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Wittenberg Wittenberg: Der Unverwechselbare

Von ERHARD HELLWIG-KÜHN 24.01.2011, 18:40

WITTENBERG/MZ. - Giora Feidman ist in Wittenberg längst kein Geheimtipp mehr. "Kletzmer and Strings" ist das Tourneeprogramm, mit dem der 75-jährige Weltstar der Klezmermusik und Konzertklarinettist derzeit in Deutschland unterwegs ist. Am Freitag gastierte Feidman in der Wittenberger Stadtkirche zusammen mit dem Gershwin-Streichquartett vor einem zahlreich erschienenen Publikum. Es berührte, wenn er fast unscheinbar, wie selbstverständlich im Eingangsbereich lässig an einer Säule lehnend sein Publikum grüßte, den Besuchern verschmitzt zublinzelte und ihnen Autogramme auf CD oder Programme gab.

Mit der Intonation des Traditional "Shabbat Melody" gleich zu Beginn, das leise beruhigend und mit Andacht erklang, durchschritt der Oscar-Preisträger (Filmmusik für "Schindlers Liste") gemessen das Kirchenschiff zum Altarraum. Das hatte etwas dramaturgisch Perfektes! "Es ist kalt", sagte er dann, aber: "Musik makes warm." In einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Jiddisch suchte er an diesem Abend die Konversation zum Publikum. Fotografieren? "No", er mag es zwar, aber seine Klarinette nicht. Er gab Kusshand und umarmte bildlich sein Publikum.

Spätestens da begann die Begeisterung, und es versprach bereits hier eine Ausgelassenheit besonderer Art zu werden. Feidman bleibt sich selbst treu und bot mit diesem musikalischen Ereignis doch Neues. Denn seine melancholischen Melodien üben eine überschäumende Lebensfreude und einen unwiderstehlichen Reiz aus. Er ist der ideale Interpret dieser traditionsreichen Musik, die Feidman um Jazz- und Swing-Elemente bereichert. Wenn er spielt, singt die Klarinette, sie seufzt und lacht.

Unerwarteter Umfang

Dieses Konzert hob sich von allem ab, was Giora Feidman bis jetzt vollbracht hat. Ist alles vorher gehörte genial und unverwechselbar, so hatte man hier den Eindruck, dass die Stücke an diesem Abend speziell für ihn und das geniale Gershwin-Streichquartett geschrieben wurden. Im Gegensatz zu bisherigen CD-Veröffentlichungen, bei denen er zumeist allein die Melodie in Gesang verwandelte, zeigten hier fünf Musiker eine Mehrstimmigkeit von unerwartetem Umfang. Giora Feidman ließ die Luftsäule in seinen Klarinetten (Sopran, Bass) so interferieren, dass ein sich Überschlagen der Töne dem anderen folgte, um danach einer völligen Stille Raum zu geben. Begleitet wurde der Unverwechselbare von einem Weltklasse-Streichquartett (Michel Gershwin und Natalia Raithel, Violine, Juri Gilbo Viola, Kira Kraftzoff, Violoncello), das sein ganzes Gefühl in jede Note legte und auch ähnlich mit dem jeweiligen Instrument verwachsen zu sein schien wie Feidman selbst. Man erhielt hier eine musikalische Leistung zelebriert mit unverwechselbarer Dynamik, die ohne große Schnörkel für den Genießer zubereitet wurde. So hörte man in leisen Momenten auch mal das Drücken einer Klappe, das Feidman-Fans nicht als störend empfinden, sondern eher vermissen würden. Das gespielte Repertoire reichte von Klezmer über Tango bis hin zu einem Gershwin-Medley (By George!), obwohl George nicht der Namensgeber dieses Quartetts ist, sondern dessen Primarius Michel. Unverwechselbarer denn je, aber trotzdem etwas ganz anderes. Man kann also auch mit einem Streichquartett Klezmer vom Feinsten spielen. Das ist nicht der typische Kammermusikklang, sondern frischer, jedes Stück in einer anderen Klangfarbe.

Verbindende Sprache

Zwischendurch forderte Feidman sein Publikum dazu auf, einen Chorus, sei es einen Orgelton, um den herum er mit seiner Klarinette improvisierte, oder "Shalom" mit ihm zu singen. Seine erste Zugabe gab er vor der Pause, denn "weder im Alten Testament, nicht im Neuen Testament, nicht im Koran steht geschrieben, dass eine Zugabe immer am Schluss kommen muss", und stimmte listig mit dem Gershwin-Quartett die Nationalhymnen Deutschlands, Israels und Palästinas an ("Zwei Takte hiervon, zwei Takte davon, das ganze gut verrührt"). Da merkte man neben seiner einnehmenden Liebenswürdigkeit auch seine zutiefst pazifistische Intention. Am Schluss gab es eine weitere Zugabe: Piazzollas "Le Grand Tango" in einem Arrangement von Sergej Abir. "You like it? You have it" - und los ging's.

Es waren eineinhalb Stunden fesselnder und andachtsvoller Musik, die verbinden soll. Man erlebte einen anrührenden, witzigen und liebenswürdigen Menschen, dem eines am Herzen liegt: Musik als verbindende Sprache zwischen den Menschen, zwischen den Völkern erlebbar zu machen. Das ist Giora Feidman gelungen.