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Politische Bildung im Burgenlandkreis Schüler begeben sich auf die Spuren von Auschwitz

Zu einer Bildungsreise nach Polen machten sich Schüler, Lehrer und Eltern der CJD Christophorusschulen auf. Eine Zwölftklässlerin hält ihre Eindrücke in einem Tagebuch fest.

06.09.2024, 12:00
Schüler, Lehrer und Eltern  der Chrisotphorusschulen Droyßig besuchten das ehemalige KZ Auschwitz und Birkenau. Während ihres Aufenthaltes   trafen sie  Lidia Maksymowicz (Bildmitte), eine der letzten Zeitzeugen  und Überlebenden aus dem KZ Auschwitz .
Schüler, Lehrer und Eltern der Chrisotphorusschulen Droyßig besuchten das ehemalige KZ Auschwitz und Birkenau. Während ihres Aufenthaltes trafen sie Lidia Maksymowicz (Bildmitte), eine der letzten Zeitzeugen und Überlebenden aus dem KZ Auschwitz . Foto: CJD DroyssiG

Droyßig/MZ/yve. - Mit dem Überfall von Deutschland auf Polen begann am 1. September 1939 – vor genau 85 Jahren – der Zweite Weltkrieg. Mehr als 60 Staaten waren weltweit direkt oder indirekt darin verwickelt, mehr als 110 Millionen Menschen trugen Waffen und mehr als 60 Millionen starben bei Kampfhandlungen, davon allein 27 Millionen in der damaligen Sowjetunion. Hinzu kommen Massenmorde in Konzentrationslagern (KZ) und Zwangsarbeit. Das KZ Auschwitz mit dem Vernichtungslager Birkenau im heutigen Polen war der größte Lagerkomplex. Schüler, Lehrer und Eltern der CJD-Christophorusschulen Droyßig besuchten kürzlich gemeinsam diese Stätte. Die Zwölftklässlerin Jette hielt ihre Eindrücke in einem Tagebuch fest. Die Eintragungen hat das Gymnasium der MZ zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.

Tag 1: Stammlager Auschwitz

Liebes Tagebuch, ich möchte dir jetzt anvertrauen, was wir in den letzten Tagen alles erlebt und über die Vergangenheit erfahren haben. Heute haben wir das Auschwitz-Stammlager durch das Tor betreten, welches vor über 80 Jahren von Zehntausenden Häftlingen durchschritten worden ist. Dieser Gedanke allein war schon verstörend, doch noch verstörender waren die zurückgebliebenen Koffer, Töpfe und Schuhe der Inhaftierten, die so still dalagen, als ob sie noch immer auf die Ankunft ihrer Besitzer warteten. Am meisten sind mir wohl die Brillen in Erinnerung geblieben. Ich musste daran denken, dass meine auch dort liegen könnte, hätte ich damals gelebt.

Unser Weg führte uns weiter durch die Reihen von Häftlingsporträts, die uns von den Wänden anstarrten, fast als wollten sie uns mit ihren Blicken um Hilfe bitten. Doch nicht nur Angst war ihnen anzusehen, auch Hoffnung, Wut und Entschlossenheit. Ich habe sie gleichzeitig bewundert als auch gefürchtet. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie in so einem Augenblick noch so viel Kraft ausstrahlen konnten und auch nicht, dass sie vor über 80 Jahren die gleichen Wege gelaufen sind, wie ich es in diesem Moment tat. Diese Gedanken beschäftigten mich auch noch, als wir uns der Todeswand näherten, an der etwa 20.000 Menschen hingerichtet worden sind. Während wir dort waren, schwiegen wir alle und durch die Stille war es fast so, als könnte ich die schweren Stiefel der SS-Männer und die Schüsse ihrer Gewehre hören. Diese Geräusche verfolgten mich für den Rest unserer Führung und meine Hände und meine Knie hörten erst gegen Abend auf zu zittern. Die glücklichen Erinnerungen, die wir in einer der Baracken an den Wänden projiziert sahen, machten das Schicksal ihrer Besitzer vollends real. Durch die Workshops, die wir am Nachmittag besuchten, konnte ich ein wenig herunterkommen, da es bei uns größtenteils um Dokumente aus der NS-Zeit ging und weniger um einzelne Schicksale. Bei der Vorstellung unserer Workshops am Abend ist mir vor allem der Vortrag über die Kinder in Auschwitz unter die Haut gegangen. Es war so ruhig und die Atmosphäre so bedrückt, dass man merkte, wie nah es uns allen ging.

