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Geschichten aus der Wendezeit in Zeitz Erinnerungen eines „Wendekinds“: Grad noch Jungpionier und schon unterwegs in den Westen

Geboren in den 1980er Jahren, eingeschult zu DDR-Zeiten – und dann kam die Wende, der Aufbruch, die großen Veränderungen. Welche Erinnerungen geblieben sind.

Von Petrik Wittwika 30.01.2025, 19:00
Die Aufnahme der Tröglitzer Erstklässler in die Pionierorganisation erfolgte im Spätherbst 1988 am Gedenkstein für John Schehr.
Die Aufnahme der Tröglitzer Erstklässler in die Pionierorganisation erfolgte im Spätherbst 1988 am Gedenkstein für John Schehr. Foto: Archiv Petrik Wittwika

Zeitz/MZ. - Zeitzeugen-Blick auf die Zeit 1989/90: Wie Mosaiksteine Teil eines großen Ganzen sind, bilden bestimmte Erlebnisse unvergessliche Episoden für ein Leben lang, auch wenn sie noch so banal und unbedeutend erscheinen mögen. Dabei sind sie bisweilen wichtige Erinnerungsmomente, die sich beim Rückblick an längst Vergangenes zu einem Stimmungsbild verdichten, das viel darüber verrät, wie Menschen die Situation damals in ihrer ganz persönlichen Gefühlslage erlebt haben.

Schlangestehen war man gewohnt. Das Warten auf den begehrten KFZ-Brief vor der Führerscheinstelle im Volkspolizei-Kreisamt am damaligen Friedensplatz in Zeitz nahm man gern in Kauf.
Schlangestehen war man gewohnt. Das Warten auf den begehrten KFZ-Brief vor der Führerscheinstelle im Volkspolizei-Kreisamt am damaligen Friedensplatz in Zeitz nahm man gern in Kauf.
Foto: Archiv MZ

Jene „Wendekinder“ sind sich inzwischen durchaus ihrer Zeitzeugenrolle bewusst, wie auch aktuell eine Fotoausstellung im Museum Schloss Moritzburg beweist. Dass der Abschied von der DDR ein langer Prozess werden sollte, haben 1989/90 wohl nur die wenigsten Zeitgenossen vorausgeahnt. Und was bedeuten dabei schon frühe Kindheitserinnerungen im unaufhaltsamen Strom der großen Politik?

Das typische „Wendekind“ wurde noch in der DDR Anfang September 1988 im Klubhaus „Marx-Engels“ des VEB Hydrierwerkes Zeitz eingeschult und erlebte auf jeden Fall noch die Aufnahme in die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, die an der Kalinin-Oberschule in Tröglitz im Herbst 1988 am dezenten Gedenkstein für John Schehr, der sich am Seitenflügel des Schulgebäudes in der Feldstraße befand, feierlich vollzogen wurde. Details dieser längst zum Ritual erstarrten Veranstaltung sind inzwischen nahezu völlig vergessen. Wie gut, dass es zumindest ein Foto gibt, dass die Erstklässler in Begleitung ihrer Eltern dokumentiert hat. Überhaupt spielte das Pionierdasein danach im laufenden Schulalltag in der DDR-Endphase schon keine große Rolle mehr. Erhalten hat sich immerhin das blaue Halstuch. In Erinnerung geblieben ist auch die regelmäßige Verteilung der „ABC-Zeitung“ in der ersten und zweiten Klasse.

Blick in den alten, erst 1994 für ungültig erklärten Personalausweis der Großmutter: Im Personalausweis wurde das Visum für die nunmehr möglichen, legalen Reisen in die BRD im Spätherbst 1989 vermerkt. Den Autor führten die Fahrten nach Berlin und Kronach.
Blick in den alten, erst 1994 für ungültig erklärten Personalausweis der Großmutter: Im Personalausweis wurde das Visum für die nunmehr möglichen, legalen Reisen in die BRD im Spätherbst 1989 vermerkt. Den Autor führten die Fahrten nach Berlin und Kronach.
Quelle: Archiv Petrik Wittwika

Das Ende der DDR fiel in das zweite Schuljahr und mündete direkt in die turbulente Wendezeit. Auf ihrem Höhepunkt stand die deutsche Wiedervereinigung. Dem Achtjährigen sind vor allem die Zugfahrten nach Berlin am 21. November und Kronach (Bayern) am 12. Dezember 1989 erinnerungswürdig geblieben, denn dort wurde das „Begrüßungsgeld“ in Empfang genommen. Manchmal überschlagen sich die Ereignisse, so wie es im November 1989 geschehen ist. Auf die Sprünge hilft dabei der Blick in den alten, erst 1994 für ungültig erklärten DDR-Personalausweis der Großmutter, denn er schafft Klarheit über die nunmehr möglichen legalen „Westreisen“, für die das Visum erteilt und entsprechend vermerkt wurde.