App in die Bronzezeit App in die Bronzezeit: Neue interaktive Wanderung macht Himmelsscheibe von Nebra erlebbar

Halle (Saale) - Die Himmelsscheibe von Nebra ist einer der wichtigsten Kulturschätze des Landes. Mit dem Handy wird die Zeit ihrer Entstehung nun durch eine interaktive Wanderung erlebbar. Die MZ hat die Schuhe geschnürt und den Weg ausprobiert. Ein Tag mit vielen spannenden Erkenntnissen und einer kleinen Enttäuschung.
Das Handy wird mir aus der Hand gerissen. Und schon ist Janosch auf und davon. Das Mobiltelefon fest im Griff läuft der Fünfjährige schnurstracks auf den Weg zu, der Richtung Wald führt - so zielgerichtet als würde es dort kugelweise Eis umsonst geben. Mich lässt er an der Arche Nebra im Burgenlandkreis sitzen, jenem Museum, das sich der berühmten Himmelsscheibe widmet.
Um die Bronzeplatte ging es auch in dem kurzen Zeichentrickfilm, den Janosch und ich wenige Augenblicke zuvor auf meinem Telefon angeschaut hatten. Darin begegneten uns Leva und Mimo - zwei Kinder aus der Bronzezeit. Im Video erzählen die Geschwister, dass sie mit uns auf den Mittelberg steigen wollen. Dorthin also, wo die Himmelsscheibe einst vergraben wurde. „Sie war das wertvollste, was unser Dorf besaß“, erklärt Mimo. Er und seine Schwester seien dabei gewesen, als man sie in die Erde legte. Und wie es dazu kam, das wollen die beiden uns nun zeigen.
„Hey, komm doch einfach mit, zurück in die Bronzezeit“, sagt Mimo am Ende des Videos. Es ist der Moment, in dem sich Janosch das Telefon schnappt und Richtung Wald spurtet. Als er fast schon hinter den Baumreihen verschwindet, dreht er sich noch einmal um: „Na los, komm“, ruft er mir zu. Einladung angenommen, würde ich sagen.
Interaktive Zeitreise: 3600 Jahre zurück in die Bronzezeit
Damit beginnt für uns eine Zeitreise. 3600 Jahre zurück in die Vergangenheit. Möglich macht das die App „Der bronzene Himmel“. Mit ihr sollen Kinder und deren Familien in die Zeit von Mimo und Leva eintauchen können. Wie gut das funktioniert, testen wir an diesem Donnerstagvormittag im Mai.
Entwickelt wurde die App vom Animationsfilmstudio Motionworks aus Halle. „Eigentlich arbeitet wir ja für Fernsehen und Kino“, sagt Geschäftsführer Toni Loeser. Doch Apps seien für ihn schon länger interessant gewesen. „Als Großvater sehe ich ja, wie selbstverständlich meine Enkel mit Smartphones umgehen.“
Auf der Suche nach einem geeigneten Inhalt für die App begaben sich die Kreativen von Motionworks in den Museumsbereich. „Und dort fanden wir dann mit der Arche Nebra einen guten Partner“, erzählt Loeser. Denn zum einen habe die Himmelsscheibe eine spannenden Geschichte. „Und außerdem gab es bei der Arche ein Problem zu lösen.“ Denn dort gehen zwar viele Besucher ins Museum, nur wenige nehmen jedoch auch noch den Weg zum Fundort auf sich. „Der bronzene Himmel“ soll das nun ändern.
„Der bronzene Himmel“ - App treibt neugierige Nutzer vorwärts
Dazu ist die Geschichte der weltberühmten Platte in zwölf Episoden aufgeteilt. „Die begleiten die Kinder auf dem Weg zum Mittelberg - und lassen so die Zeit etwas schneller vergehen“, erklärt Toni Loeser. Die App ermöglicht also eine interaktive Wanderung zum Fundort der Scheibe, der immerhin dreieinhalb Kilometer von der Arche entfernt liegt. Einen Fünfjährigen für solch einen Fußmarsch zu begeistern, ist, wie ihn von der Notwendigkeit des Zimmer-Aufräumens zu überzeugen - schwer bis unmöglich.
Die interaktive App „Der bronzene Himmel“ gibt es sowohl für Android- wie iOS-Mobiltelefone. Sie kann im Google Play Store beziehungsweise dem App Store heruntergeladen werden und kostet 2,99 Euro. Das ist trotz schlechter Funkverbindung auch vor Ort in Nebra möglich.
Dort wurde eigens dafür ein Wlan eingerichtet. Zudem gibt es auch noch eine Zeitschrift, die 7,99 Euro kostet und die neben Bastelbogen, Comic und Schlüsselanhänger auch einen Download-Code enthält (nur Android).
