Stadtkirche in Wittenberg Stadtkirche in Wittenberg: Gotteshaus erhält Cranach-Altar

wittenberg/MZ - Die Touristen müssen nicht darben, die Gemeinde auch nicht. Seit Donnerstagmittag ziert eine sechs mal vier Meter große Bildplane die Schutzwand, die derzeit wegen Bauarbeiten den Altarraum vom Kirchenschiff mit seinen Besucherbänken trennt. 24 Quadratmeter Cranach-Altar, auf Textilplane gedruckt - und vorher neu zusammengesetzt von Christian Siegel und Thomas Tiltmann, beide sind Dozenten an der Hochschule Merseburg.
Neu angeordnet
Ins Zentrum rückt nun der Gekreuzigte, im Original lediglich eine Fußnote, auch die anderen Motive des Werkes aus den Händen des Renaissance-Meisters werden neu angeordnet - eine Einladung zum genauer Hinschauen, zu Neuentdeckungen für jene, die den Cranach-Altar schon tausendmal gesehen haben, ohne dass Neulingen dadurch der Eindruck des verborgenen Originals vorenthalten würde.
Ein QR-Code mittendrin zwischen Luther, Melanchthon und Jesus Christus weist, soviel Modernität darf sein, medienaffinen Besuchern den Weg zu mehr Infos im Netz. „Das ist wie Weihnachten in der Osterzeit“, sagte Stadtkirchenpfarrerin Kristin Jahn am Donnerstag angesichts des Geschenks für die Gemeinde, „wir freuen uns sehr.“ Die beiden Künstler arbeiteten unentgeltlich, Material und Druckkosten wurden dank einer Zuwendung des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gedeckt (siehe auch „Aus tiefer Not“).
Bis voraussichtlich Ende Oktober werden Gläubige und Besucher der Stadt den neuen Cranach-Altar ansehen können, anschließend wechselt die Baustelle aus dem Altarraum ins Kirchenschiff. Zum späteren Schicksal der Bildplane gibt es bereits einige Vorstellungen. Man könnte sie etwa in Teilen versteigern zugunsten der Stadtkirche, so Thomas Tiltmann. Erwogen wird laut Jörg Bielig vom Gemeindekirchenrat unterdessen auch, daraus, zum selben Zweck, schicke Taschen zu machen.
Der „Cranach-Altar“ von Siegel/Tiltmann ist unterdessen nicht die einzige Textilplane, mit der die Stadtkirchengemeinde die Dürrezeit der Baustelle überbrücken möchte. Sobald das Gerüst zur Sanierung der Türme steht, soll dort auf zehn mal zehn Metern Luthers Kopf prangen, versehen mit Zitaten des Reformators zur Musik. Christian Siegel wiederholt damit ein Projekt, das er bereits an der Hauptkirche seiner Heimatstadt Zwickau durchgeführt hatte. Laut Bielig wird das Anbringen allerdings nicht mehr in diesem Herbst, sondern erst im kommenden Frühjahr geschehen, eben wenn die Türme eingerüstet sind. Dem Vernehmen nach ist es inzwischen übrigens sehr wahrscheinlich, dass die derzeit steinsichtigen Türme im Zuge der Sanierung verputzt werden. Einen offiziellen Gemeindekirchenratsbeschluss gebe es dazu zwar noch immer nicht, so Bielig, allerdings empfehle die Denkmalpflege den Putz.
Leben im Provisorium
Die Stadtkirchengemeinde richtet sich unterdessen tapfer auf ein Leben im Provisorium ein. Lässt sich der Verzicht auf den Altarraum wie jetzt zu sehen vergleichsweise elegant lösen, so wird mit dem Wechsel der Baustelle ins Kirchenschiff der Platz für die Gemeinde dann wirklich knapp. Nach Auskunft von Pfarrerin Jahn hat man sich für Gottesdienste mit größerer Beteiligung bereits nach Ausweichquartieren umgeschaut. Der nahe Katharinensaal wird genannt, auch bei der Christuskirche habe man schon angefragt. Wirklich bange scheint der Gemeinde aber nicht. Auch nicht um die Touristen. „Es gibt keine Totalschließung der Kirche“, betont Jörg Bielig. Etwas wird immer zu sehen sein. Und sei es im Fernseher, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von den Stadtwerken: Direkt neben den Kirchenbänken kann man sich derzeit auf einem großen Bildschirm die Kunstwerke ansehen, vielleicht sogar besser als im Original, findet jedenfalls Kirchmeister Bernhard „Luther“ Naumann.
Rund 7,5 Millionen Euro wird die Sanierung der Stadtkirche am Ende gekostet haben. Um ihren Eigenanteil zu stemmen, hatte die Stadtkirchengemeinde am Dreikönigstag eine Spendenkampagne gestartet. 20?130 Euro sind bisher bei der Aktion unter Schirmherrschaft von Gunter Emmerlich eingegangen.