1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Alt-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: Alt-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: Der schnörkellose Wolfgang Böhmer wird 80

Alt-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Alt-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: Der schnörkellose Wolfgang Böhmer wird 80

Von hendrik kranert-rydzy 27.01.2016, 07:47
Der „Lausitzer Granitschädel“ wird 80: Wolfgang Böhmer bleibt sich treu.
Der „Lausitzer Granitschädel“ wird 80: Wolfgang Böhmer bleibt sich treu. Thomas Klitzsch Lizenz

wittenberg - Der Mann ist ein Pragmatiker - bis zum Ende. In Dürrhennersdorf in der Oberlausitz steht ein Grabstein, der seit 16 Jahren den Namen Wolfgang Böhmer trägt. Man mag es kaum glauben. Und so beginnt dieses Gespräch anlässlich des 80. Geburtstages des einstigen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt ausgerechnet mit dem Thema Sterben - und einem kleinen familienpolitischen Eklat. Stimmt das wirklich, was da gleich im ersten Kapitel eines neuen Buch über Böhmer behauptet wird?

„Ja, als meine erste Frau im Jahr 2000 starb, habe ich auf den Grabstein gleich meinen Namen und mein Geburtsdatum mit einmeißeln lassen.“ Böhmer sitzt in seinem Arbeitszimmer in Wittenberg in einem Sessel der milchkaffeebraunen Couchgarnitur, die zu DDR-Zeiten bestimmt nicht billig war. Er hat sich zurückgelehnt, die Beine ausgestreckt übereinandergelegt und die Hände vor dem Bauch verschränkt.

So hat er auch immer in seiner aktiven Zeit bei Interviews gesessen - auf die nächste Frage lauernd; aber allzu Despektierliches immer an sich vorbeigleiten lassend. Ob das Pragmatismus ist, die Sache mit dem Grabstein? „Natürlich. Ich will in meiner Heimat beerdigt werden. Und so ein Grabstein ist verdammt schwer, um ihn in die Werkstatt zu schaffen.“ Böhmer kommt aus Dürrhennersdorf im sächsischen Grenzland zu Polen und Tschechien, er hat dort ein Familiengrab. Und einen Grabstein mit seinem Namen, es fehlt nur noch das finale Datum.

Brigitte Klein, Böhmers zweite Frau und knapp 20 Jahre jünger als er, serviert Earl Grey und schüttelt energisch den Kopf: „Ich finde das schlimm, das ist so festgelegt, so weit vorausschauend, so egoistisch.“ Man wolle doch auch einen Ort zum Trauern in der Nähe haben... Böhmer wiegt seinen Kopf unwillig hin und her, die buschigen Augenbrauen heben sich: „Trauern kannst Du auch im Garten“, bescheidet er knapp und lacht ihre Kritik weg. „Ich halte das für rational vernünftig“, sagt Böhmer, der in seinem Leben vor der Politik viel mit dem Tod zu tun hatte - als Arzt in einem Krankenhaus.

Nein, der Mann ist nicht altersmilde geworden. Böhmer, der von seinem Parteifreund und sächsischem Amtsbruder Georg Milbradt voller Respekt als „Lausitzer Granitschädel“ tituliert worden ist, ist sich treugeblieben: Man kann mit Böhmer ausgiebig diskutieren. Ihn umstimmen kann man aber kaum. Wenn Böhmer seine Meinung ändert, dann ganz allein aus tiefstem Inneren heraus.

Weitere Informationen zu Wolfgang Böhmer lesen Sie auf Seite 2.

In seiner aktiven Zeit als Politiker hat er das zur Meisterschaft entwickelt. Obwohl Böhmer immer der Gegenentwurf zum politischen Mainstream war, hatte er sehr wohl ein feines Gespür dafür, wann man eine Sache nicht überziehen durfte. Wer ihm das dann vorgehalten hat, bekam mitgeteilt, da sei der Ministerpräsident wohl missverstanden worden.

Böhmer spielt das bis heute sehr geschickt. Brigitte Klein wirft ein, sie hätte gern die Urne ihres Mannes „an einem schönen Platz im eigenen Garten“ aufgestellt. Doch das habe der Gartenfreund Böhmer im politischen Magdeburg verhindert. „Entschuldige mal, das habe ich nicht verhindert. Wir hatten keine Zeit und keine Mehrheit“, hält Böhmer dagegen. Er habe kein Problem mit der Urne im Garten, aber die Kirchen und die eigene Fraktion seien „aus guten Gründen, wie etwa der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung“ anderer Meinung gewesen. „Und wenn man dann damit im Landtag auf die Nase fliegt - da lacht sich die ganze Journaille halbtot.“

Ein Halbsatz voller Ehrlichkeit. Böhmer hat immer behauptet, wenig Wert auf die öffentliche Meinung über ihn zu legen. Natürlich stimmte das nicht. Sein Unmut über bestimmte Kommentare hat er dem Autor auch gern in größerer Rund kundgetan. Aber er war nicht nachtragend. Und natürlich hat Böhmer es genossen, dass seiner Abschiedstour im Winter 2011 beinahe mehr mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde, als dem Wahlkampf seines Nachfolgers.

