Ratschef für fünf Monate Ratschef für fünf Monate: Wie Ronald Prüfe vor 30 Jahren die Kreisverwaltung übernahm

Zeitz - „Es ist verrückt: Ich habe mein ganzes Leben lang Tagebuch geführt, außer in der Zeit von November 1989 bis zu dem Zeitpunkt, wo ich 1991 meine Kanzlei aufgemacht habe.“ Ronald Prüfe sagt es und hebt nachdenklich die Augenbrauen. Wenige Augenblicke zuvor hatte er bereits festgestellt, dass viele Erinnerungen an diese Zeit bereits verblasst sind. Dabei war gerade sie für den heute 56-Jährigen eine ganz besondere.
Zum einen, weil er wie viele andere Menschen hierzulande in Leipzig und natürlich in Zeitz auf die Straße gegangen ist, um politische Veränderungen zu fordern und zu erreichen. Noch viel mehr aber war es für den damals 26-Jährigen eine besondere Zeit, weil er über fünf Monate lang der Verwaltung des damaligen Landkreises Zeitz vorstand.
Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands
Ronald Prüfe, vor 30 Jahren Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), war Mitte Dezember 1989 im Kreistag zum amtierenden Vorsitzenden des Rates des Kreises gewählt worden. Sein Amt trat er praktisch am 2. Januar 1990 an. Also auf den Tag genau vor 30 Jahren. Bis Ende Mai übte Prüfe, damals Justiziar in der Zuckerfabrik, damit praktisch die Funktion des ersten Landrates des Kreises Zeitz nach der Wende aus, der nicht das Parteibuch der SED (Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands) in der Tasche hatte.
Prüfe war Jurist, hatte damit eine passende Ausbildung, er war jung und politisch unbelastet. Ihm sprachen auch die neuen politischen Kräfte Demokratischer Aufbruch, Zeitzer demokratische Initiative (ZDI) und SPD ihr Vertrauen aus. Und Vertreter aus ihren Reihen, das hatte Prüfe zur Bedingung gemacht, standen ihm auch bei seiner Arbeit in der Kreisverwaltung in der Albrechtstraße - heute Hauptsitz der Sparkasse Burgenlandkreis - zur Seite.
Bürgerrat gehörten jeweils zwei Vertreter der neuen politischen Kräfte an
Ein Bürgerrat, dessen Vorsitzender Manfred Jäger von der ZDI war, wurde gegründet. Dem Bürgerrat gehörten jeweils zwei Vertreter der neuen politischen Kräfte an. Er war Mittler zwischen dem in Zeitz etablierten langen Tisch, an dem wiederum Vertreter der Parteien und Organisationen saßen, die zu dieser Zeit politische Verantwortung trugen.
Am langen Tisch wurden aktuelle Probleme und Themen diskutiert, Kompromisse gefunden, die dann wiederum über den Bürgerrat in die Kreisverwaltung und letztlich in den Kreistag transportiert worden sind. Der Bürgerrat hatte bei Sitzungen der Verantwortlichen im Rat des Kreises, also bei der Ratsversammlung, aktives Stimm- und Mitspracherecht.
Seine Zeit als amtierender Ratsvorsitzender bezeichnet Prüfe heute als spannend
Seine Zeit als amtierender Ratsvorsitzender bezeichnet Prüfe heute als spannend. Er habe die Zeit in angenehmer Erinnerung. Zwar habe es bei den Mitarbeitern der Verwaltung damals zunächst Zurückhaltung und Vorsicht gegenüber dem neuen Chef gegeben, „aber im Laufe der Zeit gab es dann eine konstruktive Zusammenarbeit“, so Prüfe. Im Alltag ging es einerseits darum, die Verwaltung am Laufen zu halten, aber auch um neue Verwaltungsstrukturen.
Einst in der DDR enteignete Unternehmer standen in der Tür und forderten ihre Betriebe zurück... Es gab konkrete Überlegungen, mit dem Nachbarlandkreis Hohenmölsen zusammenzugehen und später mit Weißenfels. Der im Mai 1990 neugewählte Kreistag wollte das dann aber nicht. Für den hatte weder Prüfe noch Jäger kandidiert. Heute sind beide parteilos. Sie sehen sich nach wie vor als politisch interessierte Menschen, sind aber nicht mehr politisch aktiv.
Aufbruch zur Veränderung des Systems unausweichlich
Jäger ist Rentner, Prüfe führt weiterhin seine Rechtsanwaltskanzlei. Im Rückblick sagt er: „Auch wenn viele Dinge sich für unsere Menschen ganz anders entwickelt haben, als wir es uns erhofft hatten, war, hätte man in einer Glaskugel die heutige Situation gesehen, die Entscheidung zu dieser friedlichen Revolution richtig. Heute ist uns allen bewusst, dass der Aufbruch zur Veränderung des Systems unausweichlich war.“ Es lasse sich nicht beurteilen, ob man mit anderen Entscheidungen der dann neu gewählten Volkskammer einen besseren Weg gegangen wäre.
Mit Blick auf die aktuelle politische Kultur in den Parlamenten und den Umgang dort miteinander, erinnere sich Prüfe mit Wehmut an die Zeiten der friedlichen Revolution. „Damals hatten die politischen Kräfte es am langen Tisch um vieles besser verstanden miteinander umzugehen und auch die Standpunkte der anderen zu akzeptieren, Kompromisse zu finden und nicht auf den eigenen Standpunkten, oftmals aus Befindlichkeiten, zu beharren“, sagt er. Es sei im gemeinsamen Miteinander immer das Ziel gewesen, die Situation zu meistern und mit jeder Entscheidung die Sache voranzubringen.
Und vermisst er etwas aus DDR-Zeit?
Seine Entscheidung, 1989 auf die Straße gegangen zu sein, bereut auch Manfred Jäger nicht. „Auf Grund der damaligen ökonomischen Situation des ,real existierenden Sozialismus’ und der gesellschaftspolitischen Situation in der DDR wäre ich auch nach den heutigen Erkenntnissen den gleichen Weg gegangen. Eine Veränderung der damals bestehenden Verhältnisse war unabdingbar“, sagt er. Und vermisst er etwas aus DDR-Zeit?
„Die Kinderbetreuung und das Bildungssystem, natürlich ohne die ideologischen Aspekte.“ Kindertagesstätten würden nun fehlen oder seien zu teuer, so Jäger. Kritik übt er auch am „Kleinstaaten-Bildungssystem“: „In einer europäisierten beziehungsweise globalisierten Welt geht das für mich gar nicht.“
Bei der Kommunalwahl am 6. Mai 1990 war die CDU der große Gewinner. Am Abend des 30. Mai wählte der Kreistag Zeitz den aus dem Hochtaunuskreis stammenden Nikolaus Jung (CDU) zum Landrat. Der ZDI-Vorsitzende Jörg Franke, den Prüfe und Jäger als „Galionsfigur“ der Wende bezeichnen, erhielt nicht die nötigen Stimmen. (mz)
