1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Ambulanz für Kinderschutz Jena: Ambulanz für Kinderschutz Jena: Alle zwei Tage klingelt das Telefon

Ambulanz für Kinderschutz Jena Ambulanz für Kinderschutz Jena: Alle zwei Tage klingelt das Telefon

Von Grit König 15.02.2007, 12:29

Jena/dpa. - Dazu kämenjährlich 2000 Fälle misshandelter Kinder, die der Polizei bekanntsind. Doede ist sich sicher, dass die Dunkelziffer viel höher liegt.Vor einem Dreiviertel Jahr hat er deshalb am UniversitätsklinikumJena eine Thüringer Ambulanz für Kinderschutz (TAKS) gegründet. Sieist nach Wissen der Jenaer Experten in Deutschland bisher einmalig.Nirgendwo sonst arbeiteten Mediziner aller Fachgebiete so engzusammen, um gequälten Kindern zu helfen.

«Im Notfall können Ärzte aller sechs Jenaer Kliniken innerhalb von30 Minuten zusammen gerufen werden: Kinderärzte, Kinderchirurgen,Kinder- und Jugendpsychiater, Rechtsmediziner, Kinderradiologen undGynäkologen», erläutert Doede das Projekt. Die Ambulanz istrund um die Uhr unter der Rufnummer 03641/9322715 zu erreichen.Sieben Kinderchirurgen stehen tagtäglich für die ersten Kontakte mitJugendämtern, Hausärzten, Kliniken und der Polizei bereit. Siefungieren als Dispatcher, um das junge Opfer je nach Verletzung zumChirurgen oder zum Gynäkologen zu überweisen. Der Rechtsmediziner istfür die Spurensicherung zuständig. Er kann genau zwischenVerletzungen durch Gewalt oder durch Unfall unterscheiden.

«Im Schnitt alle zwei Tage wird die Ambulanz konsultiert», sagtDoede. «Das zeigt den großen Bedarf, aber auch die Verunsicherungen,wann Handlungsbedarf gegeben ist.» Diese Unsicherheiten abbauen, istauch Anliegen einer interdisziplinären Konferenz am kommendenMittwoch (21. Februar) mit mehr als 1200 Teilnehmern. Die JenaerAmbulanz und das Thüringer Sozialministerium haben dazu Vertreter ausmedizinischen und sozialen Einrichtungen, aus Schulen, Justiz und derPolitik eingeladen. «Die große Resonanz ist ein Zeichen dafür, wieaktuell und wichtig das von uns aufgegriffene Thema ist», sagte KlausHöffken, Medizinischer Vorstand am Universitätsklinikum.

Laut Doede wird die Hälfte der misshandelten Kinder nach Jenagebracht. Bei den anderen Anrufen geht es um fachlichen Rat fürmisstrauisch gewordene Ärzte oder Behördenmitarbeiter. Neben derBehandlung der Kinder sind die Ambulanz-Ärzte auch als Gutachtertätig. Dabei können sie aber auch verdächtige Eltern entlasten. Erstvor kurzem sei ein Säugling mit Brandwunden an Armen und Beineneingeliefert worden, sagte der Kinderchirurg. Die Experten fandenheraus, dass sich das Kind die Wunden am Heizkörper neben seinem Bettselbst zugezogen hatte. Bei einem Drittel der in der Ambulanzbegutachteten und behandelten Fälle konnte laut Doede eine Straftatausgeschlossen werden.

Hauptursache für Misshandlung ist seiner Meinung nach dieÜberforderung der Eltern. «Bei Säuglingen zwischen dem sechsten undzwölften Lebensmonat ist Misshandlung die häufigste Todesursache»,sagt Doede. So sei zu erklären, warum Frühgeborene, die mehr Pflegebrauchten, oder Zwillingspärchen häufiger misshandelt würden alsandere Altersgenossen.

Vorsorgeuntersuchungen als Pflicht hält der Mediziner deshalb fürsinnvoll. «Allerdings muss die Kontrolle stimmen», sagt er. EineStreichung des Kindergeldes, wenn die Vorsorgetermine nichteingehalten werden, hält er für falsch. «Es trifft nur die Armen.»

Bei den zwölf Thüringer Kinderschutzdiensten suchen jedes Jahretwa 1000 Kinder Hilfe. «Die Zahl hält sich seit Jahren konstant»,sagt Heiko Höttermann von der Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- undJugendschutz. Hinzu komme eine große Dunkelziffer. Die Dienste sinddeshalb an einer Zusammenarbeit mit der Ambulanz für Kinderschutzinteressiert.

Die Jenaer Ärzte wiederum dokumentieren jeden Fall vonMisshandlung oder Vernachlässigung, um das Problem wissenschaftlichaufzuarbeiten. Doede kritisiert, dass es derzeit keine Meldepflichtfür Kindesmisshandlungen gibt. Es bleibe dem Jugendamt überlassen, obes die Polizei heranzieht oder nicht. Ziel der Tagung ist deshalbauch ein breit angelegtes Frühwarnsystem gegen Kindesmissbrauch zuinstallieren.