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A9 bei Dessau-Roßlau A9 bei Dessau-Roßlau: Die Rumpel-Piste

Von KATRIN LÖWE 19.05.2011, 18:16

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Vor gut 70 Jahren wurden hier noch Weltrekorde aufgestellt. Mit einem Rennwagen der Firma MG fuhr der britische Major Gardner 1939 im legendären Versuch auf der Autobahn 9 zwischen Dessau-Süd und Bitterfeld 332 Stundenkilometer schnell. Die 13,7 Kilometer lange Piste sei ideal, weltweit fast einmalig, schwärmte er. Neun Rekorde wurden hier innerhalb kürzester Zeit gebrochen, von 1949 bis 1956 säumten bei Motorrad- und Autorennen jeweils mehr als 100 000 Zuschauer die Piste. Die Ära endete erst, als aufgrund des zunehmenden Verkehrs eine Autobahnsperrung nicht mehr in Frage kam.

Tempo eingeschränkt

Heute ist die A 9 in diesem Bereich weiter von einer Rennstrecke entfernt denn je. Seit gut einem Jahr gelten auf 13,2 Kilometern in Richtung Berlin und 7,5 Kilometern in Richtung München Tempobegrenzungen. Der Grund: Riesenblasen im Asphalt, die sich die Behörden nach eigenen Angaben noch nicht erklären können. Autofahrer sind von dem gerade wieder verstärkt auftretenden Problem zunehmend genervt. Fühlen sich zudem bei Tempokontrollen abgezockt.

Alles begann mit dem so genannten Betonkrebs. Dabei bildet sich ein Gel, das durch Feuchtigkeit quillt und zu Rissen und Abplatzungen an der Fahrbahndecke führt. Auslöser ist eine Reaktion der in einigen Gesteinskörnungen enthaltenen Kieselsäure mit Alkalien, wie sie in Zement und Streusalz vorkommen. Der Befall war "rasant", sagt Christoph Krelle vom Landesbetrieb Bau. Sechs Millionen Euro wurden also investiert, um 2009 zwischen Dessau-Süd und der Raststätte Köckern einen neu entwickelten Spezialbelag aufzubringen. Was gut klingt, erwies sich als Flop: Blasen im Asphalt tauchten auf, 30 Zentimeter im Durchmesser, bis zu vier Zentimeter hoch. Ein Millionen-Flop.

Das große Rumpeln begann. Und das Rätseln bei Experten. Auf einem ein Jahr zuvor angelegten 900 Meter langen Teststreifen bei Bad Dürrenberg sei das Problem nicht aufgetreten, sagt Krelle. Bei Dessau stehe bis heute nur fest, dass Wasserdampf die Blasen bildet. Vor allem dann, wenn es wie jetzt im Frühling extreme Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht gibt. Der Dampf trifft auf wenig Widerstand: Die Asphaltschicht ist nur drei Zentimeter dick. Mehr, sagt Krelle, ging nicht, weil sonst Betonleitwände auf dem Mittelstreifen nicht mehr ausreichend Sicherheit geboten hätten.

Blasen gebe es auch in anderen Ländern, verteidigt sich Krelle. Tatsächlich musste 2009 die Eröffnung eines Teilstücks der Autobahn 20 bei Lübeck wegen Hitzeblasen im Asphalt verschoben werden. Solche Fälle treten in der Regel auf, wenn die Deckschicht bei Regen aufgebracht werde oder es Mängel im Untergrund-Baustoff gebe, sagt ADAC-Straßenbaureferentin Wiebke Thormann. "Asphalt auf Beton ist nicht ganz einfach, da muss man genau hinschauen."

Aufgebracht worden sei die Problemschicht damals unter "idealen Bedingungen", sagt Krelle. Bei der Sanierung eines nächsten Autobahnabschnittes zwischen Dessau-Ost und Dessau-Süd soll nun eine zwölf Zentimeter dicke Decke herhalten. Schwer genug, um Wasserdampf zu trotzen. Dort gebe es auch keine Betonleitwände, die die Höhe des Belags ausschließen, so Krelle. Die Ursachensuche für die Blasen bringt das alles aber nicht weiter. Universitäten und ein Ingenieurbüro sind damit befasst. Krelle: "Keiner konnte bisher etwas definitiv nachweisen." Haftungsfragen bleiben so unbeantwortet.

Während Autofahrer frustriert sind von Buckelpisten-Fahrten, muss das Land bei einer schnellen Lösung passen. Die gleiche Decke noch einmal aufzutragen, schließt man aus, solange die Ursachensuche läuft. Und mit einem Neubau inklusive Entfernung der Leitwände will das Land noch sieben, acht Jahre warten. Dann hat der Beton ein Alter von über 20 Jahren und den entsprechenden Verschleiß erreicht. 20 Millionen Euro und zwei Jahre Bauzeit wären nötig, so Krelle. Doch so sehr Autofahrer auch eine Lösung fordern: Im Moment sei das "nicht erforderlich, weil die Asphaltdecke ihre Funktion erfüllt, auch wenn der Fahrkomfort nicht bei 100 Prozent liegt." Abgesehen von Blasen klebe sie gut auf dem Beton, platze nicht. Und eine Glättung mit schweren Walzen wie im Sommer 2010? "Das ist, als würden Sie auf einen Gummiball treten", sagt Krelle. Auch die Variante, alle Blasen einzeln aufzubohren, wurde verworfen.

Automatisch gebügelt

Richten soll es deshalb nun: der Autofahrer selbst. Wenn im Sommer die Asphaltdecke weicher werde, würden 70 000 bis 80 000 Fahrzeuge täglich sie glattbügeln, argumentiert der Landesbetrieb. Es bleibe bei einer Tempobegrenzung von 120 Kilometern pro Stunde, die von Gutachtern selbst für Motorradfahrer als sicher eingeschätzt worden sei. Krelle hält das für zumutbar. Der ADAC indes ist damit alles andere als glücklich: "Für den Autofahrer ist das nicht befriedigend", kritisiert Sprecherin Christine Rettig. Die Ursachensuche müsse forciert werden.

Zunächst indes füllen Autofahrer weiter die Landeskassen. Ein bis zweimal die Woche sei auf der Strecke Tempokontrolle, sagt Polizeisprecherin Katrin Schild, Geschwindigkeiten von 185 Stundenkilometern und mehr seien keine Ausnahme. Abzocke? Den Vorwurf weist die Polizei weit von sich. Es gehe um Sicherheit. Die will auch der ADAC - nur rumpelfrei.