Experte für Extremitäten-Frakturen Experte für Extremitäten-Frakturen: Besondere Methoden des ersten Zeitzer Chefarztes

Zeitz - Die Geschichte des Zeitzer Krankenhauses reicht weit zurück. Und es war ein Zeitzer Chefarzt, der eine besondere Behandlungsmethode entwickelte. Aus aktuellem Anlass noch einmal der Blick in die Geschichte und eine Erinnerung an den ersten Chefarzt in Zeitz, Richard Poelchen.
Mit dem am 18. August 1855 im hinterpommerschen Kolbergermünde (heute Kolberg) geborenen Poelchen beginnt nämlich nicht nur die Geschichte des am 30. Oktober 1890 eingeweihten Zeitzer Krankenhauses in der Röntgenstraße, das er ohne Unterbrechung bis Ende 1923 als Chefarzt leitete.
Virchow als Lehrer
Rudolf Virchows unmissverständlicher wie rationaler Leitspruch „Bewegung ist das Leben, Ruhe ist der Tod.“ sollte zeitlebens das Wirken eines Mannes bestimmen, der als sein Schüler ebenso ein Wegbereiter der modernen und an naturwissenschaftlichen Kriterien orientierten Medizin sowie Förderer einer staatlichen Gesundheitsvorsorge wurde. Die sogenannte „Poelchen-Behandlung“ oder auch „Poelchen-Methode“ machte ihn weit über Zeitz hinaus bekannt und berühmt. Dennoch ist sein Wirken weitestgehend in Vergessenheit geraten. Die Rede ist von Richard Poelchen, dem ersten Chefarzt des Zeitzer Krankenhauses.
An der chirurgischen Nebenabteilung der Berliner Charité führte 1878, dem Jahr vor seiner Promotion zum Thema „Die Fascien der Axelhöhle“, ein Erlebnis zu weitreichenden Folgen für ihn und seine medizinische Laufbahn.
„Passion für Behandlung der Extremitäten-Frakturen“
Die dort vom leitenden Oberstabsarzt Paul Starcke praktizierte ungewöhnliche Art der Knochenbehandlung, nämlich die rein funktionelle Frakturbehandlung, wurde zum Schlüsselerlebnis, die, wie er über 60 Jahre später in der Rückschau zusammenfasste, „bei ihm eine nie erloschene Passion für Behandlung der Extremitäten-Frakturen auslöste“. Ein Bruch beider Unterschenkelknochen heilte bei einem Fleischerlehrling ohne Anwendung eines feststellenden Verbandes.
Poelchen erfuhr von Starcke, dass diese Behandlungsmethode während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 in den Lazaretten von Metz vom Kieler Chirurgen Friedrich von Esmarch (1823-1908) wegen der dortigen Umstände praktiziert worden war. Aufgrund der massenhaften Häufung von verletzten Soldaten mit Frakturen konnte oftmals kein Gipsverband angelegt werden.
Zumeist blieb es bei der reinen Lagerung des Verletzten
Zumeist blieb es bei der reinen Lagerung des Verletzten. Diese auf den ersten Blick nur ungenügend behandelten Frakturen wiesen anhand von Langzeituntersuchungen häufig jedoch bessere funktionelle Ergebnisse auf als die Gipsbehandlung, weshalb Poelchen sich intensiv der frühfunktionellen Behandlung von Knochenbrüchen widmete.
Frühstmögliche, aktive Übungsbehandlungen sah er deshalb nach einer Fraktur als wichtig an, um Langzeitbeeinträchtigungen des Bewegungsapparates weitestgehend zu verhindern und eine rasche Wiedereingliederung in den Beruf zu ermöglichen. Dahingehend entwickelte er für die unterschiedlichen Arten von Knochenbrüchen verschiedene Behandlungsmethoden und entsprechende Techniken.
Frühzeitige Bewegung des Arms mit einem Gewich
Eine typische Behandlungsmethode von Poelchen war die frühzeitige Bewegung des Arms mit einem Gewicht, das mit einer Schlaufe am Handgelenk befestigt war. Unter den wirkenden Zugkräften wurden Pendelübungen mit dem Arm durchgeführt. Ziel war eine Verringerung der Schmerzen und die Straffung der Weichteile. Diesen ergotherapeutischen Vorgang bezeichnete er als „Selbstinnervation“, weil auch die Stärkung des Willens und der Optimismus des Patienten seiner Lehrmeinung nach eine entscheidende Rolle im Heilungsprozess spielten.
Ehe es ihn in die aufstrebende mitteldeutsche Industriestadt Zeitz und deren neu errichtetes Krankenhaus verschlug, nahm er nach erfolgreich absolvierter gynäkologischer Geburtshilfe-Ausbildung eine Stellung als Hilfsarzt an der Universitätsklinik im ostpreußischen Königsberg an. Als hervorragender Chirurg, der Eingriffe sicher und gründlich vornahm, machte er sich weithin einen Namen. In der Unfallchirurgie war er, wie es Sanitätsrat Dr. med. Trebst in seinen Erinnerungen beschreibt, „ganz souverän“. Auch an die Gehirn- oder Neurochirurgie, die allgemein erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts beachtliche Fortschritte erzielte, wagte er sich heran. Von Anfang an legte Poelchen großen Wert auf die Ausbildung. Eine staatlich anerkannte Schwesternschule bestand bereits vor dem Ersten Weltkrieg am Zeitzer Krankenhaus.
Erfahrungen flossen ein
Anlässlich seines 50-jährigen Doktorjubiläums wurde Geheimrat Poelchen im Herbst 1929 für seine Verdienste die Ehre des „erneuerten Doktordiploms“ zuteil. In Berlin-Tempelhof, wohin er nach dem Eintritt in den Ruhestand mit seiner Ehefrau Martha verzogen war, widmete er sich nunmehr wieder verstärkt gesamtmedizinischen Studien.
Hier verfasste der Geheime Sanitätsrat trotz zunehmender Sehschwäche ein weithin beachtetes Werk unter dem Titel „Selbstinnervationsbehandlung geschlossener Knochenbrüche und Verrenkungen, eine biologische Behandlungsart“, in dem er die praktischen Erfahrungen am Zeitzer Krankenhaus reichlich einfließen ließ und über das in medizinischen Fachkreisen - seit seinem Erscheinen 1940 - noch heute immer wieder diskutiert und geschrieben wird. (mz)