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Schmähbild in Wittenberg Schmähbild in Wittenberg: Antisemitismusbeauftragter will Judensau abnehmen lassen

Von Markus Decker 30.10.2019, 05:29
Die Stadtkirche St. Marien in Wittenberg mit dem Spottbild „Judensau“.
Die Stadtkirche St. Marien in Wittenberg mit dem Spottbild „Judensau“. Thomas Klitzsch

Wittenberg/Berlin - Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat dafür plädiert, die umstrittene „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche zu entfernen. „Meiner Einschätzung nach gehört die Judensau ins Museum“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle. „Dort sollte man sie mit einem erläuternden Text versehen.“ Klein fügte hinzu: „An der Stelle, an der sich die Judensau jetzt befindet, sollte eine Hinweistafel angebracht werden. Die Tafel sollte aussagen, dass die evangelische Kirche mit der Entfernung der Judensau einen sichtbaren Beitrag zur Überwindung von Antijudaismus und Antisemitismus leistet.“

Zuvor hatten sich Irmgard Schwaetzer, Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, und der neue evangelische Landesbischof in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, ebenfalls distanziert. Neuesten Untersuchungen zufolge nimmt der Antisemitismus in Deutschland stark zu. Der Anschlag von Halle mit zwei Toten belegt dies.

Die „Judensau“ – ein mittelalterliches Relief an der Südostfassade der Kirche, die im Zentrum der Stadt steht und an der Martin Luther predigte – stellt laut Gerichtsbeschluss „ein Schwein dar, an dessen Zitzen Menschenkinder saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen. Eine ebenfalls durch seinen Hut als Rabbiner zu erkennende Figur hebt mit der Hand den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After." Sie wurde 1570 ergänzt durch den Schriftzug: „Schem Ha Mphoras“ – eine jüdische Umschreibung für Gott.

Die Stadtkirchengemeinde selbst stellte bereits Anfang 2017 fest, dass es sich um ein Relief handelt, das „die Juden und ihre Religion karikiert und verspottet“. Dessen Bewertung ist ebenso unstrittig wie die Bewertung mancher Schriften Luthers als antisemitisch.

Auf der Homepage der Gemeinde heißt es weiter: „Immer wieder stören sich einige Wittenberger Bürger und Besucher der Lutherstadt an der Schmähplastik und ihrer Position ausgerechnet an der Fassade eines Gotteshauses. Briefe und Petitionen erreichen die Stadtkirchengemeinde mit der Bitte, die Schmähplastik zu versetzen, zu entfernen oder zu ersetzen.“

Strittig ist, wie man darauf am besten reagiert. Die Gemeinde verweist darauf, dass am 11. November 1988 unterhalb des Reliefs eine Bodenplatte angebracht worden sei mit dem Schriftzug: „Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen.“

Sie betont zudem: „Geschichte soll nicht versteckt werden, und Geschichtsvermittlung gelingt am eindrücklichsten am authentischen Ort“ – wenngleich dies ein „immer auch schmerzlicher und paradoxer Prozess“ sei, „weil etwas Negatives etwas Positives bewirken soll“.

Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde hat hingegen gegen die Skulptur geklagt – mit der Begründung, sie mache Juden verächtlich und müsse entfernt werden. Die Kirche bekam im Mai vor dem Landgericht Dessau Recht. Am 21. Januar 2020 folgt vor dem Oberlandesgericht in Naumburg die Berufung.