Wittenberg Wittenberg: Trachtenverein ist Hüter der Gewänder

Wittenberg - In der Wittenberger Thomas-Müntzer-Straße 14 geben sich in diesen Tagen die Kunden die Tür in die Hand. Für den Festumzug zu „Luthers Hochzeit“ am kommenden Sonnabend werden 2 000 Mitwirkende in historischen Gewändern das Bild bestimmen. Gut die Hälfte nutzt die Ausleihe des Trachtenvereins, der Service, für den er vor 20 Jahren gegründet wurde.
1 200 Gewänder im Fundus
50 Näherinnen, überwiegend ehemalige Mitarbeiterinnen verschiedener Wittenberger Bekleidungswerke, die nach der Wende den Bach heruntergingen, begannen zunächst in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme unter Trägerschaft des Kreises die historischen Gewänder für das gerade aus der Taufe gehobene Stadtfest zu nähen. Mit „Null“, wie Vorsitzende Birgit Uebe sagt, haben sie angefangen. Heute sind 1 200 komplette Gewänder für Bauer, Bürger und Edelmann im Fundus des Vereins. Dazu ein Satz für Epochen-Modenschauen. Rechnet man Westen, Blusen, Schauben und anderen Zubehör dazu, kommt man auf die vierfache Zahl an Kleidungsstücken. Mit deren Pflege - sichten, ausbessern, aufbügeln - sind vier Mitarbeiter im Bundesfreiwilligendienst vollauf beschäftigt. Alles andere, die gesamte Verwaltung und Organisation, „läuft nur noch im Ehrenamt“, so Heike Sommer. Mit Nähen hat die 53-Jährige nichts am Hut, die Frau aus dem Bankfach ist die Schatzmeisterin des Vereins.
„Für uns fängt das Stadtfest im April an“, erzählt Birgit Uebe, gelernte Herrenmaßschneiderin. Die Vereine geben ihre Bestellungen durch, entsprechend werden die Gewänder zusammengestellt und bereitgehängt. Für die Sonderöffnungszeiten, die zwei Wochen vor dem Fest beginnen, nehmen die Vereinsmitglieder Urlaub. Nach „Luthers Hochzeit“ werden die Gewänder, so wie sie zurückkommen - „Manche lassen sich ewig Zeit“, sagt Frank Sommer - in die Reinigung gegeben. „Das Reinigen können wir nicht mehr stemmen.“
Im Oktober, zum Renaissanceball und zum Reformationsfest, sind noch einmal zahlreiche Gewänder gefragt, dann aber hauptsächlich die Prunkkleider.
Und der Trachtenverein hütet auch die Hochzeitsgewänder des Lutherpaares. Drei Ausstattungen sind es für verschiedene Staturen, und doch, sagt Uebe: „Es hat noch nie auf Anhieb gepasst.“
Nach dem Tod von Vereinsgründerin Anita Fabig 2010 hat sich der Verein in seinem Selbstverständnis gewandelt. „Bis dahin haben wir immer nur für das Stadtfest gearbeitet. Es war aber auch der Wunsch vieler Mitglieder, als Verein etwas zu machen.“ So ist die Idee entstanden, den kurfürstlichen Hof darzustellen.
Mehr zum Thema lesen Sie auf der folgenden Seite.
Dafür kleiden sich die Mitglieder des Trachtenvereins nicht schlechthin in authentische Renaissancegewänder, sondern jeder stellt eine historisch verbriefte Person dar. In Biografien über Friedrich den Weisen und wissenschaftlichen Arbeiten zum kursächsischen Fürstenhof hat sich das Ehepaar Sommer dafür schlaugemacht. „Durch das Internet ist es heutzutage ja relativ leicht zu recherchieren“, sagt Frank Sommer.
Dazu kam das Reisezelt auf der Schlosswiese, das Jahr für Jahr auf inzwischen 100 Quadratmeter erweitert und mit Teppichen, Bildern, Behängen, ausgestattet wurde. Inzwischen ist das umfangreiche Zubehör professionell in wasserdichten Metallboxen verpackt. Sperrig ist nur das Untergestell der kurfürstlichen Tafel, die, dann im Lager auf der Schlosswiese, gemäldegleich gedeckt, ebenso für Bewunderung sorgt wie die handgearbeiteten Roben der Darsteller der Fürsten, Ratsherren, Kanzler und Kämmerer und ihrer Gemahlinnen. Auf 9 000 Euro kommt man mit den Kosten für so ein Gewand, sagt Sommer.
Unterwegs auf Renaissancefesten
Als kurfürstlicher Hof sind Vereinsmitglieder inzwischen gruppenweise auf anderen Renaissancefesten in ganz Deutschland unterwegs, demnächst beim Schlossfest in Neuberg an der Donau und im schwäbischen Mindelheim beim Frundsbergfest. Auch Italien, Frankreich, Spanien habe diesbezüglich eine große Szene, weiß Heike Sommer. „Aber das ist schon eine höhere Liga und für uns wäre der Aufwand zu groß.“
Er habe, erzählt Frank Sommer, schon vor Jahren den Wittenberger Marketingverantwortlichen die Idee vorgestellt, im Jahr 2017 einen Zug der historischen Vereine von Torgau nach Wittenberg mitsamt dem Reisezelt zu veranstalten. „Die Brettener und die Torgauer wären sofort dabei gewesen“, sagt er. Leider sei der Vorschlag nicht auf Interesse gestoßen, bedauert er.
Jetzt sei der Zug abgefahren: „So etwas braucht eine lange Vorbereitungszeit.“ Überhaupt, meint Sommer, seien die historischen Vereine in Wittenberg, von denen es ja einige gibt, schwer dazu zu bringen, etwas gemeinsam zu machen. „Das ist sehr schade“, sagt er. (mz)