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Schutzgebiete Natura 2000 Schutzgebiete Natura 2000: Entwicklungshindernis in Wittenberg?

Von Irina Steinmann 13.02.2018, 13:02
Wittenberg will sich stärker als „Stadt an der Elbe“ präsentieren und sieht diese Entwicklung durch „Natura 2000“ beeinträchtigt.
Wittenberg will sich stärker als „Stadt an der Elbe“ präsentieren und sieht diese Entwicklung durch „Natura 2000“ beeinträchtigt. Thomas Klitzsch

Wittenberg - In die Reihe der Kritiker am EU-Schutzgebietssystem „Natura 2000“ reiht sich nach der Landwirtschaft im Landkreis Wittenberg nun auch die Lutherstadt selbst ein. Die in dem Verordnungsentwurf des Landes enthaltenen Verbote „gefährden die weitere städtebauliche, wirtschaftliche und touristische Entwicklung der Lutherstadt Wittenberg als ,Standort an der Elbe’“, heißt es in der offiziellen Stellungnahme der Stadt.

Stadt an der Elbe

Denn Dreh- und Angelpunkt der Schutzabsichten ist im Raum Wittenberg natürlich die Elbe samt ihrer Auen - während die Lutherstadt ihrerseits auch ideell näher an den Fluss heranrücken möchte, von dem sie gerade im Bereich der Altstadt bekanntlich durch Straße und Schiene abgetrennt ist - wer Wittenberg sagt, meint nicht, anders als etwa in Hamburg oder Dresden oder Coswig (Anhalt), automatisch eine Stadt am Fluss.

Nicht umsonst sahen vor Jahren, als die Stadt mal mit einem Gartenschau-Standort liebäugelte, die Pläne eine Brücke für Fußgänger über die Verkehrsadern hinweg auf die Elbwiesen vor. Diese Pläne sind lange vom Tisch, geblieben aber ist die Annäherung an den Nachbarn Elbe als Ziel der Stadtentwicklung, beschlossen 2012 im Stadtentwicklungskonzept (STEK), das derzeit unter dem Namen ISEK 2030 gerade neu formuliert wird, auch mit Hilfe der Bürger(innen), die wie berichtet aufgerufen sind, ihre Vorschläge einzubringen.

Natura 2000 ist ein zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten innerhalb der EU, das seit 1992 nach den Maßgaben der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie errichtet wird. Sein Zweck ist der länderübergreifende Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume. Ursprünglich sollten die Schutzgebiete in den einzelnen Mitgliedsstaaten bis 2004 ausgewiesen sein. Daraus wurde nichts. 2015 eröffnete die EU-Kommission daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik. Die obere Naturschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt hat(te) bei der Umsetzung von Natura 2000 die Aufgabe, Vorschläge zur geeigneten nationalrechtlichen Schutzform zu erarbeiten und Gebiete rechtlich zu sichern. 232.000 Hektar umfassen die bestehenden 297 Schutzgebiete mit europaweit gefährdeten Lebensräumen und Arten in Sachsen-Anhalt. Ausdrücklich NICHT berührt von Natura 2000 sind bestehende Anlagen bzw. deren Nutzung und Instandsetzung.

Konkret sieht Wittenberg Natur(a) und eigene Entwicklung insbesondere im Bereich Kleinwittenberg auf Kollisionskurs. Die Stadt verweist auf die - in Teilen bereits existierende - Hafenpromenade, die inzwischen „vier Schiffsanleger“ (plus Hotelanleger in spe) und den Wassertourismus überhaupt sowie auf das Prinzip Hoffnung: „Zur mittelfristigen Deckung eines“, Obacht!, „erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten bieten auch die Brachflächen sowie die ruinösen Bereiche an exponierter Lage mit Elbblick Potenziale in unmittelbarer Altstadtnähe“ bzw. Möglichkeiten einer „flächenschonenden“ Stadtentwicklung.

Bis dato künden in dem Bereich freilich nur verwitternde Werbeplakate vom „Wohnen und Arbeiten am Wasser“, wie es die Stellungnahme der Stadt zu Natura 2000 propagiert. Komplettiert wird der Wittenberger Run zum Wasser östlich der Elbebrücke mit der Erschließung von Uferwegen zwecks „Vernetzung von Altstadt und Freizeit- und Wassersportangeboten“, wobei das Terrain südlich der Altstadt, bisher schlicht Elbwiesen genannt, zu einem „naturbelassenen Uferpark“ umdeklariert wird.

„Diese Schwerpunktgebiete“, konstatiert Wittenbergs Bürgermeister - und oberster Stadtentwickler - Jochen Kirchner, „liegen in Teilen oder gänzlich innerhalb des Schutzgebietes oder grenzen unmittelbar an und unterliegen in ihrer Entwicklung den Festsetzungen der Verordnung.“ Man dürfte dort also vieles nicht tun, um Flora und Fauna nicht zu stören oder gar in Gefahr zu bringen.

Noch freilich reden wir von einem Entwurf; ob am Ende durch „Natura 2000“ der Lutherstadt tatsächlich die „kommunale Planungshoheit“ sowie alle damit verbundenen „Entwicklungsmöglichkeiten und -absichten entzogen“ werden, wie die Stadt fürchtet, wird sich zeigen. Kirchner skizziert in seiner Stellungnahme auch eine Art Kompromiss: Man möge bitteschön berücksichtigen, dass Wittenberg durch die zahlreichen Eingemeindungen städtische und ländliche Bereiche aufweise - man könnte sagen: dass da also ganz viel Natur ist zwischendrin.

Diese „besondere“ städtebauliche Situation gelte es differenziert zu betrachten - vorgeschlagen wird dazu die Abgrenzung eines „zentralen Ortes“ Wittenberg (zwischen Apollensdorf-Nord und Elbe auf der Nord-Südachse sowie Piesteritz und Luthersbrunnen in der West-Ost-Ausdehnung).

Allgemein dürfe der Zugang zu Gewässern nicht erschwert oder verhindert werden, wie überhaupt ein „Verschlechterungsverbot“ auch für die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen gelten sollte. Bei alldem will die Stadt Wittenberg übrigens nicht missverstanden werden: „Grundsätzlich begrüßt“ sie, wie es gleich zu Beginn der Stellungnahme heißt, das Netzwerk von Schutzgebieten, wie es „Natura 2000“ vorsieht.

Die Stadt Wittenberg wäre darin mit ihren sieben allgemeinen Schutzgebieten (FFH-Gebiete) sowie einem Vogelschutzgebiet vertreten.

Sorge wegen Leitungen

Stellungnahmen zu „Natura 2000“ haben im Rahmen des Anhörungsverfahrens unterdessen auch die Wittenberger Stadtwerke sowie der Entwässerungsbetrieb der Stadt abgegeben. „Wir hätten eine Reihe von Beeinträchtigungen“, erklärte Hans-Joachim Herrmann, Geschäftsführer beider kommunaler Unternehmen, gegenüber der MZ.

„Wenn es bei der strengen Regelung bliebe, dürften wir Leitungen nicht erneuern oder neue danebenlegen“, geschweige denn mit Fahrzeugen dort herumfahren, sagte er mit Blick auf die Schutzgebiete. Es gebe aber „Signale“, dass es nicht bei dem genannten Entwurf bleiben wird.

„Wir haben keine ungebührlichen Interessen“, bekräftigte der Chef der beiden Wittenberger Ver- und Entsorgungsunternehmen angesichts Natura 2000. (mz)