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Autobahnkirchen Autobahnkirchen: Pause an Raststätten der Seele

Von Christian Schafmeister 27.07.2006, 18:29

Brumby/MZ. - Verwundert hätten ihn die beiden Italiener mit ihren getönten Sonnenbrillen und ihren langen schwarzen Haaren schon, räumt Pfarrer Gottfried Eggebrecht heute ein. Doch die beiden Männer hatten vor wenigen Tagen die Dorfkirche Brumby (Kreis Schönebeck) gezielt aufgesucht. Sie suchten nach der Abfahrt von der Autobahn für einen Moment Stille und Einkehr. "Beides haben wir hier gefunden", schrieben die Komponisten, die in den alten Mauern nach Angaben des Pfarrers sogar Anregungen für ein Opernwerk fanden, noch in das Gästebuch. "Und wir kommen vielleicht einmal zurück an diesen einmalig schönen Ort."

Woher die Italiener kamen und wohin sie wollten - beides wird der Pfarrer der Dorfkirche, die seit wenigen Monaten auch Sachsen-Anhalts vierte Autobahnkirche ist, wohl nie erfahren (siehe "Tausende Besucher"). Zufall sei es jedoch nicht, dass viele für einen Moment die Hektik der Autobahn hinter sich lassen. "Diese Menschen wollen sich besinnen und zur Ruhe kommen", sagt der Pfarrer. "Was die Menschen sicher nicht wünschen, ist eine Kirchenführung."

Gespräche mit Besuchern in seiner Autobahnkirche seien jedoch eher die Ausnahme, erzählt der Pfarrer. Spuren in Form von Einträgen hinterlassen die Gäste indes schon. "Natürlich bitten viele Besucher Gott um Behütung während einer Reise oder danken nach einem besonders schönen Urlaub", sagt der Pfarrer. So machte kürzlich in Brumby eine Familie aus Dresden Halt, die zuvor 10 000 Kilometer durch Skandinavien gereist war. Einträge finden sich selbst aus fernen Ländern wie Venezuela. Und auch zahlreiche Menschen aus der näheren Umgebung kommen mittlerweile nach Brumby. "Einige bemerken jetzt, was wir für ein Kulturgut zu bieten haben", sagt Eggebrecht unter Hinweis auf die Bilderdecke aus dem 17. Jahrhundert, die mit 92 Motiven die gesamte Heilsgeschichte erzählt.

Dass es in einer Autobahnkirche aber oft auch um Schicksal und Leid geht, weiß Peter Herrfurth, Pfarrer in der Autobahnkirche in Hohenwarsleben im Ohrekreis. Touristen seien zwar unter den Gästen "die Klassiker", doch kommen auch andere Menschen. "Ein Unternehmer hat hier die Leidensgeschichte einer kranken Mitarbeiterin verarbeitet - bis zu deren Tod", erinnert sich Herrfurth. Auch eine Mutter, die beide Söhne bei einem schweren Unfall verloren hatte, sei regelmäßig gekommen. "Solche Geschichten berühren einen ganz persönlich."

Wie auch in Brumby fließen Einträge und Erlebnisse von Besuchern in Gottesdienste oder Fürbitten ein. "Bei besonders schweren Schicksalen hilft einem dies auch selbst", berichtet Peter Herrfurth, "auch wenn man als Pfarrer damit natürlich sehr professionell umgehen muss". Die Betroffenen suchten unterdessen oft "einen besonders anonymen Raum, einen unbeobachteten Rückzugsraum, um solche Fälle zu verarbeiten", berichtet der Pfarrer.

Doch natürlich stoppen Reisende nicht bloß nach Schicksalsschlägen in Hohenwarsleben. Mehr als 70 Prozent seien Zufallsbesucher, sagt Herrfurth mit Hinweis auf erste Untersuchungen. Dazu zähle "der Dienstreisende, der an der Kirche sein Frühstückspaket auspackt". Hinzu kommen Reisegruppen, die sich für eine Andacht oder eine Besichtigung anmelden.

Diese Mischung mache die Autobahnkirche aus, betont Peter Herrfurth. "Und ich freue mich darüber, dass wir den Menschen für ihre unterschiedlichsten Anliegen einen Ort anbieten können." Und vielleicht, so seine Hoffnung für den ersten Tag der Autobahnkirchen, "halten am Sonntag ja zwei oder drei Wagen mehr an".