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Astrid-Lindgren-Schule Halle Astrid-Lindgren-Schule Halle: Behinderte üben für den «Ernstfall Alltag»

Von Toralf Grau 15.12.2003, 18:57

Halle/MZ. - Schule ist nicht gleich Schule. Nach dem schlechten Abschneiden Sachsen-Anhalts bei der Pisa-Studie stellt die MZ Schulen vor, die mit besonderen Angeboten Lernfreude fördern. Heute: Die Astrid-Lindgren-Schule für Geistigbehinderte in Halle.

Noch vor einigen Jahren galten Schüler wie Marcus als "nicht bildungsfähig". Jetzt sitzt der Junge vor dem Computer und zeigt stolz eine Homepage - seine eigene. Darauf ist zu lesen, was er alles mag: Rot, seinen Hund Foxi und Nudeln mit Tomatensoße. Damit sich der 13-Jährige im Internet gut zurecht findet, ist seine Seite im Netz "barrierefrei" gestaltet. Groß sind die Buchstaben, stark die Farbkontraste, Inhalte und Navigation sind einfach gehalten. Seine Lehrerin hat Marcus geholfen, die Seite zu erstellen - an der Astrid-Lindgren-Schule für Geistigbehinderte in Halle-Silberhöhe.

Seit 1991 werden dort Kinder unterrichtet, die zuvor oft in Heimen lebten: Mehrfachbehinderte mit Wahrnehmungs- und Sinnesstörungen, Sprachdefiziten und körperlichen Beeinträchtigungen. Das Ziel der Ausbildung an der Astrid-Lindgren-Schule? "Wir wollen die Kinder lebenstüchtig machen", sagt Schulleiterin Jutta Narr.

Da gilt es, für den "Ernstfall Alltag" zu trainieren, allerdings mit etwas anderen Methoden als an anderen Schulen. "Interaktion, Spiele und das Lernen am Objekt sind bei uns ganz wichtig", so die Direktorin. "Wir zeigen den Kindern zum Beispiel echte Tiere. Sie lernen daran die typischen Merkmale einer ganzen Tierart kennen." Es werde immer fächerübergreifend gearbeitet, "der Lernstoff spielt gleichzeitig in Deutsch, Mathe, Musik oder Kunst eine Rolle". Eine Unterrichtseinheit ist an der Astrid-Lindgren-Schule immer anderthalb Stunden lang. "Darin liegen Anspannungs- und Entspannungsphasen."

Seit diesem Schuljahr probieren die Lehrer mit ihren Schützlingen gänzlich neue Wege durch den Lehrstoff. An zwei Tagen pro Woche werden die Kinder der Oberstufe nicht im Klassenverband, sondern in Kursen unterrichtet - eine gewaltige Umstellung, auch für die Lehrer. Zuvor waren die Schüler befragt worden, welchen Unterricht sie besonders wünschen. Nun wechseln die 12- bis 18-Jährigen donnerstags und freitags zwischen Handarbeits-, und Computerstunden, Sport, Mathe, Deutsch, Kunst oder Werken.

"Mit den wechselnden Gruppen kommen die Kinder viel besser zurecht, als wir dachten", hat Jutta Narr beobachtet. Und tatsächlich finden trotz großen Gewusels in den Pausen alle rechtzeitig zu den Klassenräumen und sind im Unterricht mit Feuereifer dabei.

Besonders großen Spaß machen den Schülern die Stunden im Computerkabinett. Unter Anleitung von Lehrerin Roswitha Sommerfeld wird hier mit einer Lernsoftware geübt, die Lehrer der Astrid-Lindgren-Schule zusammen mit der halleschen Hochschule für Kunst und Design entwickelt haben. Das Produkt wird jetzt von einem Lehrmittel-Verlag bundesweit vertrieben. Und auch sonst ist die Astrid-Lindgren-Schule in puncto Computer und Internet ein Vorreiter unter den Schulen für Geistigbehinderte. Für die schuleigene Homepage winkt sogar ein Bundespreis für barrierefreies Internet. Kein Grund, sich auszuruhen: "Wir wollen die Seite noch erweitern", meint Roswitha Sommerfeld.

Die Schüler der Kunstkurse konnten schon vor wenigen Tagen einen großen Erfolg feiern: Für die Ausstellung ihrer Malereien und Grafiken bekamen sie den Jugend-Kultur-Preis 2003 des Landes Sachsen-Anhalt verliehen. Der Titel ihrer Schau: "Unterschätzt".

Diesen vielen Pluspunkten der Astrid-Lindgren-Schule steht derzeit aber noch ein Manko entgegen: die engen Räumlichkeiten. In dem Plattenbau-Schulgebäude sind die Klassenzimmer Durchgangsräume. Für sanitäre Zwecke gibt es zu wenig Platz. "Wir suchen nach etwas Neuem", so die Schulleiterin. Die vielen Ideen von Lehrern und Schülern brauchen Freiraum.