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Traditionsunternehmen Mühlenbau  Traditionsunternehmen Mühlenbau : Getreide als internationales Erfolgsprojekt

Von irina steinmann 29.07.2015, 07:31
Platz für Innovationen. Manager Andreas Schultz in der Werkshalle von Mühlenbau
Platz für Innovationen. Manager Andreas Schultz in der Werkshalle von Mühlenbau Thomas Klitzsch Lizenz

wittenberg - Die Annäherung an die Dresdener Straße 16 bietet jede Menge Platz für Missverständnisse. Links immerhin ein Pförtnerhäuschen, es ist aber leer - seit Jahren, Jahrzehnten? Rechts der Einfahrt stehen überwucherte Ruinen, hie und da sind noch Brandspuren zu sehen. Dieser Teil ist Eigentum des Landes - Hessen, wie man überrascht erfahren wird. Aber wo ist jetzt der Mühlenbau?

In den modernen Büros aus Glas und Holz, die man wenig später betreten wird, sind sie derlei Irritationen gewohnt. Das Gelände ist weitläufig, mehrere Firmen sitzen hier, etwa ein Drittel der Fläche wird von der MMW Technologies GmbH genutzt. Der gute alte Mühlenbau, bald eineinhalb Jahrhunderte Wittenberger Tradition, ein Riesenunternehmen zu DDR-Zeiten, Tausende Mitarbeiter, 400 Lehrlinge. Aber „Ostbude“ war einmal, versichert Thomas Strandt, Geschäftsführer seit 2011, allem Anschein des tristen äußeren Umfelds zum Trotz: Heute „sind wir ein Baustein in der Biotechnologiekette“.

Viel mehr als Mehl

Rasch wird klar, dass das Prinzip „Getreide rein, Mehl raus“ nicht ausreicht, vielleicht auch nie ausgereicht hat, um zu bestehen auf einem Markt, der auch in dieser Branche maßgeblich von einigen Riesen geprägt wird, die heute noch so groß sind wie einst der VEB. Nein, es geht nicht nur um Mehl, von dem jede Hausfrau, jeder Hobbybäcker weiß, dass es davon schon mal verschiedene Körnungen gibt, es geht um Stärke und um Bioethanol, um Klebstoff und um Bindemittel, um Flüssigzucker und um Futtermittel - kurz, um alles, womit sich Getreide „aufwerten“ lässt, wie Strandt die große „Nische“ beschreibt, in der der Wittenberger Mittelständler mit seinen rund 50 Mitarbeitern in der Elstervorstadt auch künftig zu bestehen sucht - seit 2011 übrigens gemeinsam mit dem Thüringer Unternehmen Petkus, Experten in der Getreideverarbeitung mit Sitz in Wutha-Farnroda, zu dem MMW seither gehört.

Knapp zehn Millionen Euro setzt MMW eigenen Angaben zufolge pro Jahr um mit seinen Produkten. Neben einzelnen Maschinen wie dem guten alten Walzenstuhl (dessen Entwicklung sich im Foyer historisch nachvollziehen lässt vom 1923er bis zum neuesten Modell) sind dies insbesondere auch Komplettlösungen für große, industrielle Anlagen; Referenzobjekte stehen etwa in Zeitz, aber auch in Russland. Überhaupt ist der Radius der Geschäftsbeziehungen von MMW weitaus größer, als es der unscheinbare Firmensitz an der Dresdener Straße auf den ersten Blick vermuten lässt. „In Ägypten kennt man uns“, sagt Strandt leichthin, in Russland sowieso. Auch Syrien gehört(e) zu den „gewachsenen“, also traditionellen Märkten der Wittenberger Mühlenbauer, dort freilich dreht sich zurzeit kriegsbedingt überhaupt nichts. Ganz anders als im Iran, wo man ebenso wie in Ägypten und weiteren Ländern Vor-Ort-Büros unterhält und auch bisher schon Geschäfte machte, freilich unter komplizierten Rahmenbedingungen. „Wir hoffen, dass sich das jetzt möglichst rasch erholt“, sagte am Montag der auch für Wittenberg zuständige Petkus-Manager Andreas Schultz mit Blick auf das erwartete Tauwetter nach dem Atomabkommen mit den Mullahs. Auch mit Russland, wo mittlerweile drei Referenzanlagen stehen, an denen MMW mitgebaut hat, waren die Geschäfte schon mal einfacher gewesen. Die Ukraine-Krise hat, in Verbindung mit dem Schwächeln des Rubels, die Geschäfte etwas schwieriger gemacht, nicht aber vereitelt. Die Verarbeiter schauten dort allerdings jetzt genauer hin, ob es tatsächlich eine Westanlage sein müsse. Russland exportiert traditionell Getreide, musste aber daraus verarbeitete Produkte in der Vergangenheit vielfach einführen. Bedingt durch den Marktschwerpunkt hat MMW bereits jetzt eine hohe Anzahl an russischsprachigen Mitarbeitern.

Nachwuchs gesucht

Und man sucht weiter Nachwuchs. Vor allem Konstruktionsmechaniker, so Finanzchef Frank Theile, der selbst schon seit mehr als zwei Jahrzehnten im Wittenberger Mühlenbau beschäftigt ist, seien gefragt, man benötige etwa ein bis zwei solcher Auszubildenden pro Jahr. Mittlere Reife, Englisch, und vor allem „keine zwei linken Hände“ sind die Basisvoraussetzungen für Mitarbeiter, die unter Umständen dann vielleicht auch weltweit tätig und so die „Visitenkarte“ (Schultz) des Unternehmens sein werden. Das Müllerfachpersonal bezieht man unterdessen von der Deutschen Müllerschule aus Braunschweig, nächste Woche fangen wieder zwei Neue an. Dem Vernehmen nach ist es allerdings gar nicht so einfach, junge Leute von dort in die noch tiefere Provinz zu locken. Die freilich auch Vorteile hat. Manager Schultz, seit Herbst 2014 für Wittenberg zuständig, wundert sich noch immer, wie unendlich einfach es war, eine kleine Zweitwohnung zu finden.

„Könnte man eigentlich Lofts draus machen“, sinniert er zum Abschied mit Blick auf die verkommene, aber einst repräsentative Industriearchitektur am Eingang. Vielleicht sollte man dem Land Hessen ja mal einen Tipp geben. (mz)