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Abwanderung in Sachsen-Anhalt Abwanderung in Sachsen-Anhalt: Die Friedhöfe sterben

Von Katrin Löwe 25.11.2013, 12:36
Ein einsames Grab auf dem Dessauer Friedhof I.
Ein einsames Grab auf dem Dessauer Friedhof I. Andreas Stedtler Lizenz

Dessau-Rosslau/MZ - Sabine Moritz ist der alte Mann in Erinnerung geblieben. „Und Sie wollen, dass ich nicht neben meiner Frau beerdigt werde?“, hat er traurig gefragt. Die Emotionen, sagt die Chefin des Eigenbetriebs Stadtpflege, schlugen hoch, als 2006 im Dessauer Ortsteil Großkühnau der Friedhof geschlossen werden sollte. Heute kümmert sich ein Förderkreis aus Großkühnauern um einen Großteil der Friedhofspflege. Schließungspläne wurden fallen gelassen.

Nichts desto trotz: Auch Dessau hat ein Problem, mit dem viele Kommunen in Sachsen-Anhalt zu kämpfen haben. Ihre Friedhöfe sind zu groß. Der vorhandene Platz liegt zum Teil weit über dem heutigen Bedarf , die Kosten für die Pflege der Anlagen sind enorm. Dessau-Roßlau inklusive seiner Ortsteile hat heute 14 kommunale Friedhöfe mit rund 70 Hektar Fläche, dazu neun kirchliche und einen jüdischen Friedhof.

Abwanderung der jungen Generation wird zum Problem

Zwar liegt die Zahl der Sterbefälle trotz Bevölkerungsrückgang insgesamt etwa auf gleichem Niveau wie vor zehn, zwölf Jahren - noch. Nicht zuletzt wegen der demografischen Entwicklung, der Abwanderung der jungen Generation, sind aber zunehmend Begräbnisstätten gefragt, die wenig oder keine Pflege brauchen. In Dessau-Roßlau ist der Anteil der Erdbestattungen von 25 Prozent im Jahr 1974 auf heute nur noch sechs Prozent gesunken. Fast die Hälfte der Urnenbestattungen erfolgt bereits anonym in Gemeinschaftsgräbern, die noch weniger Platz brauchen als das normale Urnengrab. Dazu, sagen Moritz und ihre für Friedhöfe zuständige Kollegin Heidrun Willfeld, kommen alternative Bestattungsformen wie der Friedwald. Seit Ende 2008 können Menschen in einem Wald zwischen Dessau-Roßlau und Oranienbaum unter Bäumen begraben werden - 718 Beisetzungen hat es nach Angaben der Friedwald GmbH bisher gegeben - Tendenz steigend.

Umwandlung von Friedhöfen langwierig

Die Kommunen sind im Handlungszwang. Um dem Wunsch nach naturnahen, pflegearmen Grabstellen nachzukommen, hat Dessau die Bestattung in einem Eichengrabfeld auf dem großen Zentralfriedhof eingeführt. „Das ist ähnlich wie Friedwald“, sagt Moritz. Auch Friedhofsschließungen hat es aber gegeben: in Kleinkühnau, nahe zweier weiterer Friedhöfe, und Naundorf. Einen Friedhof zu schließen, heißt jedoch zunächst lediglich, dass darauf keine weiteren Bestattungen mehr möglich sind. Er bleibt Friedhof, muss als solcher gepflegt werden, bis die Nutzungszeiten der schon bestehenden Gräber abgelaufen sind - in Kleinkühnau ist das 2029 der Fall. Erst dann kann das Gelände entwidmet und in diesem Fall zum Park umgewandelt werden.

Die Schließung von Friedhöfen ist aber nicht nur ein langwieriger Prozess. Ein Friedhof ist eben auch ein Thema, das so sensibel ist wie kaum ein anderes. Etwas, was sich nicht auf Zahlen und Finanzen reduzieren lässt. Das habe mit Heimatgefühl zu tun, argumentierten viele Halle-Neustädter, als die langfristige Schließung ihres Stadtteil-Friedhofes debattiert wurde. Es wurde ein riesiger Proteststurm, der über die Verwaltung fegte. Sie habe ihren Mann dort beerdigt und wolle selbst auch dort liegen, sagte eine 85-Jährige - seit Jahrzehnten Halle-Neustädterin.

Kommunen suchen nach Lösungen

Viele Kommunen suchen deshalb nach Kompromissen, schließen nur Teilflächen. Merseburg will seine Friedhofsflächen so fast halbieren. Aschersleben hat 2010 aus überdimensionierten 16 Hektar Friedhof sechs gemacht. Die letzten Nutzungsrechte auf den übrigen zehn Hektar laufen 2040 aus, sagt Bauhof-Chef André Könnecke. Erst in ein paar Jahren werden die dort frei werdenden Flächen so sein, dass der Pflegeaufwand sinkt.

In Köthen (Anhalt-Bitterfeld) sind allein bis 2008 rund 80.000 von insgesamt 23.5000 Quadratmetern Friedhofsfläche für neue Bestattungen geschlossen worden, weitere kommen seitdem dazu. Stirbt ein Angehöriger, der eigentlich in das bereits bezahlte Familiengrab auf diesen Arealen kommen sollte, werden Ersatzgrabstellen angeboten - und die Stadt zahlt auf Antrag die Umbettung der bereits an alter Stelle beigesetzten Toten. Auf komplette Friedhofschließungen wie 1992 im Ortsteil Geuz wurde im neuen Konzept jedoch verzichtet.

Neue Pflegekonzepte für Friedhöfe

Sie sind auch im Raum Weißenfels (Burgenlandkreis) derzeit kein Thema - obwohl es nach der Eingemeindung Stadtteile gab, in denen der Friedhof nur zu sieben Prozent ausgelastet ist. „In einem Ortsteil haben seit zwei Jahren keine Bestattungen mehr stattgefunden“, sagt Fachbereichsleiter Volker Rakut. In Weißenfels wurde nach den Eingemeindungen lange über einheitliche Friedhofsgebühren diskutiert. Da sollten nicht auch noch Sorgen dazukommen, ob die Dorfbewohner künftig in ihrer Trauer kilometerlange Wege in Nachbarorte auf sich nehmen müssen. „Viele würden eher auf die Gaststätte im Dorf verzichten als auf den Friedhof“, sagt Rakut.

Auch für die evangelische Kirche stehen komplette Schließungen nicht zur Debatte. Das sei nicht nur eine Frage der Kosten - Pflegeaufwand bei Null Einnahmen. „Friedhöfe sind ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Trauerkultur“, sagt Friedemann Kahl, Sprecher der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM). Die EKM testet nun im Kirchenkreis Salzwedel neue Pflegekonzepte für Friedhöfe. Wiesentypen mit verschiedenen Wild- und Kulturarten sollen den Aufwand senken.

Auch in Dessau-Roßlau geht es heute vorrangig darum, Bestattungen auf zentrale Bereiche der großen Friedhöfe zu „verdichten“. Auf dem Friedhof I etwa - mitten in der Stadt - stehen auf Randflächen nach und nach immer weniger Gräber, umgeben von Wiese. So würden Bereiche geschaffen, auf denen der Pflegeaufwand sinkt, ohne sie aufzugeben, sagt Moritz. Nicht zuletzt erfülle ein Friedhof schließlich weitere Zwecke: als Ort für Naherholung, als Denkmal, als Lebensraum für Flora und Fauna.