Opfer des Stalinismus Opfer des Stalinismus: Erschossen in Moskau

Rehmsdorf - Laut der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial wurden nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu Stalins Tod 1953 allein im Butyrka-Gefängnis in Moskau rund 7.000 Menschen erschossen, die dann nach der Einäscherung im damals einzigen Moskauer Krematorium auf dem Donskoi-Friedhof eimerweise dort in Massengräbern beigesetzt wurden. Im Massengrab Nr. 3 befindet sich nach Angaben von Memorial die Asche von 927 deutschen Staatsbürgern, die zwischen 1950 und 1953 in der Sowjetunion als Opfer stalinistischer Gewalt hingerichtet wurden.
Während meiner Recherchen über die stalinistische Gewaltherrschaft stieß ich auf den Band: „Verurteilt zum Tode durch Erschießen - Opfer des Stalinismus aus Sachsen-Anhalt, 1950 bis 1953“, verfasst von Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Alexander Sachse. Sie stützten sich auf das 2005 erschienene Buch „Erschossen in Moskau ...“, das alle deutschen Opfer jener Zeit betrachtete. Im Internet ist der Band mit Schwerpunkt Sachsen-Anhalt einsehbar. Er wurde mit Unterstützung des Landesbeauftragten der Stasiunterlagenbehörde publiziert.
Stasi und MGB
Das Buch erklärt einerseits den institutionellen Hintergrund. So arbeitete das 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR eng mit dem MGB - auf russisch ebenfalls Ministerium für Staatssicherheit - zusammen. Andererseits werden Einzelschicksale dargestellt.
Im Fall des Dekorateurs und Sattlers Martin Meißner aus Rehmsdorf begann alles am 31. März 1951 mit einer Kontrolle im Zug, der zwischen Berlin und Erfurt verkehrte. Man fand Klebezettel und Broschüren der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ bei ihm. Diese Widerstandsgruppe sammelte Daten über Spitzel des Regimes und militärische Anlagen, um die Öffentlichkeit aufzuklären. In dieser Dokumentation heißt es, das MfS habe ermittelt, Martin Meißner habe dieser Organisation einen Bericht über die VEB Leder- und Kofferwarenfabrik Zeitz geliefert.
Martin Meißner war zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt. Er war Rehmsdorfer, doch seinen Namen kennt kaum jemand. Es ist schlimm, dass selbst Ortschronisten nichts von dieser dunklen Geschichte wissen wollen.
In Weimar vernommen
In Weimar wurde Martin Meißner erst vom MfS vernommen, einen Monat später vom MGB überstellt und vor dem Sowjetischen Militärtribunal in Weimar wegen angeblicher Spionage und der Bildung einer antisowjetischen Organisation zum Tode durch Erschießen verurteilt. Sein Gnadengesuch wurde am 28. August abgelehnt. Das Urteil wurde in Moskau am 11. September 1951 vollstreckt. Die Auslieferung geschah widerrechtlich der DDR-Gesetze. Martin Meißner wurde am 9. April 1996 rehabilitiert.
Fast 1 000 deutsche Widerstandskämpfer sind zwischen 1950 und 1953 verschwunden. Im Moskauer Butyrka-Gefängnis wurden sie erschossen, im Krematorium im früheren Donskoje-Kloster verbrannt und ihre Asche wurde in ein eigenes Grabfeld, das Massengrab Nr. 3 auf dem Donskoje-Friedhof, geschüttet. Die Angehörigen erfuhren nichts. Von den Hinrichtungen wurde nie etwas bekannt. Davon erfuhr jahrzehntelang niemand etwas.
Zum Tode verurteilt wurden politische Aktivisten ebenso wie unpolitische Menschen, Arbeiter, Pfarrer, Selbstständige, Landwirte, Bergleute, Polizisten, Schüler, Studenten, Rentner, Mitglieder aller Parteien, Vertriebene, Ost- und Westdeutsche, echte und vermeintliche Spione und sogar im Nationalsozialismus Verfolgte. Viele der Opfer waren Jugendliche.