Das Heft kann in der Arche sowie im Landesmuseum für Vorgeschichte erworben werden. Darüber hinaus bietet die Arche Nebra auch Audio Guides an, die auf dem Weg zum Fundort auf dem Mittelberg an verschiedenen Stationen Wissenswertes zur Himmelsscheibe vermitteln.
„Der bronzene Himmel“ wurde vom Animationsfilmstudio Motionworks in Zusammenarbeit mit den in Halle ansässigen Firmen Codemacher, Rat King Entertainment sowie den Sisters of Design entwickelt.
Unterstützt wurde das Projekt vom Landesmuseum für Vorgeschichte, das ebenso wie die Arche Nebra beratend zur Seite stand. Die Herstellung der App wurde vom Land Sachsen-Anhalt mit 130.000 Euro gefördert. Unterstützung kam zudem von der Mitteldeutschen Medienförderung.
Doch das Konzept, die Wanderung mit einer Geschichte zu verbinden, funktioniert prächtig. Den Rückstand auf Janosch habe ich mit einem kurzen Sprint wieder aufgeholt. Gespannt schaut der Junge während des Laufens auf den Telefonbildschirm - obwohl dort gerade gar nichts passiert. Der Grund: Die Entwickler des bronzenen Himmels haben einen technischen Kniff in ihre App eingebaut. Die einzelnen Videos sind an Koordinaten gebunden. Sie starten automatisch, wenn man einen bestimmten Punkt des Weges zum Fundort erreicht hat.
Viel Wissenswertes über die Himmelscheibe per Video
So treibt die Erwartung eines neuen Clips Janosch voran - allerdings mit einer fatalen Nebenwirkung. Denn wer die Augen nur auf dem Bildschirm hat, verliert den Weg aus dem Blick. Mit einem beherzten Schubs zur Seite muss ich den fünfjährigen Video-Junkie deswegen vor den braunen Kügelchen, die eine Schafherde auf dem Waldweg hinterlassen hat, retten. Oder waren es Ziegen? Soweit gehen meine Kenntnisse im Spurenlesen nicht.
Eine Ziege jedoch spielt auch in der App eine Rolle. Sie begleitet Leva und Mimo auf ihrer liebevoll gezeichneten Mission. Die Geschwister wollen verhindern, dass die Himmelsscheibe vergraben wird. In den Videosequenzen wird dabei viel Wissenswertes über die Himmelscheibe und die Bronzezeit erzählt: Von Schmiedekunst bis Opfergabe.
Nächstes Ziel schon gefunden: Weg vergeht wie im Flug
Janosch ist fasziniert von der Geschichte und geplagt von den Wartezeiten zwischen den Episoden. „Wann geht es endlich weiter“, wird zur meistgefragten Frage im Wald. Und noch etwas beschäftigt ihn: „Dürfen wir die Himmelsscheibe dann auch ausbuddeln?“ Ich erzähle ihm von den Raubgräbern, die die Platte einst entdeckten und verkaufen wollten. Und ich erzähle auch, wie das kostbare Relikt gerettet wurde. Die Enttäuschung darüber, nicht den Boden des Mittelberges umpflügen zu dürfen, weicht bei Janosch schnell. Denn nun sind ja Räuber im Spiel - spannend. „Wo sind die Räuber jetzt“, fragt er. Und ich bin überfragt. „Keine Ahnung“, will ich gerade sagen. Da startet das nächste Video. Glück gehabt!
So vergeht der Weg zum Mittelberg fast wie im Flug. Motivation ist alles, denk ich mir - und schon taucht der 30 Meter hohe Aussichtsturm auf, der neben dem Fundort der Himmelsscheibe errichtet wurde. Nach einem Abstecher in luftige Höhen steht dann auch schon der Rückweg an. Doch die Videos sind aufgebraucht. Mimo und Leva haben ihre Mission beendet. Wie sie ausgegangen ist, wird natürlich nicht verraten. Das muss jeder selbst rausfinden.
Auch Janosch wird nun klar, dass der Ausflug in die Bronzezeit vorbei ist. „Was? Geht es jetzt ohne Geschichte zurück“, fragt er mit einem Gesichtsausdruck, den Kinder sonst nur zeigen, wenn beim Arztbesuch das Wort „impfen“ fällt. Die Enttäuschung ist jedoch nur von kurzer Dauer. Denn es gibt ein Trostpflaster: „Im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle kann man die echte Himmelsscheibe sehen“, sage ich. „Da will ich mal hin“, antwortet Janosch. Das nächste Ausflugsziel ist damit bereits gefunden. (mz)

