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Wittenberger Weihnachtsmarkt Wittenberger Weihnachtsmarkt: Mit dem Riesenrad hinauf in luftige Höhen

Von karina Blüthgen 02.12.2014, 19:14
Shirley Sperlich öffnet die Gondeln des Riesenrades.
Shirley Sperlich öffnet die Gondeln des Riesenrades. achim kuhn Lizenz

wittenberg - Ein kurzes Signal, und schon geht es für das Publikum nach oben. „Manchmal kommen Ältere, die freuen sich und sagen: Ach, ich fahre das erste Mal in meinem Leben Riesenrad. Oder da sind Kinder, die keine Angst vor der Höhe haben.“ Shirley Sperlich hat sie alle schon erlebt.

Wer eine Runde mit dem Riesenrad bucht, muss zuvor an ihr vorbei. In einem Alter, in dem andere aufs Gymnasium gehen oder eine Lehre machen, sitzt sie im Kassenhäuschen des Riesenrades, gibt die Fahrscheine aus und drückt die richtigen Knöpfe. Der recht spartanische Mini-Rechner, der das große Rad auf dem Wittenberger Weihnachtsmarkt steuert, signalisiert unter anderem die richtige „Beladung“, wenn nicht alle Gondeln besetzt sind. „Das ist eine große Verantwortung. Da lasse ich auch keinen anderen ran“, erklärt die junge Frau selbstbewusst.

Verantwortung übernehmen

Shirley Sperlich ist hineingewachsen in eine große Schaustellerfamilie. „Das ist mein Blut. Das habe ich gelernt“, begründet sie, warum sie zwar einen anderen Beruf hätte erlernen können, es aber nicht will. Im Gegensatz zu vielen Gleichaltrigen ist sie sehr selbstständig, für sie ist es selbstverständlich, Verantwortung zu übernehmen. „Man lernt dabei, dass im Leben immer mal was passiert und das Leben trotzdem weitergeht“, sagt sie. Das muss nichts Schlimmes sein, so wie beim Stromausfall im vorigen Jahr, als alle Insassen das Riesenrad dank des Notprogramms nach kurzer Zeit sicher verlassen konnten. Trotzdem bedeutet so etwas Ärger und Stress, „das zerrt schon an den Nerven“.

In solchen Fällen ist bei Schaustellern niemand allein. Vater Enrico, der jahrelang auf das Riesenrad gespart und es vor drei Jahren gekauft hat, ist dann ebenso vor Ort wie andere aus der Familie. 60 Tonnen wiegt die gesamte Ausrüstung des Nostalgie-Riesenrades, verladen auf drei Trucks, sechs Leute braucht es zum Aufstellen des 30 Meter hohen Rades mit seinen 20 drehbaren Panoramagondeln. Aufgebaut ist alles innerhalb von zwölf Stunden, verteilt auf zwei Tage. Sie habe einen „großen Respekt“ vor dem Teil, bekennt sie.

Toller Blick über die Altstadt

Sie selbst sei als Kind ungern Riesenrad gefahren. Jetzt, mit den Scheiben an den Seiten, würde es ihr nichts ausmachen, meint die 17-Jährige. Natürlich gebe es zuweilen Wünsche, etwa „länger stehen bleiben“ zu können ganz oben, wo man einen tollen Blick über die Altstadt hat. „Beim Ein- und Aussteigen ist jeder mal eine Weile oben“, erklärt sie, warum das in der Regel nicht nötig ist. Auch wenn so mancher die Riesenräder seiner Kindheit größer in Erinnerung hat: „Noch höhere stehen oft nur in größeren Städten“, erklärt Sperlich. Werktags sitzt sie meist allein in dem Kassenhäuschen, während die Angestellten beim Ein- und Aussteigen helfen. An den Wochenenden, bei Hochbetrieb, hilft noch jemand an der Kasse mit.

Die Saison fängt etwa Mitte März an und dauert bis Anfang November. Dann ist Weihnachtsmarkt, dreieinhalb Wochen an einem Ort. Dazu kommt noch die Winterpause. Ihr Vater nutze sie zum Bauen und Reparieren, erzählt die junge Frau. Ihr sei es in der Zeit, in der sie nicht unterwegs ist, fast etwas langweilig. Sie besucht allerdings eine Art Winterschule, in der die Frauen das Kaufmännische fürs Büro lernen, die jungen Männer handwerklich geschult werden. Der Sommer sei ihr lieber als der Winter, „da sind wir jedes Wochenende woanders, man sieht viel“. Wenn sich das Rad in Rot und Gold mit den vielen Lämpchen dreht, ist Shirley Sperlich in ihrem Element. Schon mit 14 Jahren saß sie an der Kasse. „Ich wollte das“, erklärt sie. Und sie nimmt ihre Verantwortung ernst. Auch wenn es um das Thema Glück geht. Die erste Einnahme des Tages, diesmal bezahlt von einer Familie, wird mit einem „toi, toi, toi“ bedacht. „Immer“, betont sie. Einsteigen lassen, dann geht es drei Runden rundherum, aussteigen - das ist der Rhythmus des Rades. Zwei Frauen umarmen sich nach dem Aussteigen, die Fahrt hat Erinnerungen geweckt. Shirley Sperlich freut sich. „Das hier ist nicht nur ein Job. Das ist unser Leben.“ (mz)