel, erklärt Hilmar Klietz vom Landesbetrieb Bau. Zum einen soll sich der Boden in dem Bereich bis 2050 um 3,50 Meter senken. Hinzu kommt, dass sich die Widerlager durch die Senkungen verdrehen werden. "Die Widerlager werden bis zu neun Zentimeter auseinander wandern." Zudem muss ein Abstand von sechs Metern zu den Gleisen gewährleistet bleiben. Daher sollen praktisch zwei, je 90 Meter lange Brücken nebeneinander gebaut werden, deren Widerlager aufgeschüttet werden können. So sollen Verschiebungen ausgeglichen werden. Geht alles glatt, könnten die Arbeiten für das 13 Millionen Euro teure Vorhaben bereits im Frühjahr 2010 beginnen. Ende 2011 sollen dann die komplette "Nordharzautobahn" befahrbar sein.

Für Bürgermeister Jänsch ist das nur ein kleiner Trost. Zwar sehnt er den Augenblick herbei, da sich derzeit noch täglich tausende Fahrzeuge auf ihrem Weg zur A 14 durch den Ort quälen müssen. "Wenn die B 6n fertig ist, sind wenigstens die Autos weg." Bleiben wird aber die Unsicherheit nach der Katastrophe von Nachterstedt.