1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Schmährelief "Judensau": Schmährelief "Judensau": Wittenberger Gericht ist nicht zuständig

Schmährelief "Judensau" Schmährelief "Judensau": Wittenberger Gericht ist nicht zuständig

Von Ilka Hillger 08.05.2018, 13:15
Vor Verhandlungsbeginn protestierten am Montag die Anhänger des Klägers auf dem Wittenberger Markt und forderten die Abnahme des Reliefs.
Vor Verhandlungsbeginn protestierten am Montag die Anhänger des Klägers auf dem Wittenberger Markt und forderten die Abnahme des Reliefs. Klitzsch

Wittenberg - Das Schmährelief an der evangelischen Stadtkirche in Wittenberg, die sogenannte Judensau, ist kein Fall fürs Amtsgericht. Richter Thomas Tilch verwies eine entsprechende Zivilklage am Montag an die nächsthöhere Instanz, das Landgericht Dessau-Roßlau.

Mit einem Streitwert von 10.000 Euro seien die Richter dort für die Klage von Michael Dietrich Düllmann zuständig, die der Bonner gegen die Evangelische Stadtkirchengemeinde erhoben hat. Düllmann und sein Anwalt Hubertus Benecke sehen im Schmährelief von 1305 den Tatbestand der Beleidigung erfüllt und fordern daraus resultierend die Beseitigung des Reliefs.

Schon Minuten vor dem Beginn der Sitzung ist Düllmann ein gefragter Gesprächspartner vor Mikrofonen und Kameras. Da formuliert er, dass mit diesem Tag die ganze Stadt Wittenberg und stellvertretend auch deren Oberbürgermeister vor Gericht stünden.

Die in den späten 1980er Jahren verlegte Bodenplatte als Mahnmal im Kontext zum antisemitischen Sandsteinrelief aus dem Mittelalter ist Düllmann nicht mehr als eine Verhöhnung des Judentums. Als Distanzierung der Kirche vom Spottbild reicht ihm diese nicht aus.

Die eigentliche Verhöhnung findet freilich vier Meter weiter oben am Südostflügel der Kirche statt. So war die Skulptur gedacht, als sie am damals noch katholischen Gotteshaus angebracht wurde. Das Relief in gut vier Meter Höhe am Südostflügel der Kirche zeigt einen Rabbiner, der einem Schwein unter den Schwanz schaut, und Juden, die an den Zitzen der Sau trinken.

Juden in intimer Nähe zum Schwein zu zeigen, war doppelt beleidigend: Das Schwein gilt im jüdischen Glauben als unrein und dieses Tier war in der christlichen Kunst des Mittelalters ein Symbol für den Teufel. Derartige obszöne antijüdische Spottdarstellungen waren zur Zeit des Hochmittelalters in Europa weit verbreitet, bis heute sind sie an rund 30 evangelischen und katholischen Kirchen in Mitteleuropa zu finden.

Aufmerksamkeit wuchs

Jahrhunderte schenkte man ihnen freilich kaum Beachtung und erst mit dem nahenden Reformationsjubiläum entstand jene Koinzidenz, die seitdem zu öffentlichen Debatten bis hin zu Klageschriften führt. Diese mediale Aufmerksamkeit scheint Düllmann jedoch Recht zu sein, denn „ich bin bereit bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen“, sagt er.

Düllmann, Mitglied der Synagoge Sukkat Schalom der Jüdischen Gemeinde Berlin, war durch die von Richard Harvey gestartete Petition, in der die Abnahme des Reliefs gefordert wird, auf die Schmähplastik an der Kirche aufmerksam geworden.

Er reiste nach Wittenberg, beteiligte sich an Mahnwachen, die der Leipziger Pfarrer Thomas Piehler mit Unterstützung der Darmstädter Marienschwestern initiierte. Nun klagt Düllmann und hat damit jene Öffentlichkeit, die ihm wichtig ist.

Dass im Zuge dessen auch andere auf das Thema aufspringen und es für ihre ureigenen Interessen nutzen, registriert man am Montag schon vor den Gerichtstüren. Da wird auf der Straße für eine Petition zum Erhalt der „Judensau“ auf großem Transparent geworben.

Der Kreisverband der Alternative für Deutschland hat dies initiiert. Dessen Sympathisanten und Mitglieder sitzen wenig später ebenso in den Zuschauerreihen des Gerichtssaals wie die Darmstädter Marienschwestern, die zeitgleich gleichfalls ihren Protest kundtaten, allerdings auf dem Marktplatz.

Dass in dieser Güteverhandlung nichts zu einer gütlichen Einigung zwischen beiden Parteien beigetragen werden kann, ahnt man schnell. „Wie erfolgversprechend wären denn Gespräche?“, zweifelt Anwalt Jörg Ellermann, der die Stadtkirchengemeinde vertritt. Klägeranwalt Hubertus Benecke stellt in Aussicht, das Verfahren ruhen zu lassen, wenn die Gemeinde prüft, ob das Relief abgenommen werden und einen Platz im Museum finden kann.

„Mit einem Gerichtsverfahren im Nacken lassen sich keine Verhandlungen über einen neuen Verbleib führen“, stellt jedoch Ellermann klar. Richter Tilch kann demnach die Vergleichsbemühungen nur als gescheitert ansehen und den Antrag ans Landgericht verweisen. (mz)

Am damals noch katholischen Gotteshaus, Wittenbergs Stadtkirche, wurde 1305 das antijüdische Schmährelief angebracht.
Am damals noch katholischen Gotteshaus, Wittenbergs Stadtkirche, wurde 1305 das antijüdische Schmährelief angebracht.
Klitzsch