Tag 2: Birkenau und Synagoge in Oświęcim

Blick auf das KZ  Birkenau.
Blick auf das KZ Birkenau.
Foto: CJD Droyssig

Liebes Tagebuch, heute haben wir das Außenlager Auschwitz-Birkenau besucht. Die beiden Lager unterscheiden sich vor allem in ihrer Größe und in dem Maß, in dem sie erhalten geblieben sind. In Birkenau stehen größtenteils nur noch Holzbaracken und Schornsteine. Das Erste, was wir gesehen haben, war die Rampe, auf welcher alle Gefangenentransporte angekommen sind. Wir lernten, wie die Selektionen stattfanden und wohin die verschiedenen Gruppen der Häftlinge gebracht wurden. Außerdem haben wir einige Baracken von innen gesehen und der Gedanke, dort mit mehreren hundert Menschen eingepfercht gewesen zu sein, ist einfach grausam. Am stärksten ist mir wohl der Weg zu den Gaskammern in Erinnerung geblieben, den wir, wie die verurteilten Frauen, Kinder und Alten zurücklegten und mit ihm das Zitat: „Sie legten den Weg vom Leben in den Tod völlig unwissend zurück.“ Die Gedenksteine, die wir dort vorfanden und die uns an die verstreute Asche der Menschen erinnern sollten, weckten in mir den schrecklichen Gedanken, dass die Ermordeten diesen Ort des Schreckens wohl nie ganz verlassen können, weil ihre Überreste für immer auf diesen Wiesen verteilt liegen werden. Allerdings gab es für uns auch eine Geschichte mit Happy End, die es schaffte, uns, wenn auch nur kurz, aufzumuntern. Hier werden mir wohl immer die 39 Rosen, die für 39 Jahre bis zum Wiedersehen zweier Liebenden stehen, in Erinnerung bleiben. Um noch mehr über den Glauben des Judentums zu lernen, besuchten wir am Nachmittag eine Synagoge in Oswicim. Hier lernten wir viel über die Geschichte der Stadt.

Tag 3: Krakau & Zeitzeugengespräch

Liebes Tagebuch, heute ging es für uns nach Krakau. Hier hatten wir eine Stadtführung, bei der wir die Wawel-Kathedrale, mehrere Kirchen (in Krakau gibt es einfach 122 davon…) und das jüdische Viertel gesehen haben. Dabei haben wir viel über die Geschichte Polens und vor allem Krakaus erfahren. Im jüdischen Viertel haben wir unter anderem einen Drehort aus dem Film „Schindlers Liste“ gesehen und erfahren, dass Giraffen koscher sein können. Ein interessanter Fakt finde ich. Unser Tourguide hat uns im Allgemeinen viel über das Judentum erzählt. Die Synagoge in Krakau war sogar noch schöner als die in Oswiecim. Neben der Synagoge haben wir den mittlerweile inaktiven, jüdischen Friedhof besucht. Hier haben wir gelernt, dass die Juden Steine auf die Gräber legen anstatt Blumen, weil sie glauben, dass die Seele wandert und Steine für die Ewigkeit dort liegen, falls die Seele zurück zum Grab kommt. Später hatten wir die Ehre, eine Zeitzeugin aus Auschwitz persönlich kennen zu lernen. Sie erzählte uns von ihrer Zeit im KZ, nachdem sie mit drei Jahren dort ankam. Solche Erfahrungen von einer Überlebenden zu hören, war nochmal etwas ganz anderes als es im Lager anhand von Bildern zu sehen. Ich erinnere mich besonders an einen Satz, den sie gegen Ende gesagt hat: „Ich erinnere mich nicht an das Gesicht meiner Mutter, sondern nur an die Hände, die mir in diesem Moment etwas zu essen gaben.“ Dieser Satz gibt mir immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Viele waren ebenfalls von diesem Treffen bewegt, so dass wir uns im Nachhinein gegenseitig beruhigen mussten. Ich bin immer noch so dankbar, dass wir die Möglichkeit hatten, eine Zeitzeugin zu treffen, denn niemand kann wissen, wie lange das noch möglich ist.

Tag 4 : Kloster und Kunstausstellung

Liebes Tagebuch, als letztes Ziel unserer Bildungsreise haben wir das Kloster Harmeze besucht. Dort haben wir uns eine Kunstausstellung von Marian Kołodziej, einem ehemaligen Häftling, angesehen. Sie bestand aus 216 Bildern, die größtenteils mit nur einem Stift gemalt worden sind und die bis auf drei Stück gänzlich schwarz-weiß sind. In der Führung ging es um seine Zeit als Häftling, aber auch um die Art seiner Kunst. Wir haben uns oft einzelne Bilder herausgesucht und diese interpretiert. Ich fand die Bilder allein schon beeindruckend, weil sie sowohl abstrakt als auch realistisch zugleich wirkten. Sie zeigten fast nur Häftlinge, wodurch sie mich an die Portraits in Auschwitz erinnerten. Überall schien man beobachtet zu werden, was die fehlende Privatsphäre in Auschwitz symbolisieren sollte. Durch diese Atmosphäre konnte man mit den Menschen auf den Bildern mitfühlen und leiden. Ich fand es beeindruckend, wie viele Gefühle diese Bilder ausstrahlten und wie echt sie wirkten, als würde man gerade selbst in einer Baracke sitzen und dem Kapo beim Essen zu sehen.

Dieser letzte Besuch hat uns noch einmal mehr etwas zum Nachdenken mitgegeben und ich glaube, dass uns jetzt allen bewusst ist, wie wichtig es ist, diese Gräueltaten nicht zu vergessen und dass es an uns liegt, dafür zu sorgen, dass wir den Fehler unserer Vorfahren nicht wiederholen.