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Wittenberg Wittenberg: Theaterstück über Heimerziehung in der DDR

Von CORINNA NITZ 19.04.2011, 17:52

WITTENBERG/MZ. - Schuld, sagt Markus Schuliers, war ein Zeitungsartikel. Seine Überschrift: Menschen mit kalten Herzen. Sein Inhalt: Die Unterbringung von Jugendlichen in Heimen und Jugendwerkhöfen der DDR. Das Thema ließ Schuliers, Westdeutscher, Regisseur, Chef des Theaterjugendclubs (TJC) Chamäleon in Wittenberg, nicht mehr los. Nun bringt er es auf die Bühne - und hat sich als Spielstätte einen, geht es um Disziplinierungsanstalten des SED-Staates, der symbolträchtigsten Orte dafür ausgesucht: den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, heute Gedenkstätte.

Was im Spätsommer 2010 in der theatralischen Ausführung noch als Gerichtsprozess gegen Margot Honecker (ihr unterstand der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau, zur Verantwortung gezogen wurde sie nie) durch Schuliers' Kopf geisterte, kommt am 3. Mai unter dem Titel "Wer sich umdreht oder lacht." zur Uraufführung. Als Autorin hat Schuliers Ulrike Schanko gewinnen können. Die frühere Intendantin des Rheinischen Landestheaters Neuss und designierte Theaterdirektorin in Itzehoe sagt: "Der Titel ist eine Anspielung." Darauf, wie schnell ein junger Mensch in der DDR in Ungnade fallen konnte. Anders formuliert: Wer nicht gerade lief, im Sinne der Doktrin, musste im schlimmsten Fall mit der Einweisung in einen Jugendwerkhof rechnen.

Zwar sei sie, Schanko, bei ihren Recherchen auch auf Hinweise gestoßen, wo Eltern eine Einweisung unterschrieben hatten. "Aber viele wussten nicht, dass ihr Kind im Jugendwerkhof war." Schanko hat sich für die Erarbeitung des Stücks mit ehemaligen Insassen von Torgau getroffen. Und dann zählt sie perfide Disziplinierungsmaßnahmen auf, die das Regime in seiner Torgauer Spezialeinrichtung für die Jugend bereit hielt. Dunkelzellen etwa. Es habe auch einen "Fuchsbau" gegeben. Schanko zufolge eine winzige Kammer, in der die dort Eingesperrten nicht nur die räumliche und zeitliche Orientierung verloren. "Wenn die Elbe Hochwasser hatte, dann standen die auch bis zum Hals im Wasser", sagt sie. Von "Willkür und Brutalität" spricht Schuliers. (Inzwischen haben die Betroffenen Anspruch auf Entschädigung, doch weiß Schanko, dass viele aus Scham ihr Schicksal verschweigen.)

Im Mittelpunkt des Stückes "Wer sich umdreht oder lacht.", das in der Beschreibung mit dem Zusatz "Schwarze Pädagogik mit rotem Anstrich" versehen wurde, stehen u. a. Lebensgeschichten einzelner Betroffener. Schanko sagt, sie arbeite viel mit Originalzitaten, die Biografien sollen in Form von Kinderspielen angerissen werden. Die Zeitzeugen-Darsteller in der Inszenierung werden nach Schuliers Angaben keine Namen tragen, sondern heißen X, Y oder Z. Für die Rolle der Margot Honecker konnte er die Theaterschauspielerin Silke Dubilier gewinnen und als Erzähler Dimo Wendt.

Wie es auf der Internetseite der Gedenkstätte, die Partner für das vom Fonds Soziokultur geförderte Projekt ist, heißt, werden auch aktuelle Bezüge zur gegenwärtigen Debatte über Unrecht und Leid der Heimkinder in der Bundesrepublik und der DDR aufgegriffen. Der ehemalige Gerichtssaal, heute Veranstaltungsraum der Gedenkstätte, wird sich am 3. Mai um 19.30 Uhr (eine weitere Vorstellung gibt es am 4. Mai) in eine Theaterbühne verwandeln. Für das Szenenbild zeichnet Christopher Melching vom Theater der Altmark in Stendal verantwortlich.

Übrigens: Der Titel jenes Artikels, der Regisseur Schuliers so beschäftigt hat, war ein Zitat. Am 19. September 1987 schrieb, wie die MZ 2009 berichtete, im Jugendwerkhof Aschersleben Constanze N. in ihr Tagebuch: "Und wieder nur Menschen mit kalten Herzen." Ihre Tagebuch-Notiz wurde 2009 Teil einer neuen Dauerausstellung in der "Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau".