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Tausche Autokennzeichen C gegen WB

Von Irina Steinmann 25.05.2007, 16:56

Wittenberg/MZ. - Wolf-Jürgen Grabner fand nun nicht, dass er da einen schlechten Tausch gemacht hätte. Elf Jahre war er Gemeindepfarrer gewesen in Chemnitz, einer ungleich größeren Stadt, gewiss, und einer, der erst der Zweite Weltkrieg und später die DDR tiefe städtebauliche Wunden geschlagen haben, die erst jetzt langsam heilen. Da muss Wittenberg fast wie eine Puppenstube wirken. "Schön und überschaubar" nennt es Grabner und spricht von der "Dominanz des Historischen".

Seit Januar ist Wolf-Jürgen Grabner Dozent am Wittenberger Predigerseminar, am vergangenen Wochenende ist er feierlich in sein Amt eingeführt worden. In der Schlosskirche natürlich, denn der 45-jährige Sachse ist nun quasi automatisch auch Prediger in dieser Kirche. "Das ist ein schönes Privileg", findet der promovierte Theologe, und meint damit nun nicht Luthers Grab oder gar die allerweltsberühmte Thesentür, sondern die Tatsache, dass ihm das Predigen "ein Stück Erdung", einen Ausgleich für seine Lehrtätigkeit erlaubt. Und eine Vorbildfunktion. "Wir wollen den Leuten schließlich eine gute Art zu predigen mitgeben." Grabner bildet Vikare aus, 19 sind es im laufenden Kurs, und vielleicht ist der etwas unhandliche Begriff "Praxisreflexion" gar nicht mal so schlecht, um zu beschreiben, was der Dozent mit seinen Studenten macht, die ja keine Studenten mehr sind, sondern bereits ganz praktisch in ihren Pfarrgemeinden arbeiten, predigen, seelsorgerisch tätig sind. In welchen Rollen agiere ich im Pfarramt? Wie lassen sich meine Erfahrungen in der Gemeinde ins große Ganze einordnen?, sind solche Fragen, die es zu bearbeiten gilt.

Wie aber ist es nun passiert, dass einer das C gegen das WB eingetauscht hat? Freiwillig und gerne noch dazu? Ganz einfach: Die Sachsen, sagt der Sachse, wollten einen Sachsen in Wittenberg. Und das Predigerseminar, nach einer Umstrukturierung zuständig für den gesamten Osten außer Mecklenburg-Vorpommern, wollte ihn. Weil, wie Grabner wohl zu Recht vermutet, er bereits fünf Jahre mit Vikaren gearbeitet hatte, weil er auch Gemeindeberater ist, und schließlich dürfte auch seine wissenschaftliche Arbeit eine Rolle gespielt haben bei der Berufung. Ans Predigerseminar wird man berufen, man bewirbt sich nicht.

Keine Frage, Wolf-Jürgen Grabner, Pfarrerssohn, gelernter Schlosser und Kunstschmied, Gießereifacharbeiter (eine DDR-Erfahrung, die er ausdrücklich nicht missen möchte), scheint angekommen in Wittenberg, wo seine Familie - die Frau und die beiden jüngsten der vier Töchter - sogar schon etwas länger lebt als er, wegen des Schuljahresbeginns. Grabner schätzt an der Stadt die Kultur (wie er andererseits auch die schnellen Zugverbindungen in die Metropolen Berlin und Leipzig schätzt), aber er schwebt nun nicht einen halben Meter über dem Boden vor Begeisterung über die hübschen Häuser, Kirchen, Plätze der Lutherstadt. Noch nicht? Am Predigerseminar haben sie ihn jetzt zum Weltkulturerbe-Beauftragten ernannt.

Am Pfingstsonntag, und am 3. Juni kann man Wolf-Jürgen Grabner in der Schlosskirche predigen hören. Der Gottesdienst beginnt um 10 Uhr.