Friedhof Donskoje in Moskau
140 Männer und Frauen aus Sachsen-Anhalt wurden zwischen April 1950 und Dezember 1953 in Moskau erschossen und auf dem Friedhof Donskoje in Moskau begraben.
Die hier genannten Opfer des Stalinismus wohnten bei ihrer Verhaftung durch MfS oder MGB im Land Sachsen-Anhalt oder waren in den Gebieten der Provinz Sachsen beziehungsweise im Land Anhalt geboren.
Die meisten der zum Tode verurteilten Deutschen wurden in die Todeszellen des berüchtigten Moskauer Butyrka-Gefängnisses, unweit des Weißrussischen Bahnhofs, eingeliefert. Die im Nordwesten Moskaus gelegene, festungsartige Kaserne aus dem 17. Jahrhundert dient seit 1879 bis zum heutigen Tag als Haftstätte unter anderem für politische Gefangene.
Hinterrücks erschossen
Häftlinge, die in anderen Gefängnissen Moskaus inhaftiert waren, wurden durch das MGB kurz vor der Hinrichtung in das Butyrka-Gefängnis gebracht. Nach einer letzten Personenidentifizierung wurden die Gefangenen nachts von Mitarbeitern der Verwaltung/Hauskommandantur der MGB-Zentrale in den Kasematten des Butyrka-Gefängnisses hinterrücks erschossen. Das Erschießungskommando unterstand dem MGB-Generalmajor Wassili Michajlowitsch Blochin (1895–1955).
Dekorateur, Sattler · geb. am 13.7.1932 in Rehmsdorf/Prov. Sachsen · zuletzt wohnhaft in Rehmsdorf/Sachsen-Anhalt · verhaftet am 31.3.1951 · Todesurteil durch SMT Nr. 48240 in Weimar am 26.6.1951 · Ablehnung des Gnadengesuches am 28.8.1951 · hingerichtet am 11.9.1951 in Moskau · rehabilitiert am 9.4.1996
Kaufmann · geb. am 29.3.1929 in Minkwitz bei Zeitz/Prov. Sachsen · zuletzt wohnhaft in Berlin-Wannsee · verhaftet am 4.4.1951 · Todesurteil durch SMT Nr. 48240 am 28.6.1951 · Ablehnung des Gnadengesuches am 14.8.1951 · hingerichtet am 22.8.1951 in Moskau · rehabilitiert am 26.2.1998
Maschinist · geb. am 24.1.1919 in Kayna/Prov. Sachsen · zuletzt wohnhaft in Rehmsdorf/Sachsen-Anhalt · verhaftet am 23.6.1948 · Todesurteil durch SMT Nr. 48240 in Berlin-Lichtenberg am 17.11.1950 · Ablehnung des Gnadengesuches am 10.2.1951 · hingerichtet am 20.2.1951 in Moskau
Schneider · geb. am 26.8.1922 in Loitsch/Prov. Sachsen · zuletzt wohnhaft in Loitsch/Sachsen-Anhalt · verhaftet am 31.3.1951 · Todesurteil durch SMT Nr. 48240 am 26.6.1951 · Ablehnung des Gnadengesuches am 28.8.1951 · hingerichtet am 11.9.1951 in Moskau · rehabilitiert am 9.4.1996
Kraftfahrer · geb. am 8.4.1917 in Zeitz/Prov. Sachsen · zuletzt wohnhaft in Zeitz/Sachsen-Anhalt · verhaftet im Februar 1950 · Todesurteil durch SMT Nr. 48240 am 14.6.1950 · Ablehnung des Gnadengesuches am 4.9.1950 · hingerichtet am 13.10.1950 in Moskau.
Die kommunistische Gewaltherrschaft wurde leider bis heute nicht aufgearbeitet. Es ist jedoch höchste Zeit, damit zu beginnen, solange es noch Zeitzeugen gibt, die unter der kommunistischen Gewaltherrschaft gelitten haben.
Ich wünsche mir, dass dieses Thema in den Geschichtsunterricht aufgenommen und einfließen sollte. Nur, wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten. (mz)