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Streit Verschandeltes Haus Melanchthon?

Die Gestaltung des Fluchtweges am Haus Melanchthon wird heftig diskutiert. Auch Schauspielerin Claudia Wenzel mischt sich ein.

Von Marcel Duclaud Aktualisiert: 23.03.2022, 08:03
Der  Fluchtweg  am jetzt grundlegend sanierten Haus  Melanchthon des Luther-Melanchthon-Gymnasiums sorgt für Diskussionen.
Der Fluchtweg am jetzt grundlegend sanierten Haus Melanchthon des Luther-Melanchthon-Gymnasiums sorgt für Diskussionen. Foto: Thomas Klitzsch

Wittenberg/MZ - Ein Ufo oder doch eine Achterbahn? In jedem Fall ist der Fluchtweg am altehrwürdigen Haus Melanchthon des Luther-Melanchthon-Gymnasiums in Wittenberg ein ziemlich großes Bauwerk - und offenkundig ein Aufreger. In der Stadt wird jedenfalls heftig diskutiert, ob so etwas gemacht werden darf oder nicht.

Die Redaktion erreichte zu dem Thema unter anderem ein Brief der bekannten Schauspielerin Claudia Wenzel, bekanntlich in der Region aufgewachsen. Sie war einst Schülerin der Erweiterten Oberschule „Philipp Melanchthon“ und ist empört.

Klettergerüst am Gebäude

Claudia Wenzel schreibt: Immer wieder in Wittenberg, meiner Heimatstadt zutiefst verbunden, traute ich diese Woche beim Anblick des historischen Melanchthon-Gymnasiums in der Lutherstraße meinen Augen nicht. Ein Klettergerüst an der Rückseite des Gebäudes vom berühmten Berliner Baumeister Franz Schwechten (unter anderem Berliner Gedächtniskirche, Anhalter Bahnhof, Wittenberger Bahnhof, der ja schon weichen musste)? Meiner Verärgerung über diesen Anblick lautstark Luft machend, gesellten sich gleich einige Wittenberger dazu. „Das ist der Fluchtweg.“ „Wie kann man so einen Fluchtweg genehmigen?“ „Wir finden das auch furchtbar!“. „Wer entscheidet so etwas?“

Oder auch: „Wo ist denn der immer so strenge Denkmalschutz bei so einer versperrten Ansicht des Gebäudes?“ „Soll das Kunst sein? Alte Architektur mit neuer verbunden?“ „So was haben wir noch nie gesehen.“ „Andere Städte haben doch auch alte Schulen, die machen so etwas nicht!“ Jahrelang stand das Gebäude, meiner EOS „Philipp Melanchthon“, wo ich mein Abitur in der holzvertäfelten Aula mit dem großen Wandgemälde „Luther vor dem Reichstag in Worms“ machte, leer. Glücklich hörte ich, wie viele ehemalige Schüler, von dem Wiederaufbau und der Sanierung des Monumentalbaus im Rundbogenstil. Endlich waren die nötigen Gelder da und endlich werden wieder Schüler in dieser wunderbaren alten Schule lernen können.

Gerade der weitläufige Schulhof, der fast wie ein Park wirkt, war für uns Schüler immer der Platz mit Blick auf das Schulgebäude. Nun die Sicht von dort: eine Einsperrung des Gebäudes, eine hässliche Stahlkonstruktion. Natürlich kann man über die ästhetische Umsetzung von Vorgaben - in diesem Fall des Fluchtweges - streiten und unterschiedliche Ansichten haben. Aber die Außenansicht eines so schönen und wichtigen Gebäudes, durch welches Generationen von jungen Menschen gegangen sind, die mittlerweile in der ganzen Welt leben, hätte man vielleicht auch mit Hilfe der ehemaligen Schüler planen können?

Stadträte treffen Entscheidungen im Namen der Menschen der Stadt. Ein Stadtbild prägt die Stadt, in der ich lebe oder zu Besuch bin oder mich an meine Zeit in dieser Stadt erinnere. Ein Stadtbild hat auch etwas mit Historie zu tun, und das Gymnasium ist ein historisches Gebäude.

Als Erbe betrachten

Wittenberg hat Weltkulturerbe, und es wäre doch schön gewesen, dieses Gebäude auch als Erbe zu betrachten und nicht mit einem - meiner Meinung nach - „Klettergerüst“ zu verschandeln.

Gern lade ich zu einem meiner nächsten Wittenberg-Talks Stadtvertreter ein oder besser den Kreistag, um zu erfahren, welche Argumente sie zur Abnahme dieses merkwürdigen Fluchtweges bewegt haben und warum man nicht, bei dieser außergewöhnlichen Planung, die Wittenberger mit einbezogen hat? Um mit Philipp Melanchthon zu enden: „Zwei Werte sind besser und göttlicher als alles, das dem menschlichen Wesen zugehört: die Wahrheit und die Gerechtigkeit. Beides zu erforschen und zu entfalten ist der Schule anvertraut.“

Claudia Wenzel ist hier an die damalige Erweiterte Oberschule „Philipp Melanchthon“ gegangen (Foto von 2011).
Claudia Wenzel ist hier an die damalige Erweiterte Oberschule „Philipp Melanchthon“ gegangen (Foto von 2011).
Foto: Agentur Schneider-Press/Erwin Schneider