1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zeitz
  6. >
  7. Antiquitäten: Antiquitäten: Vom Schiffsbauch in die Wohnstube

Antiquitäten Antiquitäten: Vom Schiffsbauch in die Wohnstube

Von Diana Dünschel 27.02.2002, 14:15

Leißling/MZ. - Als die feinen Damen die Stufen zur "Titanic" emporkletterten, hatte das Personal ihre Überseekoffer längst auf eine Sackkarre geladen, um sie in den Schiffsbauch zu transportieren. Doch nicht nur dabei erwiesen sich die stabilen Koffer als äußerst nützlich. Im Gegensatz zu den heutigen Reiseaccessoires konnte auch kein rüschen- und spitzenbesetztes Kleid zerknittern, und in den vielen Schubladen hatten all die anderen nützlichen Dinge samt der Schuhe Platz, die der Mensch von Welt damals nach Amerika mitnehmen wollte.

Heute, fast 100 Jahre später, kann ein solcher Überseekoffer allenfalls ein schönes Dekorationsstück in der Wohnung sein. Immerhin ist er nicht gerade klein. Mike Schmidt kann damit dienen. Das lederne Originalstück von 1900 in seinem Ausstellungsraum in Leißling ist nur einer der Hingucker. Das Herz von Liebhabern antiker Möbel dürfte hier höher schlagen, wo Schränke neben einem voll funktionsfähigen Spinnrad, vor dem Schrott geretteten Ofenplatten, Musikinstrumenten, Stühlen und einem Barock-Bilderrahmen von 1780 stehen.

Nicht nur an dem Dielenschrank um 1860 aus Weichholz kennt Mike Schmidt jedes Detail. Er hat dem derzeitigen Trend entsprechend die Originallasur abgebeizt, einige Teile nachgeleimt und andere ersetzt. "In den Möbeln steckt teils wochenlange Arbeit", verrät der gelernte Möbeltischler, der sich Mitte 1999 selbstständig machte und nun Antikmöbel an- und wieder verkauft sowie im Holz und Bautenschutz tätig ist. Das nötige Wissen brachte sich der 35-jährige Familienvater größtenteils selber bei. Aber auch eine mehrjährige Beschäftigung als Restaurator half dem gebürtigen Gosecker, Erfahrungen zu sammeln. So weist er den Laien auf die Vollsäulen an den Seiten eines Gründerzeitschrankes hin und berichtet bei einem anderen von den Türfüllungen mit Nussbaumwurzel. Dass er auf die wieder hergerichteten Möbel die Politur mit Hand aufträgt, wie es früher üblich war, versteht sich von selbst. "Das ist zwar aufwändiger als die Arbeit mit der Spritzpistole und schlägt sich auch im Preis nieder. Aber das gehört eben dazu", betont der Wahl-Leißlinger, der Ausstellungsraum, Werkstatt und Lager gleich neben seinem Wohnhaus einrichtete.

Zu seinen historischen Stücken kommt Mike Schmidt vor allem durch Mundpropaganda, hat aber auch schon einige Schnäppchen auf Antikmärkten gemacht. "Zur-

zeit kaufe ich aber nichts mehr auf", betont er. Erst einmal müssten sich für sein Angebot ein paar Käufer finden. "Denn niemand kann nur Geld in Dinge investieren, aber nichts herausbekommen." Interessenten können bei ihm nicht nur die passenden Möbelstücke zu einem Einzelexemplar dazu bestellen, also beispielsweise die Kommode zum Vertiko. Der 35-Jährige übernimmt auch Reparatur- und Ausbesserungsarbeiten an privatem Mobiliar, lässt auf Wunsch Stuhlsitze flechten und hat Beziehungen sowohl zu einem Kunstmaler als auch zu einem Polsterer aufgebaut. Im ehemaligen Stall, der zur Werkstatt umfunktioniert wurde, stehen Dreh- und Drechselbank, Sägen und eine Hobelmaschine. Mike Schmidt hat einiges investiert, um die Wünsche seiner Kunden erfüllen zu können. Auch ein großes Holzlager gehört dazu. So fällt es ihm nicht schwer, die Jugendstilsitzgruppe aus Bank, Tisch und zwei Sesseln abzubeizen, zu verleimen, zu schleifen, wieder frisch zu beizen und schließlich zu lackieren. "Das sind schon Arbeiten, die manchmal einigen Dreck verursachen. Aber es macht mir großen Spaß", berichtet der Unternehmer davon, wie er zuvor sein Hobby in einem Kellerraum in der Weißenfelser Lutherstraße betrieb. "Das ist kein Vergleich zu heutigen Bedingungen."

Nicht ohne Stolz zeigt er ein Album mit seinen besten Arbeiten: Biedermeierstücke aus geflammter Birke, Türen und sogar eine Kutsche. Der Möbeltischler betont, dass sich nicht nur Betuchte die aufgearbeiteten Möbel leisten können. "Alles ist eine Frage der Absprache und Beratung."