Zu Reiner Haseloff, wie er Wittenberger, pflegt Böhmer ein Nichtverhältnis. Ein Kuriosum, denn Haseloff hatte ihn einst bewogen, in die CDU einzutreten. Später war es dann Böhmer, der Haseloff vom Chefsessel im Wittenberger Arbeitsamt holte und zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium machte. Böhmer entschied - auch gegen Widerstand in seiner Partei - wer ihn beerben sollte: Haseloff eben. Dieser trat nicht nur das politische Erbe Böhmers an, er brachte auch die Ernte ein, deren Saat Böhmer in zwei Legislaturperioden gelegt hatte: Die Wirtschaft erholte sich, die Arbeitslosigkeit sank und die ersten Sparanstrengungen zeigten Wirkung. Böhmers politische Expertise aber nahm Haseloff nicht mehr in Anspruch, auch persönlich rührte sich nichts. Böhmer sagt es nicht direkt, aber es schmerzt ihn immer noch, so ignoriert zu werden. „Ich höre“, sagt er - und wenn er das sagt, meint er, „ich weiß“ - „dass das in Sachsen anders ist.“ Doch er habe inzwischen „einen völligen Abstand zu diesen Dingen gefunden“.

Das Telefon klingelt. Zum wiederholten Male an diesem Nachmittag. Diesmal ist es der Deutschlandfunk, der um ein Interview nachfragt. Er sagt zu, natürlich. Nein, Böhmer kann nicht über Langeweile klagen. Auch wenn er den Ruhestand genießt und - als einst bekennender Frühaufsteher - „auch mal ein bisschen länger schläft“: Er ist viel unterwegs gewesen in den vergangenen fünf Jahren. Er leitet noch bis zum Frühjahr die Kommission zur Zukunft der Stasiunterlagenbehörde. Er hat Vorträge gehalten und hat an Diskussionsrunden teilgenommen und erst da gemerkt, wie interessiert die Leute allen Unkenrufen zum Trotz doch an Politik seien. Böhmers Honorar: Eine Flasche Wein und das Versprechen, ihn abzuholen und wieder nach Hause zu bringen. Auto fährt er nur noch in Wittenberg.

Weitere Informationen zu Wolfgang Böhmer lesen Sie auf Seite 3.

Und so sorgte Böhmer jüngst wieder für Furore, als er Stargast der Festveranstaltung anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Fraktion der Linken im Landtag war. In der CDU fand man das nicht lustig, doch Böhmer ist das egal. „Ich bin ja nicht entmündigt und mit den Linken haben wir eine gemeinsame politische Vergangenheit.“ Die politischen Gegner von einst zollen sich heute gegenseitig Respekt, Böhmer ist - wie es einst Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff sagte - nach wie vor „Kult“.

Dabei ist er immer bescheiden geblieben. Auf die Frage seiner einstigen Regierungssprecherin Monika Zimmermann, was er denn persönlich als seine größte Leistung für Sachsen-Anhalt empfinde, sagt Böhmer nur zwei Worte: „Weiß nicht.“ Bei der dritten Tasse Tee zu Hause in Wittenberg schiebt er nach: „Diese Beurteilung in einem öffentlichen Amt sollte man jenen überlassen, für die man versucht hat, sich nützlich zu machen.“ Daher hat er es sich auch verbeten, dass seine Partei ihm zum 80. Geburtstag eine Party ausrichtet. Mit der Partei hatte Böhmer immer ein ambivalentes Verhältnis. Gerade mit seiner Fraktion hatte er es nicht immer einfach - umgekehrt galt das auch. Das ist Geschichte. Böhmer freut sich, dass seine Popularitätswerte in den eigenen Reihen nach seinem Ruhestand eher noch gestiegen sind. „Manche behaupten, wohl erst jetzt bemerkt zu haben, was sie an mir hatten.“ Dann lacht er.

Statt der geplanten Party gibt es nun in Wittenberg einen Neujahrsempfang der Landes-CDU. Auf Böhmers Jubiläum weißt nur ein Einleger hin: „Ich habe gesagt, sie können einen Zettel reinlegen, dass der Alte an dem Tag Geburtstag hat und man gratulieren kann.“ Dem Mann ist der Pragmatismus auch mit 80 nicht auszutreiben. (mz)